Lob und Kritik
aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 43ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.
Von Beginn an gab es von allen Seiten neben Lob auch Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit des Einstellungsbündnisses. Einige unter uns favorisierten eine klar bürgerrechtlich orientierte Antirepressionsarbeit. Für viele war selbstverständlich, Antimilitarismus und die Sabotage von Kriegsgerät als legitime Aktionsform zu thematisieren. Wir haben das nicht gegeneinander gesetzt, sondern alles bedient. Deswegen mussten wir uns Kritik gefallen lassen, egal wie die Schwerpunkte gesetzt wurden: Wir verscherzten es uns mit potenziell solidarischen Menschen und Genoss_innen.
Gut fanden wir die Initiative von Detlef Georgia Schulze. Auf einer Veranstaltung im März 2008 im Berliner Stadtteilladen Zielona Gora äußerte Schulze von außen Kritik an der Arbeit des Einstellungsbündnisses, um sie (mit uns und
öffentlich) zu diskutieren. Die Kritik ist dann ein paar Monate später als Text in einer Broschüre erschienen.
Kritik gab es auch an der dritten Ausgabe unserer Zeitung, in der neben militanten Aktionen über den Prozessverlauf und damit auch über die Anträge der Rechtsanwält_innen berichtet wurde. Diese Anträge bewegen sich zwangsläufig im rechtsstaatlichen Rahmen. Die Anwält_innen versuchten den Vorwurf „Mitgliedschaft in der militanten gruppe“ aus der Welt zu räumen. Und sie vermittelten damit: „Unsere Mandanten haben mit den Vorwürfen nichts zu tun.“ Es ist das gute Recht der Anwält_innen, das zu tun, wenn es ihre Mandanten wollen. Und das wurde im Bündnis registriert und stieß auf breite Zustimmung.
Bis zum Schluss waren wir mit verschiedenen Vorwürfen konfrontiert: Einerseits hieß es beispielsweise, es ginge uns nur um Militanz, weil wir in den Randspalten unserer Zeitung antimilitaristische Aktionen dokumentieren, andererseits seien wir zu legalistisch und rechtsstaatlich, weil in den Zeitungsartikeln der Prozessverlauf kritisiert und die Arbeit der Anwält_innen dargestellt wurde. Das ist vielleicht auch ein Beleg dafür, dass wir uns die gesamte Zeit auf einer Gratwanderung befanden, letztlich aber nicht gestürzt sind. Beide Seiten führten das möglicherweise sogar richtige Argument an, es gäbe dabei zu wenig Anknüpfungspunkte für andere. Wir standen dazwischen und bedienten alles. Wir sahen das nicht als Beliebigkeit und es war gut, dass wir uns nicht dazwischen zerreiben ließen.
Kritisiert wurden wir auch dafür, dass wir bestimmte uns bekannte Informationen zurückhielten. So behauptete die Bundesanwaltschaft, auf einem Rechner in Andrejs Wohnung Texte aus der „radikal“ rekonstruiert zu haben. Öffentlich benannt wurde das durch den BGH-Beschluss vom 18. Oktober 2007 zur Haftaufhebung. Darin heißt es: „Die bisherigen Ermittlungen belegen [...] seine Mitwirkung bei der Veröffentlichung der letzten Ausgaben der aus dem Untergrund publizierten Szenezeitschrift ‚radikal‘“. Das ABC-Kollektiv Berlin hat unser Vorgehen scharf kritisiert: „Die Aufgabe einer Soligruppe sollte es sein, die Gefangenen auf allen Ebenen zu unterstützen und den Fall betreffende
Informationen zu veröffentlichen und zu verbreiten. Dabei ist eine offensive und ehrliche Öffentlichkeitsarbeit unabdingbar. (…) Wir werten diese Praxis als Teil der Unschuldskampagne, welche im Bezug auf Andrej versucht wird durchzuführen. Dies können wir nur entschieden zurückweisen.“ Teile des Bündnisses teilen diese Kritik, andere nicht. Denn es ist sein gutes Recht (das auch andere Beschuldigte in Anspruch genommen haben), weder zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen noch Teile aus den Ermittlungsakten öffentlich zugänglich zu machen. Andrej selbst schrieb in einer Stellungnahme: „Bei dieser Kritik – so scheint es – geht es nicht mehr nur um eine Unterstützung der Gefangenen und Beschuldigten, sondern vorrangig um einen politischen Mehrwert der Anti-Repressionsarbeit. Ob eine Strategie den Gefangenen und Beschuldigten tatsächlich nützt, sollte letztlich von den Betroffenen selber diskutiert und entschieden werden. Dazu gehört auch die Entscheidung über den Umgang mit Akteninhalten – erst recht wenn es sich um Indizien und Vermutungen der Ermittlungsbehörden handelt, oder um Details der politischen Biografie, denen für die konkreten Vorwürfe keine zentrale Bedeutung zukommt. (…) Warum muss die Soli-Bewegung das alles wissen? Aus unserer Perspektive gibt es genug Material, um sich fundiert solidarisch verhalten zu können.“ Wir haben uns im Rahmen der Diskussion über dieses Nachbereitungspapier gefragt, ob mensch mit Informationen hätte anders umgehen können und sollen, um z.B. über die „radikal” zusätzliche Solidarität mit neuen inhaltlichen Akzenten zu kreieren – wie es nach Repressionsschlägen gegen dieses Zeitschriftenprojekt in der Vergangenheit wiederholt gelungen war.