Hintergrund: „radikal“ und militante gruppe
aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 49ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.
Die Zeitschrift „radikal“ wurde 1976 gegründet und verstand sich damals als sozialistisch. Immer wieder kam es zu Repression gegen das Blatt und zu vielfältiger Solidarität. Weil die „radikal“ Texte der Revolutionären Zellen veröffentlichte, wurden 1982 zwei presserechtlich Verantwortliche festgenommen. Sie wurden auf der Liste der Grünen Partei ins Europaparlament gewählt und mussten deswegen ihre Strafe nicht antreten. Aufgrund der andauernden Repression entschieden sich Genoss_innen 1984, die Zeitschrift klandestin herauszubringen. Die „radikal“ wurde dann zu einem wichtigen Organ der autonomen Bewegung. Inhaltlich ging ihr es immer auch um militante Organisierung. In den 1980er Jahren war sie aus Sicht der staatlichen Behörden eine reale Bedrohung und „Schnittstelle zum Terrorismus“. In den 1990er Jahren brachte die Repression gegen die Zeitung in Hamburg 10.000 Menschen auf die Straße. In den Ausgaben der „radikal“ in den Jahren ab 2000, die sogenannte Schwarze Reihe, erschien ein Interview mit und weitere Texte der mg.
Das Projekt militante gruppe hat sich über Jahre kontinuierlich mit Anschlägen und Diskussionsbeiträgen politisch eingemischt. Die mg hat dabei zahlreiche Themen der Linken aufgegriffen: NS-Zwangsarbeiterentschädigung, Hartz IV, Lohnraub und Entlassungen, Abbau von Gewerkschaftsrechten, das Asylbewerberleistungsgesetz, Abschiebungen, das tödliche Schicksal von Flüchtlingen, politische Gefangene, staatliche Repression, Bundeswehreinsätze und imperialistische Kriege.
Die Aktionen der mg zu diesen „anschlagsrelevanten Themen“ stießen in Teilen der linken Szene auf Wohlwollen und Sympathie. Gerade auch aufgrund dieser kontinuierlichen Anschläge kam es zu den jahrelangen Ermittlungen, den Verhaftungen und der Anklage. Solidarität gab es infolgedessen eben auch wegen der militanten gruppe und ihrer Politik. Eine Mehrheit des Einstellungsbündnisses teilte jedoch nicht die Ideologie, die die mg in oft seitenlangen Texten und Debattenbeiträgen vor allem in der Zeitschrift „Interim“ kundtat. Ihr Prinzip, kontinuierlich unter einem festen Namen zu agieren, wurde von einzelnen für gut befunden, weil es die Gruppe und ihre Politik nachvollziehbar und kritisierbar machte, von anderen wurde dieses Konzept kritisiert. Die Kritik wurde auch von autonomen Gruppen in der Militanzdebatte formuliert. Die Verhaftungen und die durch den Prozess drohende Verurteilung waren für die Kritiker_innen ein Beleg dafür, dass das von den autonomen Gruppen favorisierte No-Name-Konzept, also wechselnde Gruppennamen, ein Schutz vor Repression und einer Anklage nach den §§129/a ist. Denn wenn mensch einmal erwischt wird, könne mensch nur für diesen Anschlag verantwortlich gemacht und nicht nach den §§129/a angeklagt werden.
Aber dieser Schluss schützt nicht vor Ermittlungsverfahren, die automatisch nach jeder militanten Aktion eingeleitet werden. So haben die G8-Verfahren, die zu den Durchsuchungen am 9. Mai 2007 führten, deutlich gemacht, dass auch §129a-Ermittlungsverfahren trotz nicht-gleichlautender Gruppennamen eingeleitet werden. Und wäre einer der in diesen Verfahren Observierten auf frischer Tat ertappt worden, hätte es auch hier eine Anklage nach §129 gegeben.
Außerdem gab es zu dem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehr-LKW in Brandenburg gar keine Anschlagserklärung, weder mit einem bekannten festen, noch mit einem neuen Gruppennamen – trotzdem wurden Axel, Florian und Oliver wegen mg-Mitgliedschaft in den Knast gesteckt.
Die „radikal“ und die militante gruppe meldeten sich nach den Verhaftungen nicht. Auch die Beschuldigten haben sich nicht zu diesen Projekten der radikalen Linken geäußert. Mit diesem Schweigen mussten wir umgehen. Wir haben punktuell versucht, selbst die Stimme zu erheben und über die beiden klandestinen Gruppen und ihre Praxis aufzuklären.
Dann, später, als es keiner mehr erwartet hatte, erschien ein neuer Text und ein Interview mit der mg in einer neuen Ausgabe der Zeitschrift „radikal“ (Nr. 161), die auf der Webseite des Einstellungsbündnisses dokumentiert ist. Aufmachung und Inhalt dieser Ausgabe unterschieden sich von vorherigen Nummern, weswegen in der autonomen Linken davon gesprochen wurde, das autonome Projekt „radikal“ sei von anderen „übernommen“ worden. Wie zu anderen Zeiten ihrer Geschichte wechselte die „radikal“ mit ihrer Ausgabe Nr. 161 zu einem anderen Konzept.
In ihrer Abschlusserklärung sagte die militante gruppe, dass durch die Verhaftungen vom 31. Juli 2007 die mg nicht getroffen worden sei, die Angeklagten nicht mg seien und das „Mini-Handbuch für Militante“ nicht aus ihrer Feder stamme, ihr gar nicht bekannt sei. In alt bekannter Manier sprachen sie selbstbewusst davon, dass sie nicht so dusslig wie die Angeklagten seien „alle Normen einer klandestinen Aktion zu verletzten, um schnurstracks in eine vorbereitete Bullenfalle zu tappen“. Innerhalb des Einstellungsbündnisses gab es einige, die diese „selbstbewussten“ Worte als unsolidarisch empfanden, leider gab es jedoch keine Stellungnahmen des Bündnisses dazu. Das Einstellungsbündnis und die Solidarität mit den Angeklagten wurde von der mg mit keinem Wort erwähnt.
Die BAW interpretierte diese Abschlusserklärung der mg, wie so vieles andere zuvor, nach ihrem eigenen Geschmack. Sie griff das aus dem neuen mg-Text heraus, was ihr in den Kram passte und unterstellte es in ihrem Sinne einmal als wahr, das andere mal als falsch. Das wäre immer passiert, egal was die mg geschrieben oder formuliert hätte. Klar ist auch: Die BAW hätte in anderen Fällen oder bei anderem Prozessverlauf ganz anders, auch im Widerspruch zu ihren jetzigen Plädoyers, argumentiert. Insofern reden sie, wie es ihnen gerade opportun erscheint.
Das Gericht sah in dieser mg-Erklärung einen durchsichtigen Zweck: die Ent-
lastung der Angeklagten. Gleiches galt für zwei Beiträge und ein Vorwort in der „Interim“ Ende 2007 und Anfang 2008. In diesen Texten ging es um das „Mini-Handbuch für Militante“. Wenn diese Wortmeldungen in „radikal“ und „Interim“ tatsächlich auch ein Versuch gewesen sein sollen, das Mini-Handbuch als Beweisstück zu entkräften und Strafminderung für die Angeklagten zu erwirken, dann brachten sie nicht den erwünschten Erfolg. Das warf unter uns eine allgemeine Frage auf, zu der es unterschiedliche Meinungen gab: ob mensch für eine Strafmaßreduzierung bestimmte Mittel einsetzen darf und inwieweit dies politische Konsequenzen haben kann.