Einleitende Worte

Da ist sie wieder!

Nun hast du sie in der Hand – die Nummer 161 der langersehntesten, aber auch meist totgesagten Untergrundschrift RADIKAL. Einige werden jetzt sicherlich in Tränen ausbrechen, gegen Wände boxen, schlaflose Nächte erleiden und sich fragen, warum um Himmels Willen dieses verfluchte Blättchen nicht tot zu kriegen ist.
Nun ja, es liegt in der Natur der Radikal, dass sie sich nicht einstampfen und verbieten lässt – wir nennen dies mit unseren Worten ein nicht auszuschaltendes Bewusstsein für die Notwendigkeit eines unzensierten Organs der revolutionären Linken für Debatten um Perspektiven, Militanz und Organisierung. Dementsprechend wird diese Zeitung notfalls immer wieder von verschiedensten Leuten und Organisierungen mit revolutionärem Anspruch aufgerichtet und weiterentwickelt. Die Form der Organisation der Radikal spielt hierbei keine unwesentliche Rolle. Die Erfahrungen mit den Repressionsbehörden der BRD unterstreichen, dass es unerlässlich ist, sich von den Kinderschuhen an auch klandestin zu organisieren, wenn wir ernsthaft eine revolutionäre Perspektive entwickeln und voranbringen wollen (dazu weiter unten mehr). Denn ohne revolutionäre Debatten, keinen revolutionären Prozess.
Deshalb haben wir uns auch entschieden als eine neue Kombo die Zeitung wiederzubeleben und weiterzuführen. Nachdem sich die alte Reda-Crew nun schon viel zu lange nicht mehr mit neuen Ausgaben gemeldet hat, dachten wir “Schluss mit der Warterei” und haben die Verantwortung übernommen, als ein neues Redaktionskollektiv an den Start zu gehen.
Die Stärke der Zeitung sehen wir also vor allem im unzensierten Raum für revolutionäre Propaganda und Debatten, sehen aber auch Grenzen und Schwächen des Projektes hauptsächlich im Fehlen einer Linie und der fehlenden Bereitschaft, Verantwortung für einen revolutionären Organisierungsprozess zu übernehmen. Diese Schwächen wollen wir versuchen in der kommenden Reihe anzugehen. Doch stellen wir uns erstmal vor:

Wer sind wir?

Wir sind ein Zusammenschluss von Gruppen und AktivistInnen, die aus den verschiedenen Strömungen der revolutionären Linken kommen und auch auf unterschiedlichen Ebenen aktiv sind. Als Zusammenhang entstanden sind wir durch langjährige Diskussionen um und über die verschiedenen Beiträge der Militanzdebatte der letzten Jahre in Interim und der Radi. Was uns zusammengeführt hat, ist der gemeinsame Wille das in der Debatte Diskutierte in die Praxis umzusetzen und den widerstandsebenenübergreifenden revolutionären Aufbauprozess konkret voranzutrei-ben.
Wir haben uns als Organisierung „Revolutionäre Linke [RL]“ konstituiert. Als diese sind wir in erster Linie bestrebt, die Strömungen der revolutionären Linken mitzugestalten, voran-zutreiben und eine kontinuierliche Weiterentwicklung abzusichern.
Unsere ideologische Ausrichtung basiert dabei auf der Dialektik eines sozialrevolutionär-klassenkämpferischen (also antikapitalistisch, antirassistisch und antipatriarchal) und antiimperialistisch-internationalistischen Ansatzes mit der klar definierten Zentralperspektive des Kampfes für den Kommunismus. Proletarischer Klassenstandpunkt und proletarischer Internationalismus sind vor dem Hintergrund einer kommunistischen Befreiungsperspektive untrennbar, ein unauflösliches Band der eigenen Politik als revolutionäre Linke.
Unser strategischer Ansatzpunkt zielt auf die Schaffung und permanente Ausdehnung proletarisch-revolutionärer Autonomie auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen, d.h. auf politisch-ideologischem, kulturellem, organisatorischem, usw. Gebiet. Es geht uns darum, durch die Etablierung eigener revolutionärer Werte, Normen und Strukturen die Gegenmacht von unten aufzubauen. Durch das Stärken der eigenen Seite soll das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen dahingehend verschoben werden, dass die herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen aufgehoben und der Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft ermöglicht werden.
Uns ist natürlich völlig klar, ein Projekt wie die Revolutionäre Linke wird sich erst einen Platz innerhalb der antagonistischen Strömungslinken, in der Linken allgemein und in unserer Klasse schaffen müssen. Wir machen uns auf den Weg.
Auch wenn es doch recht oberflächlich blieb, wollen wir die Selbstdarstellung an dieser Stelle beenden, vieles soll ja gerade durch die Lektüre dieser so wichtigen Publikation, der wir unseren Stempel aufdrücken, konkreter werden. Soweit zu uns als Redaktions-kollektiv, wieder zurück zur Radi.

Was euch in dieser und in den kommenden Ausgaben erwartet:

Wie ihr euch sicher vor dem beschriebenen Hintergrund vorstellen könnt, wird sich das Gesicht der Radikal verändern. Wir wollen uns mit den neuen Ausgaben von der „schwarzen Reihe“ vor allem dadurch unterscheiden, dass die Radikal mehr als bisher einer politischen Linie folgen und aktiv eigene Ansätze entwickeln soll, also mehr als ein „bloßes“ Zur-Verfügung-stellen eines unzensierten Diskussionsraumes.
Olle Lenin in der ihm ganz eigenen Sprache: “dass man darum beginnen muss mit einer an alle Komitees und an alle übrigen Organisationen gerichteten Aufforderung, das wieder erscheinende Zentralorgan zu unterstützen, welches auf reale Weise alle Komitees faktisch miteinander verbinden und real eine Führergruppe für die ganze Bewegung heranbilden wird.“ (Lenin, „Was tun?”)
Doch gestern, wie heute gilt „wenn nicht starke politische Organisationen an den einzelnen Orten herangebildet werden, dann wird auch die beste (gesamtrussische) Zeitung ohne Belang sein“. Und richtig bleibt: “Notwendig ist die Aufforderung, eine revolutionäre Organisation zu schaffen, die fähig ist, alle Kräfte zu vereinigen, die sich nicht nur Leitung nennt, sondern die Bewegung tatsächlich leitet, d.h. stets bereit ist, jeden Protest und jeden Ausbruch zu unterstützen und zur Vermehrung und Festigung der für den entscheidenden Kampf tauglichen Streitkräfte auszunutzen“ (um den Genossen noch einmal zu zitieren).
Auch wenn unsere Begrifflichkeiten andere sind und wir einen „Avantgarde-Anspruch“ ablehnen, so sehen wir doch Parallelen, zumindest in einigen Funktionen, zwischen der Radikal, wie wir sie uns vorstellen und der guten alten „Iskra“, das Organ der Revolutionäre im damaligen zaristischen Russland. Die historische Situation, in der die Iskra entstand ist eine andere als wir sie heute in der BRD vorfinden. Ihre Konzeption ist natürlich nicht 1zu1 übertragbar. Dennoch, eine Intention der Zeitung war, die damals über das ganze zaristische Russland verteilten sozialdemokratischen Zirkel sowohl politisch als auch organisatorisch zusammenzubringen. So ist auch die Radikal im besten Falle der kollektive Agitator und Organisator einer revolutionären Linken.
So werden in Zukunft Debatten um einen gemeinsamen revolutionären Organisierungsprozess in diesem Zeitschriftenprojekt viel Raum bekommen. Natürlich sind wir an einer möglichst breiten Beteiligung von euch interessiert, werden aber auch eigenständig eine kontinuierliche Diskussion über die Kernfragen der ange-strebten revolutionären Perspektive durch eigene Beiträge vorantreiben und absichern. Diese werden wir durch die Signatur “Revolutionäre Linke [RL]” kenntlich machen. Auch die Aneignung der eigenen Widerstandsgeschichte als Revolutionäre Linke soll ausreichend Platz in dieser Zeitung finden. Wir wollen dabei an das von der „militanten gruppe“ angestoßene Geschichtsprojekt anknüpfen. Einsteigen werden wir in dieser Ausgabe mit einem Beitrag zu der us-amerikanischen Stadtguerilla „Weather“. Ein weiterer fester Bestandteil der neuen Reihe wird die Textreihe „Für ein revolutionäres Leben“ sein, aber lest selber dazu weiter hinten im Heft. Praxisanleitungen und ein vorher angekündigter Schwer-punkt, mit hoffentlich vielen Beiträgen von euch sollen die Radi darüber hinaus anreichern. Geplant ist auch einen möglichst breiten Überblick über aktuelle militante (und bewaffnete) Kämpfe der revolutionären Bewegung hier und anderswo zu gewährleisten, weil gerade dazu ein konzentrierter Nachrichtenüberblick im deutschen Blätterwald völlig fehlt. Der internationale Teil zu der Rubrik fehlt in dieser Ausgabe allerdings, da der mg-Schwerpunkt durch die liter-arische Genauigkeit der GenossInnen doch ein wenig ausgeufert ist. In Zukunft wird es auch internationale Neuigkeiten geben.

So, jetzt aber mal genug der Vorworte. Viel Spaß beim Lesen.
Eure radicien

Lest und lebt radikal!
Für den revolutionären Aufbauprozess!
Für den Kommunismus!

Quelle: radikal 161, Sommer 2009, Seite 3-4
http://home.arcor.de/radi161/texte/einleitung.html

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