Schwarzer Freitag

BERLIN. Von einem "schwarzen Tag für die Bürgerrechte" sprach gestern der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag. Zwar bezog er sich dabei auf das gerade vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung, das die längere Speicherung von
Telefondaten und das Abhören von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten künftig erlaubt. Montags Einschätzung trifft aber auch auf eine Erklärung der Bundesanwaltschaft zu, die gestern bestätigte, im vergangenen Mai vier Tage lang Briefe an die Berliner Zeitung und drei weitere Zeitungsredaktionen der Hauptstadt gefilzt zu haben.

Gegen das Licht gehalten

Die Post sei von Beamten des Bundeskriminalamtes untersucht worden, um Bekennerschreiben der linksradikalen Organisation "Militante Gruppe" (mg) zu finden, erklärte eine Sprecherin der Behörde. Die Redaktion der Berliner Zeitung protestierte mit der nebenstehend abgedruckten Erklärung scharf gegen das Vorgehen der Ermittler. Ähnliche Fahndungsmethoden wurden offenbar noch in einem Fall angewandt: Nach Angaben des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hat die Polizei Telefonate eines Redakteurs mit einem Informanten im Norddeutschland abgehört. Anlass für den Lauschangriff im Auftrag der Bundesanwaltschaft waren laut NDR Ermittlungen des Bundeskriminalamtes, bei denen es um den Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung ging. Dabei soll die Polizei Telefone von Verdächtigen abgehört haben.So wurden demnach auch die Gespräche mit dem Redakteur von NDR Info belauscht, der seit Jahren über politischen Extremismus berichtet. "Sollte sich der schwere Verdacht gegen die Sicherheitsbehörden bestätigen, dann stellte dies einen massiven Angriff auf die Rundfunk- und Pressefreiheit dar", protestierte NDR-Intendant Jobst Plog.

Auslöser der polizeilichen Überwachung der Post an vier Tageszeitungen war ein Brandanschlag am 18. Mai auf Polizeifahrzeuge in Spandau. In einer später von der taz veröffentlichten Erklärung bekannte sich die mg zu der Aktion. Nach dem Brandanschlag habe man Bekennerschreiben abfangen wollen, um Fingerabdrücke und DNA-Spuren auf den Briefen zu sichern, erklärte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Dazu hätten Beamte die im Berliner Briefverteilzentrum 10 zwischen dem 18. und 22. Mai eingehenden Postsendungen an die Redaktionen von Berliner Zeitung, Tagesspiegel, BZ und Morgenpost äußerlich untersucht. Auffällige Briefe seien gegen das Licht gehalten worden, um auf dem einliegenden Brief möglicherweise einen fünfzackigen Stern zu sehen, das Erkennungszeichen der mg. Zwei Briefe habe man geöffnet, der Inhalt sei entnommen und durch eine Kopie ersetzt worden. Anschließend habe man die Briefe an die Empfänger - die
BZ und die Morgenpost - weitergeleitet. Die Redaktionen wurden von dem Austausch der Briefe aber nicht in Kenntnis gesetzt.

Etwa zur gleichen Zeit wie in Berlin hatte die Bundesanwaltschaft im Mai auch in Hamburg Briefe in einem Verteilzentrum kontrolliert. Dies seien die einzigen Fälle von Postkontrolle gewesen, beteuerte die Sprecherin der Behörde.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit 2001 gegen die "Militante Gruppe", deren Existenz als straff organisierte Vereinigung aber selbst in Verfassungsschutzkreisen umstritten ist. Elf Personen wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Damit kommt der Terrorismus-Paragraf 129a zur Anwendung, der weitreichende Ermittlungsmöglichkeiten auch gegen Personen aus dem Umfeld der Verdächtigen erlaubt.
Im August waren vier angebliche mg-Mitglieder festgenommen worden. Einer von ihnen, der Berliner Wissenschaftler Andrej H., ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Und auch die drei anderen Untersuchungshäftlinge haben gute Aussichten, dass ihre Haftbefehle demnächst außer Vollzug gesetzt werden. Sie waren bei dem Versuch erwischt worden, Bundeswehr-Lkws in Brandenburg anzuzünden. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der
voraussichtlich in der übernächsten Woche die Haftbeschwerde der drei Männer entscheiden wird, hat schon Zweifel an der These der Bundesanwaltschaft geäußert, bei der mg handele es sich um eine Terrorgruppe. Der BGH-Senat hatte daher den Ermittlern kürzlich noch einmal eine Frist gesetzt, den Terrorvorwurf mit neuen Fakten zu untermauern.

Protest der Redaktion

Die Redaktion der Berliner Zeitung wandte sich gestern mit folgendem Schreiben an die Justizministerin Brigitte Zypries:

Sehr geehrte Frau Ministerin,

die Redaktion der Berliner Zeitung protestiert entschieden gegen die Kontrolle ihrer Post durch Beamte der Bundesanwaltschaft. Wir sehen darin einen Angriff auf die Pressefreiheit, denn Informanten unserer Zeitung können nicht mehr sicher sein, dass ihre Briefe unkontrolliert die Redaktion erreichen; sie müssen sogar befürchten, dass sie von
Ermittlungsbehörden abgefangen werden. Der Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis, unabdingbare Voraussetzungen für eine freie Presse, werden so unterlaufen. Wir fordern die Bundesanwaltschaft auf, Ermittlungsmethoden auf Kosten der Pressefreiheit zu unterlassen.

Mit freundlichem Gruß

Josef Depenbrock
Chefredakteur

Ewald B. Schulte
Sprecher Redaktionsausschuss