Revision im „MG-Prozess“
Nach dem mündlichen Urteil des 1. Strafsenats des Berliner Kammergerichts (vergleichbar mit den Oberlandesgerichten in anderen Bundesländern) vom 16. Oktober 2009 ging die Hundert Seiten starke schriftliche Urteilsbegründung Ende Februar 2010 bei den ehemals Angeklagten Axel H., Florian L. und Oliver R. ein.
Den Dreien wurde aufgrund von „Ermittlungsergebnissen“ der Bundesanwaltschaft (BAW) in der Klageerhebung ein versuchter Brandanschlag auf drei Bundeswehr-LKWs im Sommer 2007 in Brandenburg/Havel zum Vorwurf gemacht, den sie als Mitglieder in der „kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB) „militanten gruppe“ (mg) verübt haben sollen. Die mg bekannte sich in der Zeit ihres Bestehens (2001 bis 2009) zu etwa 25 Brandanschlägen in der Regel auf staatliche und privatwirtschaftliche Einrichtungen. Der Prozess gegen die drei antimilitaristischen Linken zog sich über 60 Verhandlungstage und fast 13 Monate hin. Durch diesen Staatsschutzprozess sollte ein Kapitel der militanten Linken in der BRD juristisch abgeurteilt und erledigt werden.
In dem schriftlichen Kammergerichtsurteil wird nach dem Ausbreiten der „persönlichen Verhältnisse“ der ehemaligen Angeklagten ein Profil der mg entworfen: „Das Endziel des Zusammenschlusses war darauf gerichtet, im Wege einer ‚Dialektik aus einem sozialrevolutionären und antiimperialistischen Kampf‘ die gegenwärtigen politischen, verfassungsrechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu beseitigen und eine kommunistische Weltgesellschaft als klassenlose, ausbeutungs- und unterdrückungsfreie Gesellschaftsform zu schaffen.“ In dem Schriftstück des 1. Strafsenats werden des weiteren neben der Indizienkette zum Hergang des versuchten Brandanschlags in Brandenburg/H. alle Brandanschläge aufgelistet, die der mg zugeschrieben werden, um die „Brandgefährlichkeit“ dieser Gruppe darzulegen.
Das als authentisch angesehene Interview mit der mg, das im Juli 2009 in der konspirativ hergestellten und vertriebenen Zeitschrift „radikal“ Nr. 161 erschien, wird dagegen durch das Kammergericht mit keinerlei Beweiswert bedacht.
Das verwundert wenig, denn dies hätte bedeutet, dass das Anklagekonstrukt in sich zusammengefallen wäre. Die mg erklärt darin nämlich ausdrücklich, dass weder die drei ehemals Angeklagten Mitglieder der mg seien bzw. gewesen waren, noch, dass das bei Florian L. gefundene „Mini-Handbuch für Militante“ aus der „Schreibstube“ der mg stamme. Darüber hinaus hatte sich die mg zu drei weiteren Brandanschlägen bekannt, um zum einen ihre Aktionsfähigkeit zu unterstreichen und zum anderen ihre Auflösung sowie ihren „Transformationsprozess“ mitzuteilen.
So kam es, wie es im Drehbuch bei Staatsschutzprozessen vorgesehen ist: eine Verurteilung nach einem Vereinigungsdelikt, in dem Falle nach §129 (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung). Und im Abschnitt der „Strafzumessung“ heißt es: „Bei dem Angeklagten L. fiel strafmildernd seine krankheitsbedingte besondere Haftempfndlichkeit ins Gewicht. Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte hat der Senat auf Freiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten für die Angeklagten H. und R. sowie drei Jahren für den Angeklagten L. erkannt. Diese Strafen sind schuldangemessen und ausreichend, aber auch erforderlich, um den Angeklagten das begangene Unrecht eindrücklich vor Augen zu führen und sie von weiteren Taten abzuhalten.“
Das Berliner Einstellungsbündnis, das die Betroffenen der einzelnen mg-Verfahren über einen langen Zeitraum bis zum heutigen Tage solidarisch begleitet hat, kommentiert das schriftliche Urteil wie folgt: „Die Begründung, warum die militante gruppe überhaupt eine kriminelle Vereinigung nach §129 sein soll, ist auch in der schriftlichen Urteilsbegründung äußert dünn. Dass die militante gruppe in dem für das Urteil relevanten Zeitraum (2005 - 2007) dauerhaft aus mindestens drei Mitgliedern bestand, ist nicht schlüssig belegt. Das aber ist die Voraussetzung für die Anwendung des Paragraphen 129. Das schriftliche Urteil weißt starke Parallelen zu den Plädoyers der Bundesanwaltschaft (BAW) auf. Die BAW hat mit ihren Plädoyers also gute Vorarbeit für die Richter geliefert. Dem BKA-Beamten Oliver Damm, der das Gericht belogen hat, weil er die Beteiligung des BKA an der Militanzdebatte verschweigen wollte, wird in der Urteilsbegründung sogar bescheinigt, ‚glaubhaft‘ zu sein. Bei der schriftlichen Fassung hat sich das Gericht nicht viel Mühe gegeben, was sich vor allem daran zeigt, dass in dem Abschnitt ‚Feststellung zum Tatgeschehen‘ Aspekte der Beweiswürdigung und im Abschnitt ‚Beweiswürdigung‘ Aspekte der Darstellung des Sachverhalts finden.“
Die AnwältInnen der drei Linken haben gegen dieses schriftliche Kammergerichtsurteil fristgerecht einen Revisionsantrag eingebracht, der nun in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof liegt und erfahrungsgemäß in den kommenden Monaten „als unbegründet“ abgelehnt wird. Danach wird den drei „Kriminellen“ der Termin für den baldigen Haftantritt zugestellt.
Post von der Bundeswehr
Auch die Bundeswehr verfolgt die Absicht, auf der Woge der aus Staatsschutzsicht erfolgreichen Verurteilung nach §129 StGB ungeniert mitzuschwimmen. Bereits vor dem eingegangenen schriftlichen Urteil des Kammergerichts schrieb die Wehrbereichsverwaltung Ost mit Sitz im brandenburgischen Strausberg jeweils den drei vermeintlichen brandstiftenden mg-Mitgliedern: „Sehr geehrter Herr X, nach den mir vorliegenden Unterlagen haben Sie am 26.02.2003 in 15345 Petershagen-Eggersdorf; Am Fuchsbau 1 vor dem Mercedes-Autohaus Weilbacher gemeinschaftlich handelnd mit XY und XZ einen Brandanschlag auf zwei Lastkraftwagen der Bundeswehr mit den amtlichen Kennzeichen Y-314 296 und Y-904 640 verübt. Beide Lastkraftwagen wurden bei diesem Brandanschlag zerstört. Der Bundesrepublik Deutschland ist dabei ein Schaden in Höhe von 47.231,62 Euro entstanden.“
Allerdings wurde keiner von den Dreien wegen des zitierten Brandanschlags weder angeklagt noch verurteilt!