Kein rechtsstaatliches Verfahren und keine Plädoyers im mg-Prozeß

Die Verteidiger der im Berliner mg-Verfahren Angeklagten halten aus Protest keine Plädoyers

Der Rechtsstaat stößt nicht an seine Grenzen, er offenbart in diesem Fall seine tatsächliche Gestalt

Nach über einjähriger Verhandlungsdauer steht die Urteilsverkündung in dem sogenannten mg-Verfahren vor dem 1. Senat des Berliner Kammergerichts unmittelbar bevor. Am kommenden Freitag wird der Staatsschutzsenat im Namen des Volkes Urteile gegen vier wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung namens "militante gruppe" Angeklagte sprechen, von denen drei darüber hinaus einer versuchten Brandstiftung beschuldigt werden. Dieser Fall ist ein politischer Fall, wiewohl Strafrechts- und Verfassungslehre sowie die Buchstaben der einschlägigen Gesetzesvorschriften stets bestreiten würden und dies wegen des Rechtsstaatsgebots der Bundesrepublik Deutschland auch bestreiten müssen, daß es überhaupt so etwas wie ein politisches Strafrecht geben könne. Über diesen Begriff, mit dem zum Ausdruck gebracht wird, daß die zuständigen staatlichen Organe, zu denen sich neben den offiziellen Ermittlungsbehörden - wie in diesem Fall geschehen - auch noch der Verfassungsschutz gesellt mit den ihnen zur Verfügung stehenden (Straf-) Verfolgungsmitteln gegen politisch unliebsame Oppositionelle vorgehen, ließe sich tatsächlich streiten, jedoch einzig und allein deshalb, weil die Grenzziehung zu "unpolitischen" Straftaten, die von der politischen Repression klar zu trennen seien, bei näherem Nachfassen womöglich schwer zu bewerkstelligen ist.

Das sogenannte mg-Verfahren weist von seinem Beginn an alle Attribute gezielter politischer Kriminalisierung auf. In ihm wurde der bis dahin für die innenpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu konstatierende Status Quo (un-)rechtsstaatlicher Strafverfolgung und polizeilicher Überwachung und Einschüchterung auf ein bis dahin nicht erreichtes Maß angehoben. Im Kern geht es in diesem Ermittlungs- und späteren Strafverfahren um die sogenannte "militante gruppe", die nach Erkenntnissen und Einschätzungen der Strafverfolgungsorgane seit Juni 2001 in Berlin und Brandenburg zahlreiche Brandanschläge verübt haben soll, bei denen zwar Sachschäden entstanden, Menschen jedoch nicht gefährdet wurden. Mangelnde Ermittlungsergebnisse und fehlende Spuren führten im Laufe der Jahre zu einer erheblichen Drucksituation auf Seiten der Fahnder, denen zwar von ihnen als authentisch eingestufte Bekennerschreiben der mg vorlagen, jedoch keinerlei heiße Spuren.

In dieser Situation wurde das BKA innovativ. Nach Informationen der Rechtsanwältin Christina Clemm, die einen der im mg-Verfahren Beschuldigten, den Berliner Soziologen Andrej H., vertritt, gehe das Verfahren gegen ihren Mandanten auf eine "Internetrecherche des Bundeskriminalamtes mit Hilfe des Suchportals Google" [1] zurück mit der Folge, daß gegen H. wie auch drei weitere Beschuldigte Haftbefehl wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a erhoben wurde. Dies hatte für die Betroffenen drastische Folgen. Nach BKA-Logik belege das Vorkommen bestimmter soziologischer Fachbegriffe - "Gentrification" oder "Prekarisierung" - in den Schriften des beschuldigten Soziologen einerseits und in den mg-Erklärungen andererseits die Mitgliedschaft des Wissenschaftlers in der zunächst zu einer terroristischen erklärten, nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) jedoch "nur" noch als kriminelle Vereinigung eingeschätzten "militanten gruppe".

Eine solche Argumentation stellt einen Dammbruch in der Geschichte der bundesdeutschen Strafverfolgung dar und führte denn auch schon vor zwei Jahren zu massiven, auch internationalen Protesten. Andrej H. wurde am 31. Juli 2007 festgenommen. Als Indiz für die ihm unterstellte mg-Mitgliedschaft wurde sein Kontakt zu einem der drei weiteren, unter derselben Beschuldigung am selben Tag verhafteten späteren Mitangeklagten, Florian L., herangezogen. Florian L., Oliver R. und Axel H. - sie alle hatten, ohne es zu wissen, seit langem unter Observation der Staatsschützer gestanden - wurden bei dem Versuch, drei Lastkraftwagen der Bundeswehr in Brand zu setzen, wie es seinerzeit in einer Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft geheißen hatte, festgenommen. Unerklärlich oder vielmehr sehr wohl erklärlich ist, warum gegen die drei Berliner nicht von der zuständigen Staatsanwaltschaft Potsdam wegen versuchter Brandstiftung ermittelt wurde.

Tatsächlich waren BKA, Bundesanwaltschaft und, wie zu vermuten steht, als weitgehend ungenannter Dritter sogar der Verfassungsschutz die Regieführenden in diesem Verfahren, weil sie, zutiefst von dem Interesse getrieben, nach vielen erfolglosen Fahndungsjahren endlich nicht nur verdächtige, sondern auch verurteilte mg-Mitglieder präsentieren zu können, aus einem Fall bestenfalls mittlerer Kriminalität einen Terrorprozeß machen wollten. Die drei Festgenommenen, die gewaltsam aus ihrem Auto gezerrt worden waren, wobei ihnen Schnittverletzungen durch die zerschlagenen Fensterscheiben zugefügt wurden, wurden per Helikopter nach Karlsruhe geflogen und anschließend allen verschärften Haftbedingungen unterworfen, die der Fahndungsparagraph 129a eigens für solche repressiven Zwecke zur Verfügung stellt. Nach zwei Monaten Untersuchungshaft wurde Andrej H. entlassen, nachdem der Staatsschutzsenat des Bundesgerichtshofs zu der Auffassung gelangt war, es sei nicht sehr wahrscheinlich, daß er Mitglied in einer terroristischen Vereinigung gewesen sei. Die Indizien für eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten, so befand der BGH in seinem am 24.10.2007 veröffentlichten Beschluß, ließen sich ebensogut in anderer Weise interpretieren.

Die drei übrigen Inhaftierten kamen Ende November 2007 frei nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes, derzufolge die "militante gruppe" gar keine terroristische Vereinigung sei. Eine solche Einordnung sei nur zulässig, "wenn die Taten dazu bestimmt sind, staatsgefährdende Ziele zu erreichen und darüber hinaus durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können", hieß es in der Begründung. Fortan mußten die Ermittlungen nach Paragraph 129 geführt werden, hatte doch der BGH keineswegs ausgeschlossen, die mg als kriminelle Vereinigung zu verfolgen. Doch nach wie vor völlig ungeklärt war die den insgesamt sieben Beschuldigten zur Last gelegte Mitgliedschaft in der mg, für die es bis heute, auch nach der über einjährigen Verhandlung, keinen Beweis gibt.

Dies veranlaßte unter anderem die Verteidiger der vier Angeklagten in einem aufsehenerregenden Schritt, auf ihre strafprozessuale Möglichkeit zu verzichten, am Ende des Verfahrens unter Berücksichtigung und Würdigung der vorherigen Beweisaufnahme zugunsten ihrer Mandanten zu plädieren, was in einer am heutigen Mittwoch herausgegebenen Pressemitteilung des Einstellungsbündnisses wie folgt begründet wurde [2]:

Wir werden in diesem Verfahren mit den offenkundigen Grenzen des Rechtsstaats konfrontiert. Deshalb verzichten wir auf ein Plädoyer. Wir kapitulieren damit vor den politischen Vorgaben, die diesen Prozess bestimmen.

In diesem Verfahren ging es nie um eine unvoreingenommene Beweisaufnahme. Zu groß war der Druck, endlich Erfolge in Sachen mg vorweisen zu können, nachdem jahrelang erfolglos gegen die Gruppe ermittelt worden ist. Dieser Druck lässt sich in den Ermittlungen nachweisen und er wird sich - so unsere Befürchtung - im Urteil gegen unsere Mandanten niederschlagen. (...)

Wir haben die Hoffnung aufgegeben, mit unseren Argumenten vor Gericht Gehör zu finden. Weil wir den Eindruck gewonnen haben, gegen den politischen Druck nichts ausrichten zu können, haben wir uns dazu entschlossen, nicht zu plädieren.

In dem Strafverfahren hatte sich nämlich gezeigt, daß das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst, in diesem Fall dem Verfassungsschutz, grundlegend mißachtet worden war. Der Verteidigung waren zudem umfangreiche Akten vorenthalten worden und als diese, nachdem sie sich dagegen gerichtlich zur Wehr gesetzt hatte, schließlich Akten des BKA nachgereicht bekam, enthielten diese einen weiteren Fauxpas, der das gesamte Verfahren endgültig zu einer rechtstaatlichen Farce werden ließ. Einem Telepolis-Bericht [3] zufolge mußte ein Polizeizeuge, Kriminalhauptkommissar Oliver Damm, vor Gericht zugeben, daß das BKA selbst mg-Erklärungen verfaßt und veröffentlicht hatte:

Konkret hatten Polizeibeamte unter dem Pseudonym "Die zwei aus der Muppetshow" geschrieben:

Kein Wort auf Indymedia und nichts in der Interim (noch nicht mal im geschmeidigen Vorwort). Und wo spuckt die Suche im Nirwana uns die Wirklichkeit aus? Und auch die bürgerliche Presse schweigt auf der Suche nach Wahrheit. Ausgerechnet auf der Homepage der BKA-Schergen (ein Tabu wird gebrochen) müssen wir uns ob der Zielgenauigkeit der Aktion eines Besseren belehren lassen, wie tief müssen wir noch sinken?

BKA-Text in "Interim" unter dem Titel "Über die Waffen der Kritik oder die Kritik der Waffen oder Quo Vadis mg?"

Die Entscheidung der Verteidiger, zur rechtsstaatlichen Maskierung einer politischen Verfolgungsmaßnahme gegen Angeklagte, denen der Versuch einer Brandstiftung, nicht jedoch die mit einer ungleich schwereren Strafe bedrohte Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen werden könnte, in einem Verfahren, in dem rechtsstaatliche Anforderungen massiv und systematisch mißachtet wurden, nicht durch Plädoyers beizutragen, ist insofern nur angemessen. Dies verdeutlicht mehr als alles andere, in welch einem Ausmaß sich die bundesdeutsche Strafjustiz in politischen Verfahren, die es ihrer Behauptung nach nicht gibt und nicht geben kann, bereits als blankes Mittel zur politischen Verfolgung Andersdenkender demaskiert hat. Die Einschätzung der Anwälte, hier seien rechtsstaatliche Grenzen erreicht, greift insofern noch zu kurz.

Anmerkungen

[1] "Gentrification" und "Prekarisierung", von Peter Mühlbauer, Onlinemagazin telepolis, 23.08.2007

[2] Verteidigung im mg-Verfahren verzichtet auf Plädoyer: "Grenzen des Rechtsstaats erreicht", Pressemitteilung des Bündnisses für die Einstellung der §129-Verfahren c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte e.V., www.einstellung.so36.net, 14. Oktober 2009

[3] Militante Ermittler, von Harald Neuber, Online-Magazin Telepolis, 1. April 2009, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30054/1.html

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