Anwälte kapitulieren
Verteidigung verzichtet im »militante gruppe«-Prozess auf Plädoyers
Ein ungewöhnlicher Schritt: Im Prozess gegen drei Berliner Linke wegen Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« verzichteten die Rechtsanwälte auf ihren Schlussvortrag. In dem Prozess sei es nie um eine unvoreingenommene Beweisaufnahme gegangen. Die Urteile werden am Freitag verkündet.
Statt des üblichen Plädoyers verlas Verteidiger Olaf Franke am Mittwochmorgen lediglich eine fünfminütige Erklärung, in der er die Konflikte des seit mehr als einem Jahr laufenden Prozesses gegen drei Männer, denen eine Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) vorgeworfen wird, zusammenfasste. Die Vorwürfe, die sich der fünfköpfige Staatsschutzsenat des Kammergerichts anhören musste, haben es in sich: Das Gericht stigmatisiere durch seine rigide Sicherheitsverfügung Angeklagte und Prozessbesucher, es bemühe sich nicht, der Verteidigung vollständige Einsicht in die Ermittlungsakten zu gewähren und zeige kein Aufklärungsinteresse gegenüber einer bekannt gewordenen Aktenmanipulation und Lüge eines BKA-Zeugen. »Weil wir den Eindruck gewonnen haben, gegen den politischen Druck nichts ausrichten zu können, haben wir uns dazu entschlossen, nicht zu plädieren«, endet die Stellungnahme der Anwälte. Der Vorsitzende Richter Josef Hoch zeigte sich irritiert. Er beendete nach 20 Minuten die Verhandlung und kündigte für Freitag die Urteilssprüche an.
Die Bundesanwaltschaft hatte Haftstrafen zwischen drei und dreieinhalb Jahren gefordert. Für Staatsanwältin Greger haben sich alle Anklagepunkte bestätigt. Die Männer im Alter zwischen 37 und 48 Jahren sollen im Juli 2007 in Brandenburg/Havel Brandsätze unter Bundeswehrfahrzeugen deponiert haben, die aber vor der Zündung entfernt werden konnten.
Gregers Kollege Jochen Weingarten gestand allerdings ein, dass für eine Mitgliedschaft der Angeklagten in der »militanten gruppe« keine Beweise erbracht werden konnten. Das lange Schweigen der Gruppe nach den Festnahmen im Sommer 2007 lasse allerdings den Schluss zu, dass die »mg« von den Verhaftungen stark getroffen worden sei. Die Gesamtheit der Indizien reiche für eine Verurteilung aus.
Ein Indiz sind zwölf Seiten des »Minihandbuchs für Militante«, die bei einem Beschuldigten gefunden wurden. Es ist ein unveröffentlichtes Papier, das der »mg« zugeschrieben wird. Ein weiteres Indiz sind mehrere Einträge des Vermerks »Auto« im Kalender eines Angeklagten. An fünf dieser Tage hat die »mg« Anschläge verübt.
Seit seiner Gründung 2001 bekannte sich die »mg« zu insgesamt 27 Brand- und Farbbeutelanschlägen vor allem im Berliner Raum. Ziel waren u. a. Fahrzeuge von Behörden und Einrichtungen, die der Gruppe zufolge für die staatliche Abschiebepolitik, Irakkrieg oder Hartz IV stehen. Im Juni 2009 erklärte die »mg« ihre Auflösung, was die Bundesanwaltschaft jedoch nicht akzeptierte. Die Gruppe habe sich nur umorientiert.
Dem Phänomen »mg« war von Seiten der Polizeibehörden nur schwer beizukommen. Die Bundesanwaltschaft ermittelte seit 2001 gegen insgesamt zwölf Männer. Weil sich der Anfangsverdacht nicht erhärtete, mussten die Verfahren gegen acht Betroffene eingestellt werden. Auch das gegen einen mitbeschuldigten Wissenschaftler steht vor der Einstellung. Die dünne Beweislage zieht sich bis in den Prozess. Wer die »mg« gegründet hat, wisse man nicht, so Staatsanwalt Weingarten.
Die Angeklagten Axel H., Florian L. und Oliver R. schweigen zu den Vorwürfen. Nach vier Monaten Untersuchungshaft mussten sie entlassen werden, weil der Bundesgerichtshof feststellte, dass die Taten der »mg« die Weiterexistenz des Staates nicht gefährden können. Die »mg« sei deshalb nicht als terroristische Vereinigung nach Paragraf 129a, sondern als kriminelle Organisation nach Paragraf 129 zu werten. Damit halbierte sich auch die mögliche Höchststrafe von zehn auf fünf Jahre Haft.
Im September 2008 begann der Prozess in Berlin-Moabit. Im März stand die Weiterführung kurzzeitig auf der Kippe, als bekannt wurde, dass das Bundeskriminalamt Prozessakten manipulierte. Durch eine Kopier-Panne gelangte eine geheim gehaltene Seite in die Hände der Anwälte. Sie belegte, dass sich die Behörde an der von der »mg« initiieren Militanzdebatte in der Autonomen-Zeitschrift »Interim« beteiligt hatte, um die »mg« zu einer Stellungnahme zu provozieren.
Wiederholt machten die Rechtsanwälte durch Aktenbelege deutlich, dass der Verfassungsschutz maßgeblich das Verfahren steuerte. Auch die Anklage nach Paragraf 129 basiert unter anderem auf einem angeblichen Spitzel, dessen Informationen sich allerdings als »vom Hörensagen« und damit als juristisch wertlos entpuppten.