Finale im Kriminalgericht
Im mg-Verfahren wird morgen das Urteil gesprochen. Verteidiger rechnen mit Haftstrafen für die drei Angeklagten – und verzichten auf Plädoyers
Am Schluß ging alles ganz schnell. Nach über einem Jahr Verhandlungsdauer endete der 62. Prozeßtag am Mittwoch nach gerade mal 20 Minuten. Eigentlich sollten die Strafverteidiger der drei Angeklagten ihre Plädoyers halten. Doch die Anwälte verzichteten überraschend auf die abschließenden Vorträge und verlasen statt dessen nur eine kurze Erklärung. »Wir haben die Hoffnung aufgegeben, mit unseren Argumenten vor Gericht Gehör zu finden, weil wir den Eindruck gewonnen haben, gegen den politischen Druck nichts ausrichten zu können«, begründete Rechtsanwalt Olaf Franke diese Entscheidung gestern im Saal 129 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit. Dort verhandelt der fünfköpfige Staatsschutzsenat seit September 2008 gegen Oliver R., Axel H. und Florian L. Den Linken wird vorgeworfen Ende Juli 2007 versucht zu haben, auf einem Gelände der Firma MAN in Brandenburg/Havel mehrere Bundeswehr-LKW anzuzünden. Zudem sollen sie der linksradikalen »militanten gruppe« (mg) angehören, der von 2001 bis zu ihrer Selbstauflösung im Juli 2009 insgesamt 25 Anschläge auf öffentliche und private Einrichtungen zugerechnet werden.
Rückblick: Im Juni 2001 erhielten der Regierungsbeauftragte für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, sowie zwei Repräsentanten der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft anonyme Drohschreiben. »Auch Kugeln markieren einen Schlußstrich«, stand unter anderem in den Briefen, denen auch jeweils eine scharfe Patrone beigelegt war. Die Entschädigungssumme für die während der Nazizeit von deutschen Unternehmen ausgebeuteten Zwangsarbeiter sei nicht ausreichend, begründete die »mg« diese Aktion. Die Bundesanwaltschaft (BAW) leitete daraufhin ein Verfahren gegen Unbekannt ein. Schnell geraten linke Aktivisten und Wissenschaftler ins Visier der Ermittler.
Einer von ihnen ist der Soziologe Andre Holm. Mehrere Vokabeln in seinen Veröffentlichungen würden mit Formulierungen übereinstimmen, die auch von der »mg« in ihren Bekennerschreiben verwendet werden, vermerken Fahnder das Bundeskriminalamt (BKA) in ihren Berichten. BKA und Verfassungsschutz starten eine gigantische Ausspähaktion. Beamte hören Telefongespräche ab, Spezialisten installieren Videokameras vor Wohnungen und plazieren Sender in Fahrzeugen von Verdächtigen. Staatsschützer protokollieren Banküberweisungen, und Zivilpolizisten observieren Dutzende Personen. Anfang 2007 beobachten Beamte eine Verabredung von Holm mit dem bis dahin polizeilich völlig unauffälligen Berliner Florian L. Als »Geheimtreffen« interpretieren die Kriminalisten diese Begegnung, da der Soziologe Holm ohne sein Mobiltelefon erschienen war. Von nun an werden die beiden nahezu lückenlos überwacht. In der Nacht zum 31. Juli 2007 wird Florian L. zuammen mit den zwei jetzt ebenfalls Angeklagten in der Nähe des MAN-Geländes festgenommen. Polizisten hatten dort kurz zuvor Plasteflaschen mit glühenden Kohleanzündern unter mehreren Armeefahrzeugen gefunden. Wer die Brandsätze deponiert hatte konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Doch nach Ansicht von Staatsanwalt Jochen Weingarten reichen die Indizien für eine Verurteilung. Eine Haftstrafe von drei bis zu dreieinhalb Jahren forderte er. Am morgigen Freitag muß der Senat nun entscheiden, ob die Ergebnisse der jahrelangen Ermittlungen für einen Schuldspruch ausreichen.
Die Strafverteidiger sind eher pessimistisch. Zwar spräche nichts für eine »mg«-Mitgliedschaft ihrer Mandanten, doch der Senat habe vor allem die Interessen der Ankläger vertreten, kritisieren sie. Zudem seien mit rigiden Einlaßkontrollen sowie durch die permanente Präsenz von schwerbewaffneten Polizisten im Gerichtssaal, Prozeßbesucher eingeschüchtert und die Angeklagten vorverurteilt worden. Die Anwälte kündigten bereits an, eventuell Revision gegen das Urteil einlegen zu wollen. Unterstützer der Beschuldigten wollen sich morgen um 11 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude (Turmstraße 91) versammeln.
Außerdem in der Jungen Welt vom gleichen Tag: "Abgeschrieben: mg-Verfahren: Verteidiger kapitulieren" (Dokumentation der anwaltlichen Presseerklärung): http://www.jungewelt.de/2009/10-15/049.php