»Ich habe kein faires Verfahren erwartet«
Für die Beweisaufnahme gegen Berliner Kriegsgegner im »mg«-Verfahren schrieben Kriminalbeamte sogar in der linksradikalen interim. Ein Gespräch mit Sven Lindemann. Sven Lindemann ist Rechtsanwalt und einer der Strafverteidiger im Berliner »mg«-Verfahren
Seit September 2008 verhandelt das Berliner Kammegericht gegen drei Kriegsgegner, denen ein versuchter Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge sowie die Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) vorgeworfen wird. Welches Resümee ziehen Sie nach zehn Monaten Prozeßdauer?
Die Verteidigung hat kein faires Verfahren erwartet, und diese Erwartung hat sich bestätigt. Unseren Mandanten wird von einem Sondergericht unter Sondergesetzen und Sonderbedingungen der Prozeß gemacht. Für eine abschließende Bewertung ist es sicher zu früh. Aber eines kann man jetzt schon sagen: Nicht das Gericht ist der Herr dieses Verfahrens ist, sondern Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft (BAW) und Bundeskriminalamt (BKA).
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Wir haben erlebt, daß das BKA Akten unterdrückt und manipuliert hat. So mußte ein BKA-Beamter zugeben, daß »verschiedene Versionen« von Akten erstellt worden sind. Eine Version für BKA und BAW; eine andere für Gericht und Verteidigung. Wir haben erlebt, daß Kriminalbeamte unter falschem Namen an einer Debatte über Militanz in der linken Zeitschrift interim teilgenommen haben und das dies der BKA-Ermittlungsführer im Prozeß verschweigen wollte. Dafür schreckte er nicht mal vor einer Lüge zurück. Und wir haben erlebt, wie BKA-Beamte sich bei vielen unserer Fragen auf ihre angeblich fehlenden Aussagegenehmigungen zurückgezogen haben und der Vorsitzende Richter das gedeckt hat. Ein anderes Beispiel: Die Bundesanwaltschaft besitzt eine Vielzahl von Akten, die sie vollkommen willkürlich in das Verfahren einführt. Oder eben auch nicht. So haben wir als Verteidiger erst nach einem dreiviertel Jahr jene Akten bekommen, die von uns bereits im August 2008 beantragt wurden.
Was bedeutet das für den Prozeß?
Es zeigt, wie wenig ernsthaftes Interesse an einer Aufklärung besteht. Eine Wahrheitsfindung ist so jedenfalls nicht möglich und – rein juristisch betrachtet – müßte das Verfahren eingestellt werden.
Das wird kaum passieren.
Natürlich nicht. Aber es gibt neben der juristischen, eben auch eine politische Ebene. Und aus dieser Perspektive haben BAW und BKA schon jetzt verloren.
Wie kommen Sie zu so einer optimistische Sichtweise?
Weil die Öffentlichkeit sehr wohl registriert hat, mit welch fragwürdigen Methoden die Strafverfolgungsbehörden in den letzten Monaten agiert haben.
BKA und Verfassungsschutz (BfV) haben die Angeklagten und deren Umfeld jahrelang ausgeforscht. Es gibt zwar Indizien, aber bisher keine Beweise, die Ihren Mandaten zweifelsfrei der Mitgliedschaft in der »mg« überführen könnten. Wie beurteilen Sie diese Diskrepanz zwischen Aufwand und Ergebnis der Überwachungsmaßnahmen?
Das ist tatsächlich interessant. Man braucht nur einmal die Aufklärungsrate bei Kapitalverbrechen, also Mord oder Todschlag, zu betrachten. Bei weit über 90 Prozent dieser Delikte können die Täter zweifelsfrei überführt werden. Nun sind ausgerechnet BKA und Verfassungsschutz jene Behörden in der BRD, die personell und logistisch am besten ausgestattet sind. Daß die Beweislage dennoch so dürftig ist, kann zwei Ursachen haben. Entweder sind die vermeintlichen Terroristen so clever, daß sie sich diesem riesigen Apparat erfolgreich entziehen konnten. Zumindest auf Dauer ist so etwas eher unwahrscheinlich. Oder aber die Personen, die ins Fadenkreuz der beiden Behörden geraten sind, haben mit den Vorwürfen nichts zu tun. Das dürfte naheliegender sein.
Nach insgesamt 48 Verhandlungstagen hat das Gericht die Beweisaufnahme abgeschlossen. In den folgenden Wochen können nun die Verteidiger Zeugen vorladen lassen. Was haben Sie geplant?
Es wird sicher einige Beweisanträge von meinen Kollegen und mir geben. Genaueres möchte ich aber jetzt noch nicht sagen. Außerdem wird der weitere Verlauf auch davon abhängen, inwieweit das Gericht unseren Anträgen folgt oder ob versucht wird, alles abzubügeln. Doch unabhängig davon denke ich, daß es noch die eine oder andere Überraschung geben wird.
Die nächsten Prozeßtermine: 15./16. Juli 2009, jeweils 9 Uhr im Gerichtsgebäude Berlin-Moabit, Wilsnacker Straße 4, Saal B129
Weitere Informationen und Möglichkeiten, die angeklagten Kriegsgegner zu unterstützen unter: www.einstellung.so36.net