Kampf um die Ermittlungsakten

In politischen Strafverfahren verweigern Behörden oft die Akteneinsicht, um fragwürdige Ermittlungsmethoden zu vertuschen

Im Prozess gegen die drei wegen Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) beschuldigten Männer kritisieren die Verteidiger von Anfang an, dass ihnen Ermittlungsakten vorenthalten werden. Offenbar halten die Ermittlungsbehörden entscheidendes Material zurück. Zu einem rechtsstaatlichen Verfahren passt das wenig. Worum geht es beim Streit um die Akten?

In einem Strafprozess sind die Ermittlungsakten von zentraler Bedeutung. Ob er mit einem Freispruch oder einer Verurteilung endet, hängt maßgeblich davon ab, was die Staatsanwaltschaft zusammentragen kann und welche Schlüsse sie aus welchen Hinweisen zieht. Die Verteidigung kann deshalb in der Regel die Akten einsehen. In politischen Strafprozessen nach Paragraph 129, 129a oder 129b muss sie sich jedoch dieses Recht oft erst erkämpfen.

Im laufenden Prozess gegen drei Berliner wegen Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« (mg) streiten sich Anklage und Verteidigung immer wieder um Akten. Bereits nach Anklageerhebung im Sommer 2008 wiesen die Rechtsanwälte auf fehlende Bestände hin. Sie stellten in den gelieferten Prozessakten Bezüge zu Dokumenten fest, die sich nicht in den vorhandenen Unterlagen befinden. Außerdem beantragten sie Einsicht in Akten aus früheren mg-Verfahren, die eingestellt werden mussten, weil sich Annahmen und Schlussfolgerungen des BKA als falsch erwiesen hatten.

»Nur für die Handakte: Text wurde vom BKA verfasst und an die Interim versandt«

Für die Anwälte sind diese Schriftstücke interessant, weil sie entlastendes Material für ihre Mandanten enthalten können. Die Bundesanwaltschaft (BAW) erwiderte auf die Anträge der Verteidigung aber lapidar, die fehlenden Akten seien für die zu verurteilende Tat nicht relevant. Dabei wären mehr Hintergründe und Informationen gerade bei einer auf Indizien beruhenden Anklage nach dem Vereinigungsparagraphen 129 wünschenswert.

Handschriftliche Notizen und Gesprächsprotokolle der ermittelnden Beamten, geheime Verschlusssachen über Einsatzmittel und Methoden des BKA sowie Dossiers der Geheimdienste verbleiben in der Regel bei den Behörden. Nur was zu relevanten Ergebnissen führt, komme zu den Prozessakten, berichtete BKA-Ermittlungsführer Oliver Damm. So seien beispielsweise Anfragen an die Berliner Zentralbibliothek nicht in die Akten aufgenommen worden, die abschlägig beantwortet wurden.

Tatsächlich wollen sich BKA und BAW nicht in ihre Karten schauen lassen und halten entscheidendes Material zurück. Durch einen Sortierfehler des BKA gelangte ein Vermerk mit folgendem Warnhinweis an die Anwälte: »Nur für die Handakte: Der Text wurde vom BKA verfasst und an die Interim versandt, um eine Reaktion bei der ›militante gruppe (mg)‹ zu provozieren.« Das BKA wollte verheimlichen, dass es sich mit Textbeiträgen an einer Debatte um militante Politik beteiligt hatte. Die Verteidigung spricht von Aktenmanipulation und von »parallel geführten Geheimakten des BKA, welche offensichtlich brisant sind«.

Zur Aufklärung über Umfang der BKA-Handakten und eventuell weitere zurückgehaltene prozessrelevante Dokumente haben die Rechtsanwälte die Hinzuziehung der Handakten oder deren Beschlagnahmung gefordert. Der fünfköpfige Strafsenat des Berliner Kammergerichts kam dem nicht nach. Er forderte dieser Tage allerdings, Teile der eingangs von den Rechtsanwälten beantragten Akten bei der BAW an. Reichlich spät, neun Monate nach Prozessbeginn. Das Beweisprogramm des Gerichts ist beendet und die Zeugenbefragungen nahezu abgeschlossen.

Am 7. Juli berichten ein Rechtsanwalt und das Soli-Bündnis aus dem mg-Verfahren über geheime Akten, Ermittlungsmethoden und Solidarität, 19 Uhr, Humboldt-Universität Berlin, Unter den Linden 6, Hauptgebäude/Westflügel, Raum 3094.