Ohne Beweise

Im Verfahren gegen die »militante gruppe« kann der Verfassungsschutz keine neuen Erkenntnisse präsentieren. Geheimdienstzeuge macht widersprüchliche Aussagen

Kurz nach neun Uhr betritt der Zeuge, der sich Guido Eggebrecht nennt, den Saal 129 B des Kriminalgerichts Berlin-Moabit. Seinen richtigen Namen, so der 53jährige Beamte, dürfe er nicht sagen. Eggebrecht ist Mitarbeiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), und am Mittwoch sollte er vor dem 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts über jene Erkenntnisse berichten, die seine Behörde in den vergangenen 15 Jahren über die »militante gruppe« (mg) gesammelt hat. Es ist der 44. Verhandlungstag im Prozeß gegen drei Berliner aus der linken Szene, denen die Bundesanwaltschaft (BAW) vorwirft, der »mg« anzugehören. Der Gruppe, die nach dem Strafgesetzbuchparagraphen 129 als »kriminelle Vereinigung« eingestuft wird, werden etwa 40 Brandanschläge gegen öffentliche Einrichtungen und private Firmen zugeschrieben. Zudem sollen die Angeklagten im Juli 2007 in Brandenburg (Havel) versucht haben, mehrere Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden.

Seit September 2008 müht sich die BAW nun schon, diese Vorwürfe zu belegen. Zahlreiche Ermittler von Bundes- und Landeskriminalamt, Leiter von Oberservationsteams und Textgutachter haben in den vergangenen Monaten als Zeugen ausgesagt. Hundertprozentig bewiesen ist bislang nur eins: BKA-Beamte haben sich in den Jahren 2005 und 2006 – getarnt als linksradikale Gruppe – mit zwei gefälschten Positionspapieren an der sogenannten Militanzdebatte in der Szenezeitschrift Interim beteiligt. (junge Welt berichtete). Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz hatte in seinen Jahresberichten beide BKA-Texte als echt eingestuft und ausführlich daraus zitiert, um so die Gefährlichkeit der »mg« zu dokumentieren.

Das ist durchaus erstaunlich. Denn nach der gestrigen Aussage von Verfassungsschützer Eggebrecht stuften die Kollegen vom BfV beide Diskussionsbeiträge angeblich von Anfang an als irrelevant ein. »Wir hatten Zweifel an der Authentizität der Texte und diese deshalb nicht in unsere Analyse einbezogen«, so der Geheimdienstmitarbeiter. Insgesamt habe seine Behörde 87 Bekennerschreiben und Stellungnahmen untersucht. »Alles von ausgewiesenen Fachleuten mit wissenschaftlicher Ausbildung«, wie er betonte. Indes: Für das laufende Verfahren hat die akribische Arbeit der Experten nichts gebracht. »Es gibt keine Erkenntnisse, die auf die Angeklagten hinweisen«, mußte Eggebrecht gestern einräumen. Dabei hatte der Verfassungsschutz bereits 1998 nach den Hinweisen eines V-Mannes Post, E-Mails und Telefone von Verdächtigen kontrolliert. Anscheinend umsonst. Denn der Spitzel, das mußte der Geheimdienst bereits im April einräumen, bezog seine Einschätzungen lediglich »vom Hörensagen«, und auch die Überwachungsmaßnahmen blieben wohl ohne gerichtsverwertbare Ergebnisse. »Für die Bundesanwaltschaft war dieser Prozeßtag ein weiterer Reinfall«, sagte Rechtsanwalt Sven Lindemann, einer der Strafverteidiger, gestern nach der Verhandlung zu junge Welt. Am kommenden Mittwoch wird der Prozeß fortgesetzt.

In der gleichen Ausgabe der jungen Welt: "Kriminalisierung von kritischem Wissenschaftler" von Andrej Holm (http://www.jungewelt.de/aktuell/rubrik/abgeschrieben.php)

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