"Ausgesprochen abgeschottet und konspirativ"
Im Berliner Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Militanten Gruppe hat die Bundesanwaltschaft nur wenige Beweise in der Hand
Von Constanze von Bullion
Berlin - Es sind Menschen, die sich quasi unsichtba r machen können , heißt es, sie verabreden sich im Internet und treffen sich nachts auf Spielplätzen. 25 Brandanschläge soll die „Militante Gruppe" (MG) im Raum Berlin verübt haben, mal brannten Autos oder eine Polizeiwache, mal bekamen Politiker Revolverkugeln mit der Post . Ein Haufen Linksradikaler war da unterwegs, die Bundesanwaltschaft hielt sie für terroristisch, die Polizei stellte ihnen jahrelang nach, zapfte
Telefone an, las E-Mails mit - vergeblich. 2007 dann wurden drei angebliche Aktivisten der MG beim Zündeln ertappt , seit September stehen sie vor Gericht . Wer die MG ist, weiß aber immer noch keiner, und ein Urteil ist nicht in Sicht.
Ein zähes Verfahren schleppt sich dahin, auf der Anklagebank im „Terroristensaal" des Berliner Landgerichts sitzen drei Kapuzenpulliträger und schweigen. Der Altenpfleger Florian L., 36, soll Kopf der Gruppe sein, jetzt wirkt er verstört, schaut sich dauernd um, als sei jemand hinter ihm her. Neben ihm sitzt Oliver R., auch 36, er hat sozialistische Bücher verkauft und verschwindet in Prozesspausen unter einer Wollmütze. Axel H., der dritte Angeklagte, ist 46, ein langer Kerl und Sozialpädagoge.
„Der Große, der mit der Mütze und Florian L." , so beschreibt die Polizei die drei in den Akten, und wenn stimmt , was sie observiert hat, trafen sie sich in der Nacht zum 31. Juli 2007 und fuhren nach Brandenburg. Die Polizei folgte ihnen. Bei einem Firmengelände soll Axel H. dann beim Auto geblieben sein, während Florian L. und Oliver R. in einem Gebüsch verschwanden. Als Polizisten später nachsahen, fanden sie drei Lastwagen der Bundeswehr, unter denen Brandsätze vom Typ „Nobelkarossentod" glühten. Sie sind ein Markenzeichen der MG, Flaschen voll Benzin, Streichholzköpfen und Grillanzündern. Die Beamten entfernten die Brandsätze, Sachschaden entstand nicht. Wenig später zerrten sie die drei auf dem Heimweg aus dem Auto.
Nun müssen sich Florian L., Oliver R. und Axel H. wegen des Vorwurfs der versuchten Brandstiftung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verantworten. Das ist ein eher milder Vorwurf, eigentlich wollte die Bundesanwaltschaft sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung anklagen. Der Bundesgerichtshof aber pfiff die Ankläger zurück. Die MG, die hohen Sachschaden angerichtet, aber keinen Menschen verletzt hat , könne den Staat nicht „erheblich gefährden" , befanden die Richter. Auch der Berliner Soziologe Andrej Holm, der beschuldigt worden war, Bekennerschreiben der MG verfasst zu haben und Monate in U-Haft saß, musste freigelassen werden. Das Verfahren macht Generalbundesanwältin Monika Harms also wenig Freude, abgegeben hat sie es nicht, auch wenn es jetzt nur noch um eine kriminelle Vereinigung geht. „Wir haben Anklage erhoben aufgrund der Observationsergebnisse vom Tattag. Die Angeklagten waren dringend tatverdächtig, an dieser Einschätzung hat sich nichts geändert", sagt Staatsanwalt Jochen Weingarten, der sich genervt durch das Verfahren kämpft.
Eigentlich hätte der erste Vorwurf, die Brandstiftung, längst geklärt sein sollen. Die Verteidigung aber hat „Observationslücken" ausgemacht und besteht darauf zu erfahren, welcher Beamter wen beobachtet, identifiziert oder festgenommen hat. Die Polizisten aber verweigern oft die Aussage - um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. Binnen einer Stunde ruft eine Ermittlungsführerin dreimal ihren Chef an, weil sie nicht weiß, was sie sagen darf. Auch das Verwaltungsgericht wurde eingeschaltet, um Polizisten zur Aussage zu bewegen. Ohne Erfolg, die Sache dümpelt weiter. „Grausam", sagt Verteidiger Alexander Hoffmann.
Der wichtige zweite Tatvorwurf, die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, ist nämlich noch gar nicht zur Sprache gekommen. Wer ist die MG eigentlich? Eine stramm organisierte Truppe, die Menschenleben riskiert, wie die Anklage behauptet? Oder nur ein Netzwerk verschiedener Einzelkämpfer, wie die Verteidigung nahelegt?
Stellt man dem Staatsanwalt solche Fragen, sagt er: „Über deren Binnenverhältnis wissen wir, dass ausgesprochen abgeschottet und konspirativ vorgegangen worden ist." Das ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht viel . Soll beim Prozess mehr herauskommen als eine Verurteilung wegen versuchter Brandstiftung, müssen die Strukturen der MG offengelegt werden. Wer plante, wer führte aus, gab es Hierarchien? Was macht die Personen zu einer „Vereinigung"?
„Es gibt keine Hinweise auf eine feste Organisationsstruktur", sagt Verteidiger Hoffmann. Die Bundesanwaltschaf t sieht das anders. Im Computer von Florian L. fand man ein Manifest , das wohl eine Art Verfassung der MG werden sollte. „Minihandbuch de r Militanz" heißt das Werk, das die Grundlagen der Stadtguerilla zu analysieren sucht. Der Autor hat nur ein Kapitel geschafft , er soll Florian L. heißen. Soziologe Andrej Holm sollte angeblich ein anderes Kapitel schreiben, glauben die Ankläger.
Ob das stimmt oder nicht - viel Erfolg hatte die MG mit solchen Traktaten nicht. Seit sie in links-autonomen Foren monatelang stritt, ob man bei Anschlägen Menschen verletzen darf, wandte sich die Szene genell ab. Die MG sei isoliert, heißt es beim Berliner Verfassungsschutz: „Am Schluss haben die nur noch mit sich selbst diskutiert." Der Prozess könnte noch bis in den Sommer dauern.