»Ich dachte erst: Das gibt es doch nicht«
Prozess um »militante Gruppe«: Axel H. äußert sich für die Berliner Angeklagten
Am 31. Juli 2007 wurden in Berlin und Leipzig die Wohnungen von sieben linken Aktivisten durchsucht. Oliver R., Florian L. und Axel H. sind zuvor bei Brandenburg an der Havel und Andrej H. in seiner Berliner Wohnung verhaftet worden. Der Vorwurf lautete »Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung militante gruppe (mg)«. Zwischenzeitlich wurde das Verfahren gegen Oliver, Florian und Axel von dem gegen die anderen vier Beschuldigten abgetrennt und Anklage erhoben. Axel H. äußert sich im Gespräch mit Niels Seibert für die Angeklagten.
ND: Am 25. September wird vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen Euch beginnen. Was wirft Euch die Bundesanwaltschaft vor?
Axel H.: Laut Anklageschrift werden wir angeklagt als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129, der militanten gruppe, am 31. Juli 2007 in Brandenburg an der Havel gemeinschaftlich handelnd versucht zu haben, drei Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen. So der Original-Ton. Die Einführung einer »nachrichtendienstlichen Quelle« – von uns Spitzel genannt – soll die wenigen Indizien stützen und belegen, dass wir Mitglieder der militanten gruppe sind. Wir sind gespannt auf die Aussagen des Verfassungsschutzmitarbeiters.
Der Verfassungsschutz soll schon bei den Ermittlungen eine besondere Rolle gespielt haben ...
In dem ganzen Verfahren wird deutlich, dass der Verfassungsschutz und das BKA trotz Trennungsgebots zusammenarbeiten. Der Verfassungsschutz wirkt als Ermittlungsbehörde und hat schon andere, frühere Ermittlungsverfahren und die Kriminalisierung von Linken initiiert. Das wird aus dem Aktenstudium klar. Normalzustand BRD.
Vor einem Jahr wurdet Ihr zur nächtlichen Stunde festgenommen. Wie lief die Verhaftung ab?
Am 31. Juli 2007 um 2.15 Uhr wurden wir in Radewege bei Brandenburg an der Havel von einem LKA-Kommando festgenommen. Wir wurden von drei Autos gestoppt. Wie in einer filmreifen Szene stürmten schwerbewaffnete Männer und Frauen aus ihren Wagen und schrieen herum. Mit äußerster Brutalität wurde ich, der Fahrer, aus dem Wagen geholt. Die Seitenscheibe wurde eingeschlagen und ich wurde aus dem Wagen gezerrt und auf den Boden geschmissen. Mein Gesicht und die Hände waren voller Glassplitter. Ich blieb auf dem Boden liegen, ein Beamter kniete auf mir. Dann wurde mir die Brille weggenommen und mir eine Schlafbrille aufgesetzt, um mich orientierungslos zu machen. Mir wurden die Hände auf den Rücken gefesselt und ich musste kniend auf den Abtransport warten.
Die aufgewachte und beunruhigte Landbevölkerung wurde von einem Vertreter der Staatsmacht beruhigt, es sei alles in Ordnung, man könne hier nun wieder sicher sein. Oliver wurde ebenso aus dem Auto gezerrt. Florian wurde im Auto mehrmals mit einer Polizeiknarre geschlagen und schwer verletzt. Nach etwa einer Stunde wurden wir einzeln in ankommende BKA-Fahrzeuge verfrachtet. Dann wurden wir zur örtlichen Polizeistation nach Brandenburg an der Havel gebracht. Das war unsere Verhaftung.
Dann folgten vier Monate Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Wie war die Zeit im Gefängnis?
Zuerst habe ich gedacht: »Das gibt es doch nicht.« Ich hätte nicht vermutet, dass es solche Gefängnisse wie die JVA Moabit in der BRD noch gibt. Uralt, dreckig und siffig. Ich hatte mich wohl von der hegemonialen Sichtweise auf Gefängnisse beeindrucken lassen.
Eine Sicherheitsverfügung nach Paragraph 129a bringt spezielle Haftbedingungen mit sich, also anwesende BKA-Beamte bei Besuchen, Trennscheibe bei Anwaltsbesuchen, Kontrolle der Verteidigerpost, keine Zuteilung von Arbeit außerhalb des Haftraums, Einzelfreistunde, strikte Trennung von den sogenannten Mittätern, unregelmäßige Zellenrazzien und keine Teilnahme an Gemeinschaftveranstaltungen. Trotz dieser Sonderbedingungen für uns ist der Alltag für die Häftlinge, die nicht aus politischen Gründen einsitzen, kaum besser.
Unmittelbar nach Eurer Verhaftung gab es zahlreiche Initiativen der Solidarität. Auf einer Knastkundgebung wurde das versuchte Anzünden von Bundeswehrfahrzeugen als konkrete Abrüstungsaktion begrüßt. Was hast Du von diesen Initiativen mitbekommen?
Ich las viel in Zeitungen und Besucher berichteten mir über die Solidaritätsbeiträge. Es gab einen anderen Gefangenen, der mich über Aktuelles aus TV und Zeitung informierte, als ich beides noch nicht besaß. Aber viele Sachen bekam ich auch nicht mit. Die Inhalte der Kundgebungen und die Grußbotschaften vernahm ich deutlich. Meine Zelle lag im C-Trakt zur Straße hin.
Wie haben die Stellungnahmen auf Dich gewirkt?
Die politische Solidarität ist neben der Unterstützung durch Angehörige sehr wichtig. Jeder unterstützende Artikel, auch kritisch, jede Kundgebung, jede Aktion zum Thema Knast ist für den Gefangenen Goldes wert. Die verordnete Isolierung wird dadurch aufgebrochen und es wird eine Verbindung zwischen drinnen und draußen gezogen. Trotzdem wirkt die Isolierung brutal auf die Seele und den Körper, auch nach kurzer Haft. Aber unsere Erfahrungen sind nicht gleichzusetzen mit dem, was andere politische Gefangene erfuhren und erfahren, zum Beispiel momentan in Stuttgart-Stammheim.
Als Ihr in U-Haft wart, hat der Bundestag die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr beschlossen. Auch im Oktober 2008 steht diese Entscheidung im Bundestag wieder auf der Tagesordnung ...
Die Fürsprecher im Bundestag müssten auf die Anklagebank!
... Antimilitaristische Gruppen und die Friedensbewegung rufen am 20. September zu Demonstrationen auf. Beteiligt Ihr Euch an den Protesten?
Natürlich beteiligen wir uns so weit wie möglich an den Mobilisierungen und den Demonstrationen, die den Krieg gegen Afghanistan thematisieren. Der Militarismus ist der Zentralnerv eines jeden Staates. Er sichert die strukturelle Gewalt. Es ist wichtig, klar zu machen, dass jeder Krieg ein ruhiges Hinterland aus Sicht der Herrschenden braucht. Deshalb kann man den Krieg und die Repression gegen Antimilitaristen als zwei Seiten einer Medaille betrachten.
Weitere Informationen zum Verfahren: einstellung.so36.net