Aufrappeln, kämpfen und Aerobic machen! - 156 Tage Frauenknast Pankow
Alexandra (21) saß 2009 fünf Monaten in Berlin in Untersuchungshaft, da sie verdächtigt wurde, ein Auto angezündet zu haben. Ein Interview über ihre Erfahrungen im Frauenknast.
Wie lautete deine Anklage, was wurde dir vorgeworfen?
Versuchte Brandstiftung an einem PKW. Ich ging nachts um 0.00 Uhr bei mir zu hause los, um etwas einzukaufen und wurde im Spätkauf von Polizisten festgenommen. Mir wurde gesagt, ich hätte versucht, ein Auto anzuzünden, was ich bestritten habe. Ich hatte keinen Ausweis dabei. Ich wurde sofort zur Gefangenensammelstelle gebracht und da wurden mir Papiertüten über die Hände gezogen, die ich kaputt machte. Daraufhin machten sie neue drauf. Nach 3 Stunden kam endlich jemand, um die Spuren zu sichern. Dann kam ich in eine Zelle und um 10.00 Uhr morgens versuchte mich das LKA zu verhören. Eine halbe Stunde später durfte ich gehen. Zwei Tage später wurde ich auf dem Weg zu einer Kundgebung von Zivilkräften wieder festgenommen.
Aber du hast erstmal keine Aussagen gemacht?
Nein! Ich sagte, ich wolle mit meiner Anwältin telefonieren. Ich hatte ihre Nummer im Kopf und sagte sie mir die ganze Zeit vor, um sie nicht zu vergessen. Es ist sehr wichtig, diese Information im Kopf zu haben!
Mit welcher Begründung wurdest Du auf dem Weg zur Kundgebung festgenommen?
Der Haftbefehl lag vor. Ich war kurz vor der Festnahme bei meiner Anwältin zur Beratung. In der Zwischenzeit haben sie bei mir eine Hausdurchsuchung gemacht. Am nächsten Tag wurde ich dem Haftrichter vorgeführt, der U-Haft anordnete. Zuerst kam ich nach Lichtenberg in die Aufnahmestelle. Von dort wird verteilt: In den Freigängerinnenknast nach Reinickendorf, Drogenabhängige und Jugendliche bleiben in Lichtenberg und es gibt Pankow für alle wie auch mich, die älter als 21 sind und keine Drogen nehmen. Ich bin fünf Tage später nach Pankow gekommen. Es dauerte eine Weile, weil die Lunge geröntgt werden muss. Bei der Eingangsuntersuchung wird auch nach Narben oder Tattoos geschaut. In Pankow habe ich 156 Tage gesessen.
Das ist eine lange Zeit. Kannst du beschreiben, wie die Bedingungen dort waren?
Irgendwann wird der ganze Ablauf zur Routine. Ich bin angekommen und mir wurde gesagt, man habe mir eine schöne sonnige Einzelzelle ausgesucht, da ich ja ein bisschen länger bliebe. Es gibt dort 10 Einzelzellen und auf der oberen Station Doppelzellen. Im ganzen Knast sitzen bis zu 70 Leute. Ich blieb die ganze Zeit in einer Einzelzelle, was den Vorteil hatte, dass ich mich so einrichten und die Möbel umstellen konnte, wie ich wollte. Das habe ich oft getan, weil es so langweilig war. Ich hatte erst nach einem Monat einen Fernseher. Keiner hat es vorher geschafft, ihn vorbei zu bringen. Aber man kann ja auch Bücher lesen! Es gibt eine Bibliothek und ich habe Bücher geschickt bekommen. Die Post kam über die Staatsanwaltschaft. Die Erste bekam ich erst nach 3 Wochen. Vorher kam ein Telegramm, das die Sozialarbeiterin in meinem Beisein öffnete und vorlas. Darin stand: „Wir denken an dich, halte durch!“ Ich selbst durfte es nicht in die Hand nehmen.
Und wie sah der Tagesablauf aus?
Ich hatte keine Sonderbedingungen und durfte alles mitmachen. Morgens um 6.15 Uhr wird man geweckt, das nennt sich „Lebendkontrolle“. Dann bleibt 1 Stunde lang die Zelle offen und man kann raus in die Küche, um sich etwas zu essen machen. Um 12.00 Uhr gibt es eine halbe Stunde Mittagessen, dann ist die Zelle bis 15.30 Uhr zu. Danach ist sie bis 21.15 Uhr offen und man kann sich frei auf der Station bewegen. Man hat 1-2 Freistunden in der Woche und am Wochenende 3. Am Wochenende ist von 6.15 - 21.15 Uhr generell offen. Falls Beamtenmangel ist, sagen sie das vorher an und man kann sich darauf einstellen.
Der Speiseplan hängt aus und wenn man etwas nicht mag, kann man selbst etwas kochen. Die Sachen dafür muss man über den Gefangeneneinkauf kaufen. Einkauf ist alle 2 Wochen und man kreuzt auf einer Liste an, was man möchte. In Pankow gibt es 4 Stationen und die Mutter-Kind Station.
Interessant, dass die verschiedenen Bereiche „Stationen“ heißen. Bei den Männern heißt es „Trakt“. Es scheint bei den Frauen eher eine Krankheitsidee dahinter zu stehen und so werden die Bereiche in (Kranken-)Stationen, wie beispielsweise in der Psychiatrie umbenannt. Offenbar werden Frauen weniger per se als „kriminell“, also als Straftäterinnen wahrgenommen, sondern eher als „verrückt“ oder „krank“. Weswegen saßen die anderen Frauen?
Mord, Körperverletzung, Raub, ganz häufig Diebstahl. Wir hatten zwei, die in großem Maße gedealt haben, aber nicht abhängig waren.
Du hast erzählt, dass du versucht hast, das Ganze mit Humor zu nehmen. Wie ist es dir gelungen durchzuhalten?
Der Anfang war schwer. Die anderen Frauen unterstützten mich gut. Ich hatte zum Beispiel beim Mittagessen keine Ahnung, wie was geht und sie erklärten es mir sofort. Man hilft sich gegenseitig, was enorm wichtig ist. Die Frauen verstanden auch gar nicht, warum ich immer noch einsaß. Es stand ja häufig etwas in der Zeitung oder kam im Radio. Zum Beispiel bin ich von meinem ersten Gerichtstermin wiedergekommen und wurde sofort gefragt, warum ich die Aussage verweigert habe.
Ich bin auch so oft wie möglich zum Hofgang gegangen, Sonne genießen. Dann gab es eine Phase, in der ich gar nicht mehr raus ging. Ich war richtig fertig mit den Nerven. Alles war mir zu viel, ich lag nur im Bett und schlief tagelang.
Wie bist du aus diesem Loch wieder heraus gekommen?
Man versucht, sich wieder selbst aufzubauen und schafft das auch irgendwie immer. Man muss positiv Denken! Man gewöhnt sich an die Situation im Knast. Als es mir schlecht ging, hatte ich das Gefühl, ich käme hier nie wieder raus. Irgendwann habe ich mir gedacht, das können sie nicht machen, das geht so nicht. Man versucht wieder zu kämpfen, gewinnt neuen Mut und rappelt sich auf.
Wie oft gab es Termine, wo sich hätte entscheiden können, wann du wieder raus kommst?
Es gab viele Termine. Nach zwei Wochen war gleich der erste Haftprüfungstermin, bei dem der Richter meinte, eine Entlassung wäre noch zu früh. Er begründete dies nicht mit Fluchtgefahr, sondern mit Wiederholungsgefahr. Später wurde eine Kaution abgelehnt, weil eine Postkarte auftauchte, mit Franz Müntefering als Motiv. Darauf stand: „Wir kaufen dich mit Parteigeldern frei, Dein Franz“. Danach war ich total fertig. Das war dann die Phase in der ich dachte, ich komme nie mehr aus dem Knast.
Gab es im Knast auch Gewalt oder Situationen, in denen du Angst hattest?
Angst hatte ich nicht. Es gab einen Konflikt mit einer Gefangenen, die eifersüchtig war auf den Job, den ich auf Station bekommen hatte. Ich machte die Station ein bisschen sauber, verteilte Essen und war so den ganzen Tag offen. Es gab eine heftige Auseinandersetzung, in der sie mich angebrüllt hat und eher psychische Gewalt ausgeübt hat.
Welche Arbeitsmöglichkeiten gibt es noch?
Man kann PCs auseinander bauen. Es gibt eine Wäscherei, eine Gärtnerei und die Küche. Wenn man arbeitet, bekommt man in der U-Haft einen Euro die Stunde und wenn man Strafer ist, fünf Euro die Stunde. Das Geld geht auf das Knastkonto. Man darf es komplett für den Einkauf ausgeben oder seine Strafe abzahlen.
Wie war denn insgesamt deine Erfahrung mit Unterstützung von außen?
Am coolsten war die Knastkundgebung. Ich konnte von einem Fenster auf eine bestimmte Stelle rausgucken und dort wurde dann auch die Kundgebung gemacht. Irgendwann kamen die Schließer und machten die Tür zu. An dem Tag waren von anderen Stationen zusätzlich Schließer da. Sie haben geguckt, ob ich irgendetwas mache oder rausrufe. So habe ich nur noch gehört, was bei der Kundgebung gesagt und welche Musik gespielt wurde.
Wie sah es mit Besuchen im Knast aus?
Es gab alle zwei Wochen eine halbe Stunde. Einmal bin ich ein bisschen sauer gewesen, da hatte ich sieben Wochen lang keinen Besuch, weil die draußen es verpeilt haben, sich einen Sprechschein zu holen. Es war hart. Jeden Tag schaut man nach, ob schon Besuch eingetragen ist. Meine Schwester war öfter da und mein Freund. Es wollten viele Leute kommen. Manche kamen zu dritt, da ist eine halbe Stunde schnell vorbei. Es gab Gesprächsüberwachung durch die Schließer, die bei U-Häftlingen direkt mit am Tisch sitzen.
Wie sind die Schließer mit den Gefangenen umgegangen?
Es gibt Nette, und welche, die nur ihren Job machen. Mit einigen kann man sich sogar unterhalten. Mit einem Schließer habe ich öfter Tischtennis gespielt - wortlos, oft eine Stunde lang. Eine Schließerin meinte, ich sei das Nesthäkchen und hat mir immer Schokolade und Obst gegeben. Es gab aber auch welche, die oft rumbrüllten. Nach diesen ganzen Gerichtsterminen sagten einige Schließer, dass sie gar nicht verstehen könnten, warum ich immer noch im Knast sei. Sie freuten sich dann auch für mich, als ich entlassen wurde.
Die Entlassung kam überraschend. Es war an einem Freitag, an dem meine AnwältInnen den Antrag stellten. Der Richter räumte sich Bedenkzeit bis Montag ein. Ich war richtig fertig, als ich im Knast ankam und ging in den Sportraum, da hängt so ein Boxsack. Später kam eine Schließerin, die gerne Späße machte, in unsere Aerobicstunde und sagte: „Packen Sie Ihre Sachen, ich will Sie hier nicht mehr sehen“. Ich: „Frau B., das ist nicht lustig.“ Daraufhin sie: „Haben Sie mich schon mal Scherze machen sehen?“ Ich brach vollkommen zusammen und heulte vor lauter Freude. Ich hatte schon gepackt und verschenkte alle Lebensmittel an die anderen Frauen. Bis die Entlassungspapiere unterschrieben waren, dauerte es noch, dabei war ich so ungeduldig. Draußen wurde ich sehr nett empfangen von Familie, Freunden und AnwältInnen. Wir sind erst mal ins Clash gefahren zum Schnitzel essen und abends war eine Soliparty im XB, wo wir mit einem Feuerwerk empfangen wurden. Das war super!