Antimilitarismus vor Gericht. Der mg-Prozess vor der Urteilsverkündung

Diese Zeitung erscheint anlässlich des Gerichtsprozesses gegen drei Berliner Antimilitaristen, denen vorgeworfen wird, im Juli 2007 in Brandenburg an der Havel versucht zu haben, Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand zu stecken. Zudem sind sie angeklagt, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung nach § 129, der sogenannten militanten gruppe (mg), zu sein. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen 54 Prozesstage hinter den drei Berlinern und ein Ende der  Verhandlung wird absehbar. Zur Urteilsverkündung im Herbst rufen wir zu vielfältigen solidarischen Aktionen auf!

Die gesamte Zeitung vom September 2009 als pdf-Datei (950 KB).

In dieser vierten Ausgabe geht es uns als Einstellungsbündnis schwerpunktmäßig um das Thema „Solidarität“. Warum Leute sich in Soligruppen engagieren, aus welchem Selbstverständnis sie dies tun, warum Solidarität so wichtig ist und auf welche Schwierigkeiten sie in derpraktischen Arbeit trifft, wird in mehreren Beiträgen zur Diskussion gestellt.

Dream Team: BKA und BfV

Bereits in den vergangenen Ausgaben berichteten wir über den Prozessverlauf und die Desinformations-kampagnen der Ermittlungsorgane, die sich mit hausgemachten Texten an linken Debatten beteiligten. Mit der Zahl der Verhandlungstage hat sich auch die Zahl der Anschläge erhöht, die von der Anklagevertretung der mg zugerechnet werden. Die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte in ihrer Anklageschrift die Entstehung der Gruppe auf 2001 datiert und ihr 25 Anschläge zur Last gelegt. Zeugen des Bundeskriminalamts (BKA) erklärten dagegen, die mg bestehe seit 1995 und habe 39 Anschläge zu verantworten. Die von ihnen so genannten „Altanschläge“, zu denen sich verschiedene linke Gruppen bekannt haben, rechnen BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf Grund angeblich ähnlich formulierter „Selbstbezichtigungsschreiben“ allesamt der mg zu.

Die Verteidigung erklärte dagegen, dass nur bei einer geringen Anzahl der Anschläge Brandmittelreste gefunden wurden, die auf Verwendung des Brandsatztyps „Nobelkarossentod“ schließen ließen, der von den Behörden als „mgtypisch“ angesehen wird.
Dass es keine Fakten gibt, die belegen, dass alle untersuchten Texte von derselben Gruppe stammen, mussten jedoch auch die Zeugen der Behörden einräumen. Zudem blieben ihre Aussagen zur Struktur der mg spekulativ und vage. Nichtsdestotrotz sagte ein Beamter dazu: „Wir gehen davon aus, dass mit den Festnahmen am 31. Juli 2007 das Thema mg erledigt ist.“

Ein schnelles Ende

Wie gering das Interesse des Senats an einer tatsächlichen Aufklärung ist, zeigt folgender Vorgang: Die Verteidigung hatte seit Beginn des Prozesses mehrfach verlangt, die Akten des Ermittlungsverfahrens einsehen zu können, das 2001 nach dem Erscheinen der mg eingeleitet worden war. Dies wurde ihr vom Gericht aber erst zum Ende der Beweisaufnahme gewährt. Als die Verteidigung daraufhin beantragte, die Hauptverhandlung für 30 Tage zu unterbrechen, um sich ausreichend in die 35 Aktenordner einarbeiten zu können, lehnte der Senat dies mit der Begründung ab, es gebe sowieso keine neuen Sachverhalte zu finden.

Behinderung der Verteidigung

Fast alle Beweisanträge der Verteidigung, seit Ende Juni über ein Dutzend, hat der Senat abgelehnt. Dabei ging es vornehmlich um die Ladung von Zeugen, von denen die Verteidigung entlastende Aussagen zu bestimmten Sachverhalten erwartete. So wollte die Verteidigung BfV-Mitarbeiter befragen, die im Jahr 2000 ein Treffen beobachtet haben, das die Behörde als einen „Runden Tisch der Militanten“ bezeichnet. Die Verteidigung meint aber, dass die Geheimdienstler bezeugen könnten, dass es sich um eine Zusammenkunft ehemaliger MitarbeiterInnen der tageszeitung (taz) gehandelt hat. Der Verfassungsschutz habe, so die Verteidigung, dieses Beisammensein zu einem konspirativen Treffen erklärt, um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens anzuregen, das die Ausforschung der linken Szene erlaube. Die Ladung der gewünschten Zeugen vom BfV wurde vom Vorsitzenden Hoch mit der einfachen Begründung abgelehnt, der Antrag sei für diese Hauptverhandlung ohne Bedeutung.

Die mg meldet sich zu Wort

Mitte Juli 2009 erschien ein Interview mit der mg in der Zeitschrift radikal (Nr. 161), in dem sie sich zu drei weiteren Anschlägen nach der Verhaftung der drei aktuell Angeklagten bekannte und gleichzeitig ihre Auflösung erklärte. Die Gruppe sagte im Interview, die drei Angeklagten seien keine Mitglieder der mg und der Anschlag auf die Bundeswehrfahrzeuge in Brandenburg/Havel sei nicht in ihrem „Planungsbüro ersonnen und von dort ausgeführt“ worden. Das ist ein Problem für die Bundesanwaltschaft (BAW). Sie hat stets nach dem Motto argumentiert: Überall, wo mg „draufsteht“, ist auch mg „drin“. Heißt das nicht, im Umkehrschluss: Die Angeklagten sind keine Mitglieder der mg? Die Anklage kriminelle Vereinigung nach § 129 müsste dann fallen gelassen werden. Da dieser Umstand dem Erfolgsdruck der BAW natürlich erheblich entgegensteht, ging diese kaum auf das Interview ein. Die Texte wurden in der Hauptverhandlung lediglich im sogenannten Selbstleseverfahren zur Kenntnis genommen, bisher aber nicht weiter thematisiert. Die BAW wollte weder zu der aktuellen Veröffentlichung Stellung beziehen, noch Fragen nach dem Umgang des BKA mit den neuen Texten beantworten.

Still und heimlich mussten inzwischen bereits fast alle Ermittlungsverfahren in Sachen mg mangels Beweisen eingestellt werden. Doch die jahrelangen erfolglosen Ermittlungen, die U-Haft der Angeklagten und die nun schon einjährige Prozessdauer setzen Strafverfolgungsbehörden und Gericht unter  Erfolgsdruck: das kann ja wohl nicht alles umsonst gewesen sein. Der Senat erweckte bisher den Eindruck, sich diesem Druck zu beugen. Eine Verurteilung wäre die langersehnte Erfolgsmeldung gegen den angeblich zunehmenden „Linksterrorismus“. Dem halten wir politisch entgegen:

Abschaffung der Ausforschungsparagrafen §129, §129a und b!
Sofortige Einstellung aller mg-Verfahren!
Für einen aktiven Antimilitarismus!