Das vermittelte Bild ist längst brüchig

Anti-NATO-Proteste trotz Ausnahmezustand und Medieninszenierung

Politik und Polizei auf deutscher und französischer Seite hatten es im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag der NATO angekündigt: Der Gipfel sollte störungsfrei verlaufen. Was solche Aussagen in der Praxis bedeuten, ist GipfelgegnerInnen seit Jahren bekannt: Die exekutiven Möglichkeiten werden voll ausgenutzt.

Der Ausnahmezustand, der mit Aussetzung und Verletzung von Grundrechten und der Behinderung von Protest operiert, gehört längst zur Gipfelnormalität. So wurden auch in Strasbourg, Baden-Baden und Kehl weiträumige Sicherheitszonen definiert, Absperrungen errichtet, Schleusungspunkte für den Medien- und Beratertross installiert. Die gesamte Innenstadt Strasbourgs wurde akribisch von Zeichen der Kritik gesäubert – selbst Pace-Fahnen, die aus Wohnungen hingen, wurden von der Polizei abgenommen.

Die Vorbereitungen für die Gegenaktivitäten wurden von Anfang an torpediert: Kongress und Camp sahen sich mit schikanösen behördlichen Auflagen konfrontiert, eine annehmbare Demoroute in Richtung und Nähe des Gipfels wurde bis zum Schluss von der Präfektur nicht genehmigt.

In den Tagen um den Gipfel setzten die Regierungen das Schengenabkommen aus, um Grenzkontrollen zu ermöglichen und willkürlich Ausreiseverbote zu verhängen. Dutzende Leute aus Deutschland waren davon betroffen. Viele konnten aber mittels Eilklagen ihr Grundrecht auf Bewegungsfreiheit auf juristischem Wege erkämpfen.

Spontan, selbstorganisiert, basisdemokratisch und solidarisch

Das Szenario der NATO war also klar – klar war aber ebenso, dass sich die NATO-KritikerInnen dem nicht beugen und versuchen würden, ihr kräftig in die Suppe zu spucken.
Bereits am Mittwoch, 1. April 2009, reisten Hunderte Menschen zur Eröffnung des internationalen Protestcamps an – bis Samstag, 4. April 2009, wuchs die Zahl auf geschätzte 5.000. Wie schon bei anderen Gipfeln war das Camp ein unverzichtbarer Raum des Protests. Hier konnten letzte Absprachen getroffen werden, konnten Leute Bezugsgruppen bilden, sich informieren und austauschen und ein bisschen so leben, wie es die Strukturen des Alltags nicht zulassen: spontan, selbstorganisiert, basisdemokratisch und solidarisch.

Vom Camp aus machten sich am Samstag gegen 4 Uhr früh ca. 2.500 Leute zu den Blockaden in die sieben Kilometer entfernte Strasbourger Innenstadt auf. Zu ihnen hatte BLOCK NATO – ein internationales, spektrenübergreifendes Bündnis – aufgerufen. Die Polizei setzte von Beginn massiv Tränengas, Blendschockgranaten und Gummigeschosse ein – ein Bild, das sich den Tag über an allen Protestorten wiederholte –, obwohl sie von den Blockistas nicht angegriffen wurden. Letztlich verhinderte ein geografischer Umstand, dass nur wenige vom Camp aus die Blockadepunkte erreichten: Den Weg versperrte ein Kanal, über den nur wenigen Brücken führen, die von der Polizei abgeriegelt wurden.

300 Menschen, die sich schon in der Nacht in die Altstadt begeben hatten, versammelten sich um 6 Uhr am Place de l’Université, unweit der gesperrten »orangen Zonen«. Auch sie wurden, kaum in Bewegung, attackiert, konnten aber letztlich eine zentrale Kreuzung auf der Avenue de la Paix besetzen, die Blockade über Stunden aufrechterhalten und somit das Ziel der Sicherheitskräfte vereiteln, jeglichen Protest in der Altstadt zu unterbinden. 150 weiteren AktivistInnen gelang es, nördlich des Gipfelortes eine zentrale Kreuzung zu blockieren. Gegen 12 Uhr beendeten die AktivistInnen die Blockaden und zogen in Richtung Auftaktkundgebung der Großdemonstration.

Proteste im CS-Gasnebel

Was sich in den Wirren des geplanten Protesthöhepunkts zutrug, wird sich, wenn überhaupt, erst nach den diversen Nachbereitungstreffen zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen. Einige Momente sind aber bekannt: Tausende Menschen erreichten gegen 12.30 Uhr den Platz der Auftaktkundgebung, nachdem die Polizei ihnen über eine Stunde lang an der Pont Vauban gewaltsam den Zugang verwehrt hatte; eine große Gruppe zog weiter zur Europabrücke, wo auf deutscher Seite circa 8.000 DemonstrantInnen darauf warteten, endlich von der Polizei durchgelassen zu werden – was nie geschehen sollte.

Irgendwann brannte die ehemalige Zollstation auf der Europabrücke, kurze Zeit später das Ibis-Hotel und eine Touristeninformation in der Nähe. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Gummigeschossen; die Veranstalter brachen daraufhin die Auftaktveranstaltung ab und 25.000 Menschen formierten sich spontan zu einem Demozug, der unter ständigen Polizeiangriffen einmal über die Insel zog, bis er gegen ca. 16 Uhr wieder am Ausgangspunkt ankam und von der Polizei aufgelöst wurde.

The Protest will (not?) be televised

An allen Protesten waren die internationalen MedienvertreterInnen im Vorfeld und während der Tage stark interessiert. Sie waren dankbar, wenn AktivistInnen sich ihrer annahmen, sie über Aktionen informierten oder sogar dazu einluden. Vor allem die deutschen Medienteams schockierte das martialische Verhalten der Polizei gegenüber Aktionen des zivilen Ungehorsams und der Demonstration sichtlich.

Dennoch fiel di e Berichterstattung der Proteste von Art und Umfang her mäßig aus: Die Blockaden und die Demo waren, wenn überhaupt, nur eine Randnotiz. Inhalte des Protests wurden kaum transportiert, und wenn der Widerstand gegen die NATO auftauchte, wurde er entlang der dualen Logik in friedlich (= gut) und militant (= böse) differenziert – eine Tendenz, die sich im Nachhinein leider auch manche AktivistInnen zu eigen machten.

Der telefonierende Berlusconi, der Besuch Carla Sarkozys und Michelle Obamas am Strasbourger Münster war der Presse mehr Sendezeiten/Zeilen wert als die Berichterstattung über die sichtbare Kritik Tausender an den Kriegstreibern der NATO. Ob nun Agendasetting, Chefredaktion oder eine bewusste politische Entscheidung dahintersteckte, das Resultat war das gleiche: Durch den Äther und die Druckerpressen wurde die glatte Inszenierung der NATO in die Welt gespiegelt, die Bedingungen der Möglichkeit dieses Spektakels – Abriegelung ganzer Stadtteile, Aushebelung von Grundrechten und Einsatz massiver Gewalt – blieben ausgeblendet.

Dabei zeigte sich in der Aktionswoche gegen Krise und Krieg (Großdemos am 28. März in der BRD, Proteste gegen den G20-Gipfel in London und den NATO-Gipfel) wieder, dass das vermittelte Bild längst brüchig geworden ist. Die widerspruchslose Akzeptanz der Herrschenden funktioniert nur noch als Simulation innerhalb kleiner Zonen, die von zehntausend PolizistInnen und Militärs geschützt werden müssen. Außerhalb ist sie längst am Schwinden.

Der Protest gegen die NATO war vielfältig. Es gab viele Orte und viele Momente. Dieser subjektive Bericht kann nur wenige aufgreifen.

Tags: demo | anti-krieg