Politische versus »normale« Gefangene
Eine Unterscheidung, die im Knastalltag wenig Sinn macht
»Wenn du die Hölle verdienen willst, brauchst du nur im Bett zu bleiben. Die Welt ist Ungerechtigkeit; wenn du sie hinnimmst, bist du ein Mitschuldiger.« Jean- Paul Sartre in »Teufel und der liebe Gott«
In jedem Knast treffen wir auf Mitschuldige, Unschuldige und an der Ungerechtigkeit der Welt zerbrochene Charaktere, die dann selbst Ungerechtigkeit üben, die in ihrer eigenen Hölle leben, sich betäuben mit Alkohol, Fernseher, DVD, Playstation. Manchmal frage ich mich, ob sich der Strafvollzug letztlich wirklich derart von dem Leben außerhalb der Mauern unterscheidet, wie gemeinhin angenommen. Ich weiß, für viele ein anstößiger Gedanke.
Heute aber über das Verhältnis politischer und »normaler« Gefangener zu schreiben, möchte ich nicht. Denn: Knast ist Knast – egal ob jemand in Haft sitzt, weil er/sie, um den Drogenkonsum zu finanzieren, einen Raub begangen hat, oder aber weil er/sie aus dezidiert politischen Gründen gehandelt hat. Beide sitzen sie hinter Gittern; und diese Gesellschaft, dieses politische System würde kein Deut besser, entließe man alle politischen Gefangenen, sperrte jedoch all die anderen Menschen weiterhin ein.
Freilich unterscheiden sich mitunter die Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Situation im Knast. Hier die von ihrer politischen Szene unterstützten Gefangenen, die dadurch Kraft schöpfen und gegebenenfalls den schädlichen Wirkungen des Freiheitsentzugs durch die über Jahre hinweg geleistete Solidarität begegnen können. Dort die übrigen Gefangenen, alsbald nach ihrer Inhaftierung vom früheren Umfeld verlassen und vergessen, deren ganzes Erleben und Denken nur noch im Gefängnis stattfinden, allzu oft ohne soziale Kontakte nach »draußen«, die sich dann, wie oben angedeutet »betäuben« und nicht in der Lage oder Willens sind, sich und ihren Status als Mensch zu verteidigen.
Den Mensch wahrnehmen
Die Lebensrealität kann sich unterscheiden, wobei es auch bei den »normalen« Gefangenen einige gibt, die auf stabile Strukturen außerhalb der Knastmauern bauen und vertrauen können. Soweit die Knastleitungen/Justizministerien die verschiedenen Gefangenengruppen unterschiedlich behandeln, führt dies zumindest heute nicht mehr zu einer besonderen Solidarisierung innerhalb der Gefangenenpopulation. Eher begegnet einem Unverständnis in Form von: »Mensch, dann sag doch, dass du jetzt anders denkst, dann lassen sie dich bestimmt raus« (oder ähnlich). Eine Haltung, die so auch in der »freien« Gesellschaft beobachtbar ist, beispielsweise wenn ArbeiterInnen sich versuchen, gewerkschaftlich zu organisieren, deshalb dem Druck des Arbeitgebers ausgesetzt sind und sie dann von KollegInnen hören müssen: »Hey, lass das doch sein, Du bekommst nur Ärger.«
Deshalb ist meines Erachtens nicht nur eine Unterstützung der politischen Gefangenen, sondern auch all der anderen wichtig. Bei Letzteren mag es dann auch Enttäuschungen geben, eben weil ihnen Einsicht in Zusammenhänge fehlt, die die politischen Gefangenen durch ihre Arbeit längst gewonnen haben. Jedoch sollten auch negative Erfahrungen nicht davon abhalten, es immer und immer wieder zu versuchen.
Immer wieder treffe ich auf Gefangene aus sozial schwierigen Verhältnissen. Hier bedeutet es eine besondere Herausforderung, überhaupt ihr Vertrauen zu gewinnen. So mancher freut sich schon sehr, wenn ihm mal jemand vorurteilsfrei zuhört, ihn/sie also nicht auf »die Tat« reduziert, sondern den Menschen wahrnimmt. Es geht nicht um – wie man vielleicht vermuten könnte – sozialarbeiterische Intervention, sondern schlicht »nur« darum, Mensch zu sein.
Es gibt immer Vereine, die Kontakte zu Gefangenen vermitteln (in Berlin z.B. »Freiabonnements für Gefangene e.V. «, Köpenicker Str.175, 10997 Berlin. Dieser Verein vermittelt bundesweit Gefangenen Zeitungsfreiabos und eben auch Briefkontakt nach »draußen«). Ein Anfang könnte über sie gemacht werden, Briefkontakt aufzunehmen. Das mag für manche einfacher sein, als sich über freie Gefangenenhilfsvereine gleich an einen direkten Kontakt im Rahmen von Betreuungsgruppen zu wagen. Bundesweit werden nämlich immer Menschen gesucht, die bereit sind, sich entweder in Gesprächsgruppen im Knast einzubringen oder im Rahmen von Einzelbetreuungen.
Politische Gefangene erhalten in der Regel über Jahre hinweg aus ihrem politischen Umfeld Besuch. Es gibt jedoch auch andere InsassInnen, die »Sozialen«. Und bei denen brechen die oftmals sowieso fragilen familiären oder freundschaftlichen Bindungen weg, und ich kenne genügend Fälle, in denen Gefangene seit Jahren keinen Besuch erhalten.
Ohne soziale Beziehungen geht es nicht
Enttäuschungen kommen dabei genauso vor wie im Leben draußen. Wer als Frau einem männlichen Gefangenen schreibt, kann sich unverhofft damit konfrontiert sehen, dass der Gefangene eine intensivere Beziehung möchte. Davon sollte sich niemand entmutigen lassen, sondern einfach die eigenen Grenzen aufzeigen. Sie werden in aller Regel respektiert, vor allem wenn reflektiert wird, woher der Wunsch des Gefangenen herrührt.
Wir leben hinter Gittern in einer sozial wie sensorisch sehr reduzierten Umgebung, die für keine Menschenseele wirklich gesund ist (und das schließt die WärterInnen und Co. ein). Untersuchungen neueren Datums gehen davon aus, dass ca. 80 Prozent der Gefangenen therapeutisch behandlungsbedürftig sind. Deshalb sind stabile soziale Beziehungen und Bindungen so wichtig. Wer sich in seiner (politischen) Arbeit und seinen Kontakten auf die dezidiert politischen Gefangenen kapriziert (wobei es auch in dieser Szene zu Binnendifferenzierungen kommt in Form und Intensität der Unterstützung, je nachdem, ob jemand »total unschuldig« oder vielleicht nicht doch ein bisschen mehr schuldig ist), mag sich besser fühlen. Sicher, es ist leichter sich für jemanden wie Mumia Abu Jamal einzusetzen (der unbestreitbar jede Form der Hilfe verdient und nötig hat!), als für den Räuber in der Strafanstalt in der nächstgelegenen Stadt.
Ungerechtigkeit jedoch darf niemals hingenommen werden! Und Knäste sind zu Stein gewordene Ungerechtigkeit an sich – Ausdruck einer Gesellschaftsordnung, die überwunden werden kann und überwunden werden muss.
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA Bruchsal http://www.freedom-for-thomas.de