Das Prinzip der Waffengleichheit
Teil 18-35 des Kammerspiels in Moabit
In der zweiten Ausgabe von »Ende einer Dienstfahrt« berichteten wir zusammenfassend über die ersten 17 Prozesstage. Seit Januar 2009 ist der Prozess weiter fortgeschritten. Insgesamt wurden bislang 35 Verhandlungstage absolviert. An den strengen Sicherheitsverfügungen beim Einlass (Durchsuchung der BesucherInnen, Kopien der Personalausweise) und auch im Saal während der Verhandlung (bewaffnete BeamtInnen) hat sich nichts geändert. Nach wie vor hält der Vorsitzende Richter des 1. Strafsenats des Kammergerichts Berlin, Josef Hoch, dies vorverurteilende und stigmatisierende Szenario aufrecht.
Die schützende Hand der Bundesanwaltschaft
Bis Ende Februar wurde der »Komplex Brandenburg« im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit verhandelt. Es ging also vornehmlich um die versuchte Brandstiftung von Bundeswehrfahrzeugen in der Nacht zum 31. Juli 2007 in Brandenburg an der Havel. Dabei waren nicht nur die Ermittlungen im Vorfeld und die Observation am Festnahmetag bzw. die Verhaftung von Axel, Florian und Olli Thema, sondern auch die im Anschluss erfolgten Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahmung von Asservaten. Bei der Befragung der PolizeizeugInnen von Bundeskriminalamt (BKA) und Berliner Landeskriminalamt (LKA) tauchten immer wieder Widersprüche auf. Geklärt werden konnten sie meistens nicht. Bei Nachfragen der Verteidigung zogen sich die BeamtInnen in der Regel auf ihre mangelnde Aussagegenehmigung zurück und mauerten kräftig. Hielt nicht die mangelnde Aussagegenehmigung her, sprang die Bundesanwaltschaft (BAW), in Person des Bundesanwalts Weingarten, den BeamtInnen hilfreich zur Seite.
In Sachen Aussagegenehmigungen fühlt sich das Kammergericht nicht zuständig oder bleibt untätig und verwies auf den Verwaltungsgerichtsweg. Das Verwaltungsgericht sah sich nicht in der Lage, die Aussagegenehmigungen zu überprüfen, solange keine Sperrerklärung der zuständigen Behörden (LKA, BKA) vorliege, die diese wiederum nicht ausstellen wollten. Kafka lässt grüßen! Jedes der Gerichte versteckt sich hinter seiner angeblich fehlenden Zuständigkeit.
Eine Einschätzung der ersten 24 Prozesstage zum »Komplex Brandenburg« fällt schwer. Es bleibt abzuwarten, wie der Strafsenat die bisher verhandelten Sachverhalte bewerten wird. Nach wie vor sitzt die Verteidigung auf einem Haufen unbeantworteter Fragen, auf die die ZeugInnen der Ermittlungsbehörden nicht bereit sind zu antworten. Wie etwa die offenen Fragen zur Festnahmesituation am 31. Juli 2007, bei der gegen einen der Angeklagten massive körperliche Gewalt ausgeübt wurde. Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren gegen einen Beamten wurde inzwischen eingestellt. Nebulös ist auch der genaue Zeitpunkt der Identifizierung der Beschuldigten, zu dem die BeamtInnen verschiedene Versionen präsentierten.
Richtig in Fahrt kam der Prozess am 25. und 26. Verhandlungstag mit den Ladungen des Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans Elmar Remberg, und des Kriminalkommissars (KHK) Oliver Damm und durch einen umfangreichen Beweisantrag der Verteidigung von Anfang März (vgl. nebenstehenden Artikel).
Der Verfassungsschutz als Herr des Verfahrens
Wie zu erwarten war, hätte man sich die Befragung des VS-Vizes sparen können. Dabei fußt die Anklage nicht unwesentlich auf einem sogenannten Behördenzeugnis des VS, wonach eine »nachrichtenehrliche Quelle« (= Spitzel) des BfV wisse, dass die drei Angeklagten Mitglieder der mg seien. Remberg wollte allerdings weder zu den genauen Inhalten der Aussage noch zu der Quelle als solcher Angaben machen. Vielmehr machte er deutlich, dass der Wahrheitsgehalt dieser Angaben vom Senat auch künftig in keiner Weise überprüft werden könne.
Mit wesentlich mehr Spannung war der Auftritt von KHK Damm erwartet worden. Damm ist der BKA-Ermittlungsführer in den mg-Verfahren. Und so referierte er vor Gericht über die entsprechenden Erkenntnisse des BKA und des BfV. Beide gehen aufgrund der Analyse von Anschlagserklärungen davon aus, dass die mg bereits vor ihrem ersten Auftritt im Juni 2001 aktiv war. So sollen seit 1995 39 Anschläge auf ihr Konto gehen. Anfänglich bestehende divergierende Einschätzungen in Bezug auf die Vorläufergruppen seien bei einem gemeinsamen Treffen zwischen BKA und BfV ausgeräumt oder mit anderen Worten: glatt gebügelt worden.
BKA der Lüge überführt
Am 34. Prozesstag platzte dann die Bombe. Das BKA hatte von den AnwältInnen zuvor zur Herausgabe angeforderte Sachstandsberichte nicht genügend gesäubert. In den übermittelten Akten fand sich einem Vermerk, der Damm zum Verhängnis wurde und ihn als Lügner überführte: Damm musste, nachdem er zuerst angab, nicht zu wissen, wer einen Text im Rahmen der Militanzdebatte geschrieben habe, zugeben, dass der Text, der unter dem Namen »Die zwei aus der Muppetshow« in der »interim« 611 vom 10. Februar 2005 veröffentlicht worden war, vom BKA selbst verfasst wurde.
Obwohl der Zeuge Damm gelogen hatte, erklärte der Vorsitzende nach einer kurzen Pause, der BKA-Beamte sei, weil er seine Falschaussage unmittelbar korrigiert habe, vom offensichtlichen Meineid strafbefreiend zurückgetreten. Auch hier wieder das bekannte Muster: Das Gericht stellt sich schützend vor die PolizeizeugInnen und ist offensichtlich nicht gewillt, die auf der Hand liegenden Schlüsse zu ziehen. Von einer »Waffengleichheit« zwischen allen Prozessbeteiligten kann keine Rede sein, wenn das BKA Gericht und Verteidigung Akten vorenthält und Beweise manipuliert. Wie formulierte es die Verteidigung? »Spätestens jetzt kann der Prozess gegen unsere Mandanten nicht mehr als faires Verfahren bezeichnet werden. Als Konsequenz muss er eingestellt werden.« Herr Hoch, übernehmen sie!