Nachrichten aus einem „friedlichen Land“

„Krieg ist Frieden“: Feministisch-antipatriarchale Antikriegspolitik im globalen Norden

Friedensrhetorik - Kriegslogik

Auch wenn in Deutschland kein Krieg geführt wird, auch wenn die Verhältnisse in Deutschland – trotz aller Kürzungen und Privatisierungen – verhältnismäßig luxuriös sind, so ist doch der Sozialabbau ein Effekt der gleichen Dynamik, aufgrund derer woanders Kriege geführt werden. Die Friedensrhetorik hat die Funktion, neoliberale Interessen zu zementieren, die anderswo mit Gewalt oder Krieg durchgesetzt werden. Diesen Zusammenhang sichtbar zu machen, ist ein wichtiges Moment des Anti-Kriegswiderstandes in Deutschland. Eine solche Perspektive verändert den Blick darauf, wie Antikriegswiderstand in einem „friedlichen Land“ im globalen Norden aussehen kann: Eine Politik gegen den Abbau des Sozialstaats hier, gegen Privatisierung und die Verschärfung der ‚inneren‘ Kontroll- und Repressionspolitik ist eine wichtige Form des Widerstandes gegen Kriege anderswo, wenn sie es versteht, den Zusammenhang zum globalen Umbau gesellschaftlicher Prioritäten auf Profitinteressen, auf Technologieentwicklung und Wachstum, auf die restlose Ausbeutung der Ressourcen (menschlich und ökologisch) aufzuzeigen und wenn es gelingt, die damit verbundene Ermächtigung von neoliberalen Akteuren und transnationalen Konzernen sichtbar zu machen und anzugreifen.

Kriegszustand – Normalzustand

„Krieg besteht nicht nur in tatsächlichen Kampfhandlungen, sondern in einem Zeitraum – das ist der Kriegszustand ... Der Zeitraum bezeichnet also den Zustand und nicht die Schlacht“ (1). Es reicht daher in einem Land wie Deutschland nicht, zu analysieren, warum gerade in welchem Land Bomben fallen und welche Paramilitärs soziale Strukturen niedermetzeln, wer die größten Kriegsgeschäfte tätigt und welche Militärhaushalte ausgebaut werden. Denn der Frieden hier ist Teil des Kriegszustandes woanders – und eben nicht seine Auflösung. Krieg beginnt nicht mit dem Griff zu den Waffen. Er wird in der Normalität bereitet - in strukturellen und globalen Polarisierungen, Ungleichheiten und Ausschlüssen; in medialen und politischen Diskursen, in den persönlichen Denkweisen, die die eigene Normalität als einzige und einzig richtige Wirklichkeit sehen, in der Ausblendung und Verleugnung anderer Wirklichkeiten. Rassismen, Sexismen (2), das Prinzip der Überlegenheit über andere – Normalzustand?

Die ganz normalen patriarchalen Verhältnisse sind eine Basis für Militarisierung und Krieg. Die systematische Nichtbenennung ist Reproduktion von Herrschaft. Die Idee, dass Krieg überhaupt eine Lösung sein kann, ist in den Köpfen, in den Gedanken und in der hiesigen Normalität verankert. Daher ist es wichtig, eine Politik zu entwickeln, die diese Normalität als Basis für die globale Kriegsdynamik in den Blick nimmt und systematisch in politische Strategien miteinbezieht.

Viele neue Kriege – immer zwei Geschlechter

Ob Low-Intensity Kriege in Lateinamerika, ob der globale Krieg um Hegemonie unter dem Etikett Krieg gegen Terror, ob Kriege in ethnisierter Form, wie beispielsweise im ehemaligen Jugoslawien, so unterschiedlich die neuen Kriege sind, sie alle haben eine wesentliche, kaum wahrgenommene Realität: sie nutzen patriarchale Geschlechterverhältnisse und sie stellen sie her. In allen Kriegen sind Vergewaltigungen Kriegssystem. Überall dort, wo Verhältnisse militarisiert werden, verschärfen sich noch einmal polarisierte Geschlechterbilder und -hierarchien: Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen, Prostitution, Frauenhandel und Frauenverachtung nehmen zu. Der Irak-Krieg, der als beendet gilt, hat aus dem Land eine „No-woman-zone“ (3) gemacht: 80 % der Mädchen gehen nicht mehr in die Schule aus Angst vor Gewalt, Vergewaltigungen und Entführung; Frauen und Mädchen werden verkauft und ermordet. Die us-amerikanische Besatzungsmacht im Irak ignoriert dies nicht nur, sie fördert dies: Trotz des Wissens darum arbeitet sie mit frauenverachtenden politischen Gruppen und Stammesführern gezielt zusammen, um ihre Macht zu festigen: Der Preis dafür ist die Freiheit der Frauen. Das funktioniert, weil Frauen strukturell zum Schweigen gebracht sind. Doch es geht nicht allein um Frauen. Krieg und Kriegsdiskurse bauen auf der Ausblendung und Verleugnung von Wirklichkeiten und anderen Möglichkeiten auf. Dies geschieht immer
wieder durch die Schaffung polarisierter Geschlechtercodes und -realitäten.

Das strategische Schweigen: Geschlechterverhältnisse und Krieg

Geschlechterverhältnisse organisieren ein strategisches Schweigen. Dieses bildet eine wesentliche Voraussetzung für Krieg und Militarisierung.
Geschlechterverhältnisse im Zusammenhang mit Krieg zu benennen, heißt in der Regel, Frauen als mittelbare und unmittelbare Opfer von Kriegen, von Gewalt und von Kriegsfolgen sichtbar zu machen. Weit weniger selbstverständlich ist es, die Geschlechterverhältnisse als grundlegendes Moment von Krieg, Militarisierung und Kriegslogik zu fassen. Auch in der Anti-Kriegsbewegung taucht dieses Gewaltverhältnis höchstens als Neben-Sache auf: als “Frauen-als-Opfer” oder “Frauen-und-Kinder-als-Opfer”. In dieser Sichtweise bleiben Frauen Objekte, die Hierarchisierung wird fortgeschrieben.

Dies ist kein Zufall, sondern ein Symptom. In der feministischen Ökonomie wurde es als “strategisches Schweigen” (Bakker 1994) bezeichnet und gezeigt, wie dieses Schweigen in ökonomischen Konzepten verankert und angelegt ist. Es lässt die Bereiche der Reproduktion, in denen nach wie vor hauptsächlich Frauen tätig sind und die einen großen Teil der weltweiten Arbeit und des Reichtums ausmachen, immer wieder aus dem Denken und aus den Theorien herausfallen – entgegen allen Beteuerungen, dass es notwendig sei, sie einzubeziehen.

Das Schweigen schließt ein spezifisches Reden mit ein.
Das Beispiel Afghanistan macht es deutlich. Zivilisation versus Barbarei - dieser Dualismus hat den Krieg gegen Afghanistan in Deutschland plausibel gemacht. Dies gipfelte in der Festschreibung einer kulturellen Überlegenheit des Westens gegenüber dem Islam, wie dies beispielsweise der italienische Regierungschef Berlusconi bei seinem Besuch in Berlin sagte. Ein Argument, das diesem Dualismus nicht nur unter KriegsbefürworterInnen, sondern auch unter KriegsskeptikerInnen breite Zustimmung garantierte, war die Unterdrückung von Frauen in Afghanistan. Die Legitimierung des Kriegs in Deutschland funktionierte - zugespitzt gesagt - über die Bilder der Unterdrückung von Frauen. Die öffentliche Zustimmung zum Krieg war die Zustimmung zur „Befreiung der Frauen“ – natürlich im Sinne der Herstellung der Geschlechterhierarchie westlicher Couleur. Doch niemals waren Probleme und Rechte der afghanischen Frauen der Maßstab, es waren u.a. geostrategische Interessen, es waren die Interessen der Regierungen der sog. Anti-Terror-Allianz. Das ist heute kaum mehr zu verleugnen. Aber es fragt auch niemand mehr nach der Situation von Frauen in Afghanistan!

Frauen sind und bleiben politische Verschiebemasse, solange ihre Standpunkte an den ent-scheidenden Stellen nicht zählen. Und das tun sie nicht, solange die patriarchalen Geschlechtverhältnisse mit ihren Wertigkeiten und hierarchischen Arbeitsteilungen bestehen. Erst eine konsequente Einbeziehung der Standpunkte von denen, die unter widrigsten Bedingungen, unter Kriegsbedingungen, unter den destruktiven Bedingungen des globalen Neoliberalismus für das Überleben sorgen, würde Kriege und Profitpraxen delegitimieren. Das sind die Standpunkte von „Frauen“ nicht qua biologischem Geschlecht, sondern es sind Standpunkte derer, die aufgrund bestehender Arbeitsteilungen und Zuständigkeiten noch immer mehrheitlich jene Positionen inne haben, die sie am härtesten mit den negativen Konsequenzen der Wirtschafts- und Kriegspolitik konfrontieren. Das sind oft und mehrheitlich – wenn auch nicht ausschließlich – Frauen. Denn zu Kriegen und Militarisierung gehört auch das Schweigen über Traumata, das Schweigen über die psychischen und physischen Folgen von Kriegen, das Schweigen über den Kriegsalltag – ob von SoldatInnen oder von Flüchtlingen, von Frauen usw.

Damit Krieg als Lösung plausibel erscheint, müssen diese Standpunkte ausgeblendet bleiben. Diese Innenseiten von Kriegen müssen in den Erzählungen, der Berichterstattung, der offiziellen Geschichtsschreibung von Kriegen außen vor bleiben. Und d.h. ebenso, dass sie letztlich auch im öffentlichen Bewusstsein über Kriege und Militarisierung kaum präsent sind.
Nur so bleibt auch die Überzeugung richtig, dass der Status quo der westlichen Länder einfach fortgeschrieben werden kann.

Diese gesellschaftlichen Selbstverständnisse müssen hinterfragbar gemacht werden. In Israel beispielsweise – so berichten feministische AntikriegsaktivistInnen von dort – geht es u.a. darum, das gesellschaftliche Selbstverständnis „Sicherheit kann durch Militär gewährleistet werden“ hinterfragbar und Alternativen denkbar zu machen. Dabei sind es nicht nur die Diskurse und die persönlichen Denkweisen, die sich verändern müssten. Es ist immer auch die Frage danach, wie sich solche Selbstverständnisse (und mit ihnen das Verschwinden von Alternativen) strukturell und institutionell verfestigt haben.

Kriegslogik und Polarisierungen: Vom Gebrauchswert der Pole „Männlichkeit-Weiblichkeit“ für die Militarisierung von Gedanken und Wirklichkeiten

An verschiedenen Beispielen soll im folgenden gezeigt werden, wie auf Geschlechterverhältnisse zurückgegriffen wird, wie diese genutzt und hergestellt werden, um den Boden für Militarisierung und Krieg zu bereiten. Die These ist: Geschlechter-Polarisierungen bereiten den Weg in unterschiedliche Kriegszustände.

„Männlichkeit – Weiblichkeit“ verhindern Alternativen zu Militarisierung und Krieg

Die geschlechtsspezifischen Diskurse, die geschlechtsspezifischen Bewertungen, die gesellschaftlich akzeptierten Polarisierungen zwischen Männlichkeit einerseits und Weiblichkeit bzw. Nicht-Männlichkeit andererseits sind der Boden dafür, dass die zerstörerischen, die konkreten Seiten von Kriegen und Militarisierung gesellschaftlich immer wieder ausgeblendet und zum Schweigen gebracht werden. „Argumente“ gegen Krieg und Militarisierung können immer wieder darüber ausgehebelt werden, indem sie auf den Boden einer geschlechtsspezifischen Zuordnung und Bewertung gestellt werden. Dies kann genau deshalb funktionieren, weil Zweigeschlechtlichkeit und die damit einhergehenden Auf- und Abwertungen so tief in unserer Normalität und auch in unseren Köpfen verankert ist, dass immer und jederzeit auf sie zurückgegriffen werden kann.

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Männliche Atomphysiker sitzen zusammen und debattieren nukleare Angriffsstrategien. Dabei geht es um die Frage, wie Tote bzw. Kollateralschäden (immediate fatalities) verringert werden können. Sie finden heraus, dass es durch eine kleine Veränderung ihrer Strategie anstatt von 36 Millionen nur 30 Millionen Tote gibt. Alle sitzen da und nicken: „Ja das ist super, nur 30 Millionen“. Da bricht es aus einem der Atomphysiker heraus: ,,Hey, hört Ihr eigentlich, was Ihr da sagt – worüber wir gerade reden, es geht um Menschen - 30 Millionen tote Menschen!“ Seine Erfahrungen formulierte er darauf folgendermaßen: „Dann herrschte totales Schweigen, niemand sagte etwas, sie guckten mich nicht einmal an... es war schrecklich. Ich fühlte mich wie eine Frau.“ (4) Der Ausbruch des Physikers und das Benennen der konkreten menschlichen Seite des Kriegsszenarios passten nicht in das professionelle Setting der Atomphysiker. Es hatte aber nicht nur keinen Platz, sondern vielmehr diskreditierte es die Position und den Ruf desjenigen, der solche Seiten zur Sprache bringt. Es stellt seine Kompetenz und Professionalität komplett infrage. „Ich habe sowas nie wieder gesagt“, sagte der betreffende Atom-Physiker in einem Interview.

Dies ist beileibe kein zufälliges, vereinzeltes oder beliebiges Beispiel. Die Bewertung von Geschehnissen auf dem Boden von Geschlechterverhältnissen ist eine tragende Säule von Kriegskultur und von Kriegslogik. Damit können politische Konzepte, damit kann das Verhalten einzelner abgewertet werden: Der Geschlechterdiskurs funktioniert hier als Bedrohung vor Ausschluss, davor, „sich lächerlich“ zu machen, inkompetent zu sein. Es geht dabei nicht allein um konkrete Männer und Frauen. Über den Geschlechterdiskurs mit seiner zweigeschlechtlichen bzw. vergeschlechtlichten Bewertungsstruktur werden bestimmte Denk- und Verhaltensweisen delegitimiert und zum Schweigen gebracht. Darüber nämlich, dass bestimmte Verhaltens- und Denkweisen mit der „Schwuchtel-Seite“ (wimp) oder „Miezen-Seite“ (pussy) in Verbindung gebracht werden. Die zentralen Schimpfwörter unter männlichen Jugendlichen auf den Straßen Berlins sind „Schwuchtel“, „schwul“, „Opfer“. Damit nicht in Verbindung gebracht zu werden, bloß nicht in den Verdacht zu kommen, mit dieser Seite assoziiert zu werden, bestimmt daher das Verhalten vieler männlicher Jugendlicher.

Anders gesagt: „To beat the Wimp-Factor“ ist ein wichtiger organisierender Faktor des Sozialen - sowohl in der Politik von Militarisierung und Kriegen als auch in dem persönlichen Verhalten. Beispiele lassen sich zahlreiche finden, im Alltag ebenso wie in politischen Diskursen:. So war „Euro Fags“ der Kommentar zur Kritik Europas an der Bombardierung Lybiens, so wurde Carters Politik gegenüber der Sowjetunion mit dem Kommentar belegt: „Under Jimmy Carter the United States is spreading its legs for the Soviet Union“ oder es wurde vor dem ersten Golfkrieg gefragt „Does George Bush have the Stones for war?“ Geschlechterdiskurse, -codes und -bewertungen funktionieren so immer wieder, um antimilitaristische Perspektiven zu diskreditieren - indem sie als präventives Abschreckungsmittel, als internalisierte Selbstzensur oder auch als vorbeugendes Mittel fungieren, um Einwände oder Alternativen zu verhindern.

Transformationen zum Krieg – immer geschlechtsspezifisch?!

Kriege brechen nicht einfach aus. Krieg ist die Eskalation einer Normalität, die in einzelnen Transformationen sichtbar gemacht werden kann, wie zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien. Männer greifen zu stärkeren Worten, sie rotten sich zusammen, sie greifen zu den Waffen, sie vergewaltigen. Frauen militarisieren sich anders: Sie fangen an Nationalgerichte zu kochen, sie sind stolz auf ihre „starken“, kompromisslosen, und d.h. „männlichen“ (!) Söhne und Ehemänner etc., sie reden nicht mehr mit den ethnisch-anderen Nachbarinnen. Geschlechtsspezifische Wege zum Krieg - ein Pendant, ohne einander nicht denkbar.

Es geht um die Herstellung von Homogenität einerseits und die Herstellung „des Anderen“ mit (zunehmender) Gewalt, die Ächtung des „Anderen“ bis zur Vernichtung andererseits. Wie so etwas gesellschaftsfähig wird, zeigen feministische Aktivistinnen aus dem Kosovo. So schreiben die Frauen in Schwarz: Die in der Normalität verankerten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind eine Voraussetzung für die Entstehung von Kriegen. Sie sind die Basis für die Transformationen hin zum Krieg. Aus Ethnizität wird nationalistisches Bewusstsein, aus nationalistischem Bewusstsein wird Krieg . Diese Transformation ist ohne das Patriarchat, in dem die Idee „des Anderen“, die Polarität und Abwertung bereits strukturell verfestigt und nahegelegt ist, nicht denkbar. Die polarisierte, hierarchische Zweigeschlechtlichkeit, Männlichkeit und Weiblichkeit - als Bilder, als Selbstentwurf sind wesentliche Mobilisierungsfaktoren für Kriege und Militarisierung. Sie sind das Gleitmittel, mit dem sich die Transformationen zum Krieg mühelos vollziehen, das ein Klima von ethnischen Hass, der Krieg (Vernichtung und Unterwerfung „des Anderen“) als Lösung legitimiert, nahelegt, ausbreitet. (5)

Gewaltexzesse –wie Krieg – sind ohne die Verankerung von Hierarchie und Gewalt, von Unterwerfung, Abwertung und Normalität nicht verstehbar, erklärbar, denkbar und daher auch nicht fundamental zu verhindern. Es geht darum, diese „Normalität“ zu hinterfragen und ihr etwas entgegen zu setzen. Das heißt immer auch deutlich zu machen, dass in dieser „NORMalität“ vieles unterdrückt wird, nicht sein darf und zu verstehen, wie Alternativen zu Militär und Krieg gesellschaftlich undenkbar gemacht werden.

Geschlechter-Polarisierungen und -hierarchien sind somit ein wichtiges Gleitmittel für die Transformation zu Gewalt und Militarisierung:

· Kriege zielen auf die Herstellung, Restauration und auf die Kontrolle von Ungleichheiten. „Sexuelle Gewalt und geschlechtsspezifische Repression gegen Frauen ist ein konstitutives Element zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung einer auf Autoritarismus, Gewalt, Kontrolle und Exklusion basierenden lokalen Ordnung.“ (6)
· Geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Bewertungen tragen dafür Sorge, dass die Reproduktion unsichtbar erledigt wird. Damit sind wichtige Voraussetzungen für den Wahnsinn der Profit- und Kriegsmaschinerie bereitgestellt, ohne dass sie an den entscheidenden Stellen zählen.
· Die Naturalisierung von Zweigeschlechtlichkeit garantiert, dass jederzeit komplementäre Männlichkeiten und Weiblichkeiten aufgerufen werden können. Als Bilder, als Selbstentwürfe sind diese wesentliche Faktoren für die Mobilisierung zu und für die Legitimierung von Krieg, Militarisierung und Gewaltanwendung: Ob die Befreiung der Frauen in Afghanistan, ob die inszenierte Befreiung einer US-Soldatin durch männliche US-Soldaten im Irak-Krieg, zuverlässig kann auf Geschlechterstereotype zurückgegriffen werden.

Anforderungen an Antikriegspolitik im globalen Norden:
Leicht gesagt und schwer getan: Revolutionieren wir unsere eigene Lebensweise

Linke Antikriegspolitik in Deutschland diskutiert Geschlechterverhältnisse – wenn überhaupt – lediglich als Exzess, als Kriegsfolge, als Nebeneffekt und macht sie so zur Frauensache. Dies sind sie nicht. Mit dem Schweigen über die Geschlechterverhältnisse - und das meint auch das geschlechtsneutrale Reden über geschlechtsspezifische Verhältnisse - verschwinden nicht nur die Frauen aus dem Bild, sondern ganze gesellschaftliche Bereiche und Fragen fallen damit aus der Skala der politischen Wichtig- und Wertigkeiten. Die Frage nach dem Alltag wird systematisch ausgeblendet. Die Frage danach, wie Menschen (vielfach Frauen) das Leben und die Reproduktion in einem sozial und ökologisch zerstörten Land organisieren, hat wenig spektakuläres. Privatsache, unpolitisch. Auch der Kriegsbegriff der Linken reproduziert mit dem Fokus aufs Militärische - Bomber, Bomben, Soldaten, Kämpfe, Kriegsgeschäfte, Militärhaushalte - diese Wertigkeiten und Koordinaten. So wird eine Normalität fortgeschrieben, in der die Herstellung patriarchaler Geschlechterverhältnisse als zentrales Moment des Kriegszustands unsichtbar und unfassbar bleibt.

Was aber hieße es, den feinen Momenten der Herstellung des Kriegszustandes auch hierzulande Beachtung zu schenken? Sozialkürzungen – Konkurrenz – Existenzängste: Was bedeutet es, in einer Gesellschaft zu leben, in der die eigenen Handlungsmöglichkeiten strukturell und konkret immer mehr auf der individuellen Überlegenheit über andere basieren? Was macht das mit den Sinngebungen und Lebensentwürfen? Was macht das mit den Hoffnungen und Fantasien, mit unseren sozialen und politischen Bezügen? Kein Blut für Öl! - Kein Blut für Handys? (7) Was bedeutet es, in einem Überentwicklungsland zu leben, in dem die Lebensweise auf dem Zugriff und auf der Kontrolle der Ressourcen anderswo basieren?
Dass konkrete Geschlechter- und Lebensverhältnisse hierzulande oftmals aus dem Antikriegswiderstand ausgespart bleiben, hat sicher auch den Grund, dass sie nahe gehen: nah an die eigene politische Substanz, nah an das eigene Leben, an die eigene Lebensweise und an die individuellen (vergeschlechtlichten) Selbstverständnisse und Gewissheiten.

Für feministische Antikriegspolitik im globalen Norden stellt sich die schwierige Frage, was es heißt, den Satz ernst zu nehmen, dass die Befreiung auf Kosten anderer ein Moment der eigenen Unterordnung ist (Nora Räthzel).

Fußnoten:
(1) Michel Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft, Ffm. 2001.
(2) Gewalt gegenüber Frauen, bzw. denjenigen, die den polaren, heteronormativen Geschlechtervorstellungen nicht entsprechen, z.B. Hermaphroditen, Transgender, Lesben.
(3) Yanar Mohamad (Organisation der Freiheit von Frauen im Irak) in: Forward-Brief Nr. 14, 10.9. 2003.
(4) Das Beispiel und die Zitate stammen aus Carol Cohn: „Wars, Wimps and Women: Talking Gender and thinking war“, in Miriam Cooke/Angela Wooollacott (ed): Gendering War Talk. Princeton University Press, Princeton 1993. Carol Cohn war teilnehmende Beobachterin in Strategierunden von den Experten, die die US-Regierung zu „nationalen Sicherheitsangelegenheiten“ beraten und als sog. Think Tanks Strategien und Szenarien für nukleare Angriffe usw. ausarbeiten. Sie hat an sog. Planspielen teilgenommen, informelle Gespräche aufgezeichnet und Interviews gemacht.
(5) Stasa Zajovi (Women in Black): War, Feminism and Anti-Militarism, Paper for the International Meeting Warning Signs of Fundamentalism, London November 11th- 14th 2003.
(6) Matilde Gonzales: Nachhaltig zum Schweigen gebracht. Paramilitarismus, Gewalt und Geschlecht in Guatelamala; in: Azzellini u.a. (Hg.): Das Unternehmen Krieg. Berlin 2003.
(7) Coltan ist ein seltenes metallisches Element, das für Mobiltelefone gebraucht wird, 80% der Weltproduktion stammen aus dem Kongo. Die Rohstoffplünderung durch transnationale Firmen ist ein treibender Grund für den anhaltenden Krieg dort. Weltmarktführer in Sachen Coltan ist die Tochterfirma von Bayer: H.C. Starck, Sitz in Goslar.

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