Wir haben knast! Entkerkerung statt halbherzige Lösungen
Knast als Feld politischer Auseinandersetzung wird kaum thematisiert. Es scheint, dass über alle politischen Grenzen hinweg die gleichen Stereotype reproduziert werden. Wenn man sich Antirepressionsarbeit in Deutschland betrachtet, hat man den Eindruck, dass eine allgemeine Kritik am Strafsystem an sich, an der Justiz, an den Knästen und anderen Zwangsanstalten fehlt. Dabei ist klar: Knast ist keine Lösung für soziale Probleme. Konflikte lassen sich nicht wegsperren.
Die 75.200 Menschen, die 2007 in bundesdeutschen Gefängnissen einsaßen, haben wenig Unterstützung. Es gibt kaum Gefangenenzeitungen oder Knastgruppen. Gefängnisse sind kein Teil des öffentlichen Lebens. Die Gefangenen sind eine Gruppe ohne Lobby, die scheinbar kein Recht hat, Forderungen zu stellen. Sie sind die Unsichtbaren der Gesellschaft. Wer in Haft gerät, fällt aus allen gesellschaftlichen Bezügen heraus und erfährt soziale Ausgrenzung. Soziale Ausgrenzung meint die weitreichende Beschädigung der Subjektivität, der psychischen Integrität und der sozialen Handlungsfähigkeit.
Seit der Geburt des Gefängnisses besteht der Gegensatz zwischen »politischen Gefangenen«, d. h. Gefangenen, die aufgrund ihrer politischen Ideen und davon inspirierten Taten ins Gefängnis kommen, und »sozialen Gefangenen«. Diese Trennung war schon immer konstitutiv für das Alltagsleben in den Gefängnissen, um die Gefangenen als Gruppe zu schwächen. Will man diese Spaltung aufheben, ist die logische Konsequenz, alle als politische Gefangene zu bezeichnen.
Solidarität mit Gefangenen heißt nicht, dass wir uns jedes Mal hundertprozentig mit ihren Aktionen, Taten oder politischen Positionen identifizieren. Solidarität heißt für uns, ihnen Unterstützung zu geben, weil sie sich auf ihre Weise gegen dieses System und die bestehende gesellschaftliche Ordnung stellen bzw. an deren vermeintlichen »Rand« geraten.
Knast als Sozialprogramm
Dem Gefängnis geht die Kriminalisierung voraus. MigrantInnen, Arbeitslose, Obdachlose, DrogengebraucherInnen und politische AktivistInnen unterliegen einem erhöhten Risiko, verdächtigt, angeklagt, verurteilt und eingesperrt zu werden.
Mit dem Abbau des Sozialsystems in den 1980er Jahren wurde die Inhaftierung das primäre Regierungsprogramm für Arme. Der Wandel weg von sozialstaatlichen Leistungen hin zu einem strafrechtlichen Umgang mit sozioökonomischen Problemen hat die Kriminalisierung zu einem Mittel der sozialen Kontrolle werden lassen. Einflussreiche sozialwissenschaftliche Arbeiten wie z. B. von Wilhelm Heitmeyer oder dem Kriminologischen Institut Niedersachsen leisten dem Konstrukt Vorschub, Kriminalität sei vor allem auf Armut und soziale Ausgrenzung zurückzuführen.
Gleichzeitig trägt die zunehmende massenmediale Inszenierung von Einzelfällen zur »Kriminalitätsfurcht« in der Bevölkerung bei. In Umfragen liegt die geschätzte Kriminalität von MigrantInnen fast doppelt so hoch, wie dies laut Kriminalitätsstatistik real zutrifft. Und letztendlich sind auch Verschärfungen des Strafrechts selbst verantwortlich für Kriminalisierungstendenzen: Beispielsweise erhöhten die Verschärfungen im Betäubungsmittelgesetz die Zahl der Inhaftierten, besonders aufgrund von sogenannter Beschaffungskriminalität, ebenso wie die Erhöhung des Strafhöchstmaßes zum Beispiel bei Körperverletzung von drei auf fünf Jahren.
Zudem hat sich das politische Interesse zunehmend auf den Bereich der Prävention verlagert. Prävention rückt prinzipiell das gesamte Leben von als gefährdet geltenden Individuen und Gruppen in den Blick und führt zu ihrer Ausforschung und Überwachung. Etabliert wird der Generalverdacht. Menschliche Freiheitsrechte, Regelungen des Datenschutzes, das Recht auf informationeller Selbstbestimmung und die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung stellen »ärgerliche« Hindernisse dar.
Die Kriminalisierung bestimmter Bevölkerungsteile ist PolitikerInnen natürlich nützlich, denn auf diese Art und Weise lassen sich bestehende Herrschafts- und Machtverhältnisse zementieren. Mehr denn je ist von einer Klassenjustiz zu sprechen, die äußerst milde mit korrupten Vorstandsvorsitzenden und ManagerInnen großer Konzerne ins Gericht geht, die in die eigene Tasche wirtschaften. Wen wundert es da, dass in den Knästen überdurchschnittlich viele MigrantInnen, DrogengebraucherInnen, und seit Kurzem, sogenannte IslamistInnen einsitzen?
Knastzustände unerträglich
An den katastrophalen Zuständen in den Knästen ändert sich hingegen nichts. Ende November 2005 hat das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) zwei Wochen lang verschiedene »Orte der Freiheitsentziehung« in der Bundesrepublik besucht. Im Sommer 2007 übergab das Komitee seinen Bericht an die Bundesregierung. Darin wird beispielsweise über das Thema »Fixierungen« berichtet. Gefangene mithilfe von Bändern oder Handschellen an Betten oder Pritschen zu fesseln und dadurch bewegungsunfähig zu machen, ist im Strafvollzugsgesetz grundsätzlich als »Fesselung« (§ 90 StVollzG) erlaubt – jedoch allenfalls kurzfristig, also »Minuten, höchstens Stunden«. Das CPT berichtete allerdings von Fixierungen, die bis zu sechs Tage andauerten. Im Abschiebeknast Eisenhüttenstadt wurden daraufhin Eisenringe entfernt, in der JVA Weimar die Handschellen durch Bandagen ersetzt.
Weiterhin kritisierte das CPT, dass die von den Europäischen Gefängnisregeln geforderte »täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien« nicht als Disziplinarmaßnahme entzogen werden darf. Daran wird sich jedoch weder bei Untersuchungsgefangenen, noch bei Jugendlichen gehalten. Die Bundesregierung zeigt jedoch Verständnis dafür, dass »in Einzelfällen ein vorübergehender Entzug des Aufenthalts im Freien ... gerechtfertigt sein kann«. Das CPT rügt darüber hinaus, dass in verschiedenen Anstalten Sichtblenden vor den Fenstern das Einströmen von Luft und Licht in die Hafträume behindert. Abgesehen davon stellte es Gewalthandlungen zwischen den Gefangenen fest, ebenso wie eine deutliche Unterbesetzung der Personalstellen in allen besuchten Anstalten.
Auch aus den Knästen dringen immer wieder Proteste gegen die bestehenden Verhältnisse. Die medizinische Versorgung ist unzureichend, es gibt zu wenige SozialarbeiterInnen, die sich um die Belange der Häftlinge kümmern. Zudem ist die Unterbringung der Häftlinge aufgrund von Überbelegung und baulichen Beschaffenheiten der zum Teil uralten Knäste menschenunwürdig. Am 7. August 2008 endet ein europaweiter Hungerstreik, der von der Interessenvertretung Inhaftierter (IvI) als Protest gegen die untragbaren Zustände in deutschen Knästen initiiert wurde. Die AktivistInnen forderten die Abschaffung von Isolationshaft, Sicherungsverwahrung und Zensur. 537 Inhaftierte aus 29 deutschen Haftanstalten und 14 Gefangene in anderen europäischen Ländern (Spanien, Niederlande, Belgien, Schweiz) beteiligten sich an dem Hungerstreik.
Auslöser für diese Aktion war die an die Grenze der Erträglichkeit gesteigerte Repression gegen eine Gefangene. Peter Scherzl, in der JVA Rheinbach inhaftiert und an der Koordinierung der Proteste beteiligt, berichtete in diesem Zusammenhang von zunehmendem Druck im Gefängnisalltag. Zensur kritischer Zeitungen und Briefe, Kontaktsperren, Isolationshaft sind mittlerweile ein alltägliches Instrumentarium in vielen Haftanstalten.
Es geht um das große Ganze
Die menschenunwürdigen Praktiken in den Knästen sprechen für ihre Abschaffung, so Angela Davis. Ohne Knäste würden weniger »Verbrechen« erzeugt, als es die heutigen Ausbildungsstätten für Kriminalität tun.
Doch welche Strategien gibt es um das bestehende Knastsystem abzuschaffen?
Die einzige Alternative besteht im Aufbau einer Gesellschaft, die keine Gefängnisse braucht. Eine vernünftige Umverteilung von Macht, Einkommen und Mitbestimmungsrechten ist notwendig, einhergehend mit einem wirklichen Sinn für Gemeinschaft, der die unterstützt, integriert und teilhaben lässt, die arm sind oder eine andere Hautfarbe haben. Das Gefängnis durch ein einziges Substitut ersetzen zu wollen, ist der falsche Ansatz.
Das Gefängnis als Gefängniskomplex verstanden, besteht aus einem Netz von symbiotischen Beziehungen zwischen Strafvollzugsangehörigen, Konzernen, Medienkonglomeraten und gesetzgeberischen bzw. juristischen Programmen. Da die heutige Bedeutung des Bestrafungsprozesses durch diese Beziehungen bestimmt wird, muss eine Strategie zur Abschaffung der Gefängnisse genau an diesen Beziehungen ansetzen und Alternativen dazu entwickeln.
Es geht nicht darum, gefängnisähnliche Ersatzinstitutionen zu entwickeln, wie z. B. elektronische Arm- und Fußfesseln oder überwachten Hausarrest, sondern die Entkerkerung selbst muss übergeordnetes Ziel sein. Angela Davis denkt hierbei an die Revitalisierung des Bildungswesens auf allen Ebenen, ein ausreichendes Gesundheitssystem für alle, das sowohl psychische als auch physische Bedürfnisse abdeckt, und ein Justizsystem, das auf Wiedergutmachung und Versöhnung beruht statt auf Rache und Vergeltung. Alternative Vorschläge, die Rassismus, männlicher Vorherrschaft, Homophobie, Klassenvorurteile und andere Herrschaftsstrukturen ausblenden, werden letzten Endes nicht zu einer Entkerkerung führen.
Wir haben knast...
...und wollen Freiheit!