Nur für den Dienstgebrauch?
Die Rolle des Verfassungsschutzes bei den Ermittlungen in Sachen militante gruppe
»Bei lnternetrecherchen konnte ein Artikel festgestellt werden, der nach der ersten Inaugenscheinnahme Bezüge zu Texten der ›militante(n) gruppe (mg)‹ aufweist.« Mit diesem lapidaren Satz beginnt ein Auswertungsbericht des Bundeskriminalamtes (BKA), verfasst im August 2006. Der Bericht des Kriminalhauptkommissars (KHK) Nolte von der Staatsschutzabteilung ST 11 löste umfangreiche Ermittlungen aus; zunächst gegen den Verfasser und drei weitere Personen, im weiteren Verlauf dann gegen insgesamt sieben Personen. Zwei Jahre später führten diese Ermittlungen zur Anklage gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. vor dem Kammergericht Berlin.
Was eine 1998 erschienene, kurze Geschichte der kosovarischen »Befreiungsarmee« UÇK – davon handelt der festgestellte Artikel – mit der mg zu tun haben mag? Er enthält Begriffe wie »drakonisch« und »Bezugsrahmen«. Offen bleibt, was KHK Nolte bewog, im Sommer 2006 im World Wide Web nach Texten Ausschau zu halten, die »Bezüge« zur mg aufweisen. Stieß er, einfach so, unter den mehr als 80 Millionen Websites genau auf diesen Treffer? Suchte er überhaupt selbst, oder schrieb er nur den Bericht? Und wieso weitete er den Anfangsverdacht, der Autor des Textes habe etwas mit der mg zu tun, so scheinbar mühelos auf weitere Personen aus, die keine Artikel über den Kosovo geschrieben hatten?
Intensive Zusammenarbeit
Als KHK Nolte seinen famosen Bericht verfasste, hatte er schon fünf Jahre seines Lebens damit zugebracht, Bezüge zur mg zu suchen. Sein Interesse galt bis dahin drei Mitgliedern der Initiative Libertad! Die setzten sich für RAF-Gefangene und den in den USA zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal ein, Bezüge ließen sich also finden. Dennoch mussten die Ermittlungen eingestellt werden, denn für eine Anklage reichten die nicht. Von dem Libertad!-mg-Bezug hatte das BKA durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erfahren, das die Bundesanwaltschaft (BAW) zu Ermittlungen gegen die Drei angestiftet hatte. Sollte vielleicht auch im Sommer 2006 ein Tipp aus Köln seinen Weg nach Meckenheim, dem Sitz der Staatsschutzabteilung des BKA, gefunden haben?
Die zuständige Ermittlungsführerin des BKA, Frau Alles, bestätigte in ihrer Zeuginnenaussage vor dem Berliner Kammergericht, dass es eine ergiebige Informationspipeline zwischen BfV und BKA gegeben hat. So berichtete die Kriminalkommissarin von einem »Panzerschrank« in ihrer Dienststelle, in dem »nicht gerichtsverwertbare« Akten des BfV verwahrt würden. Mit anderen Worten: ein Giftschrank, in dem alles landet, was BfV und BKA, aber auch die BAW, der Öffentlichkeit vorenthalten wollen. Bestimmte Unterlagen würden, so erklärte Frau Alles das Prozedere, an die BAW geschickt. Diese würde beim BfV vorstellig, um zu klären, ob die Akten für das Verfahren verwendbar gemacht werden könnten. Dazu muss die Geheimhaltung aufgehoben werden. Aber wer entscheidet das? Und was passiert, wenn das BfV eine Umwidmung der Geheimhaltungsstufe verweigert? Die Aktenvermerke und Zeugenaussagen lassen nur einen Schluss zu: Was gerichtsverwertbar ist, entscheidet der Verfassungsschutz.
In der Anklageschrift sieht das so aus: »Mit Behördenzeugnis vom 25. Februar 2008 teilt das BfV mit, dass nach dort vorliegenden, vertraulichen, allerdings noch unbestätigten Informationen die Angeschuldigten ... der ›militante(n) gruppe (mg)‹ angehören sollen. Die Quelle wird seitens des BfV als im Allgemeinen zuverlässig berichtend und nachrichtenehrlich eingestuft.« Die Quelle wird zwar in das Verfahren eingeführt. Es ist aber nicht geplant, diese Person als Zeugen zu laden. Die Verteidigung kann den Spitzel nicht danach befragen, woher seine Kenntnisse stammen. Sie kann nicht einmal prüfen, ob diese Person überhaupt existiert. Ebenso wenig wird ihr Einsicht gewährt in den »Panzerschrank« im BKA. Eine Überprüfung, welche – möglicherweise auch entlastenden – Inhalte beim Verfassungsschutz oder dem BKA lagern, ist nicht möglich.
Das sind schwere Verstöße gegen den Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung. Mit einem fairen Verfahren hat das nichts zu tun. Ein Prozess auf dieser Grundlage muss konsequenterweise eingestellt werden.
Vom Wert dienstlicher Erkenntnisse
Ein Blick zurück auf die inzwischen acht Jahre währenden Ermittlungen gegen die »militante gruppe« (mg) offenbart eine enge Kooperation zwischen Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz. Nur zwei Monate, nachdem die mg durch Drohschreiben und einen Anschlag öffentlich erstmals in Erscheinung getreten war, erklärte das BfV der Bundesanwaltschaft, ihr seien die Mitglieder der Gruppe bekannt. Bei den Gründern der mg handele es sich, so der Verfassungsschutz, um drei Mitglieder der Initiative Libertad! Das BfV forderte die Bundesanwaltschaft auf, gegen die Drei zu ermitteln.
Das BKA ermittelte: Die Wohnungen und Arbeitsstellen der Beschuldigten wurden Tag und Nacht gefilmt, Telefone abgehört, Autos verwanzt und mit Peilsendern versehen. Alle Banktransaktionen wurden kontrolliert. Die Drei wurden auf Schritt und Tritt von Zivilpolizisten verfolgt. Das BfV führte einen Teil der technischen Überwachung durch und stellte einzelne Ergebnisse, etwa die Auswertungen von Überwachungskameras, dem BKA in »Amtshilfe« zur Verfügung.
Nach zwei Jahren Totalüberwachung wurde in einem Aktenvermerk des BKA ein erstes Ergebnis notiert: Die Ermittlungen haben zu keinerlei brauchbaren Erkenntnissen geführt. Das Verfahren wurde jedoch nicht eingestellt, sondern auf weitere Personen ausgeweitet. Nach vier weiteren Jahren wurden im Mai 2007 die Wohnungen und Arbeitsstellen der drei Verdächtigen durchsucht. Die Begründung: Bisherige verdeckte Maßnahmen hätten keine Beweise erbracht. Aber auch die beschlagnahmten Computer, Tagebücher, Werkzeugkisten, die Fingerabdrücke und DNA erbrachten nichts dergleichen. Am 22. September 2008, nach sieben Jahren, wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt, denn: Der Anfangsverdacht konnte nicht erhärtet werden. Der Anfangsverdacht? Das waren die »dienstlichen Erkenntnisse« des BfV.
Den zweifelhaften Wert dieser Erkenntnisse hatte das BKA schon zu Beginn seiner Ermittlungen festgestellt. Denn eine vom BKA in Auftrag gegebene kriminaltechnische Untersuchung mehrerer Texte, die das BfV den angeblichen mg-Gründern zugeschrieben hatte, zeigte schon 2001, dass es keine »Autorenidentität« gab. Das BKA aber gab sich mit windigen Erläuterungen des BfV zufrieden, und ignorierte im Folgenden die Untersuchungsergebnisse.
»Diese Gruppe geistert teilweise als Phantom durch unsere Ermittlungsarbeit«, zitierte die Tageszeitung Die Welt einen ungenannten BKA-Beamten kurz nach den Festnahmen von Axel H., Florian L., Oliver R. und Andrej H. am 31. Juli 2007. Wenn das im Sommer 2007 so war, wird der Erkenntnisstand ein Jahr zuvor kaum besser gewesen sein. Gleichwohl will man bei einer »Internetrecherche« schon im August 2006 ein entscheidender Treffer gelandet haben. Neben dem Verfasser des Textes über den Kosovo gerieten Andrej H. und zwei weitere Berliner ins Visier des BKA. Wie es dazu kam und ob wieder »dienstliche Erkenntnisse« des BfV der Auslöser waren, dazu schweigt sich das BKA aus. Jedenfalls ergab eine Textanalyse wieder, dass keine Autorenidentität besteht, und wieder entschied das BKA, dies zu ignorieren. Wieder wurden umfangreiche Überwachungsmaßnahmen eingeleitet. Telefone wurden abgehört, E-Mail-Accounts mitgelesen, per sogenannter »stiller SMS« stündlich der Aufenthaltsort der Beschuldigten abgefragt. Konkrete Hinweise zur mg ergaben sich nicht. Im Lauf der Ermittlungen stieß das BKA auf Florian L., weil dieser über E-Mail mit Andrej H. kommunizierte. Die Überwachung von Florian L. führte zu Oliver R., mit dem sich Florian L. getroffen hatte, ein abgehörtes Telefonat mit Oliver R. wiederum zu Axel H. Kommissar Zufall am Werk, dem jetzt mit dem Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes die gewünschte Richtung gegeben werden soll? Vergegenwärtigt man sich die Rolle des BfV in Sachen mg, ist dies nicht auszuschließen.