Diktatur des Antiquariats: Friedrich Adler und die Propaganda der Tat
Wir werden uns als Rotes Antiquariat im Rahmen dieser Kampagnenzeitung für die Rubrik »Antiquarische Kuriosa« verantwortlich zeigen. Ausgelöst wurde unsere semi-journalistische Aktivität durch einen Artikel der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. In einem der Artikel nach der Festnahme von vier angeblichen mg-Mitgliedern im Sommer letztes Jahres hieß es unter der Überschrift »Phrasen als Indizien?«, dass die »Theorieprosa der mg« der »Diktatur des Antiquariats« folgen würde.
Wir möchten in der Folge mit der geneigten Leserschaft auf eine kleine Entdeckungsreise gehen, bei der wir Fundstücke zu den Themen Antimilitarismus und politische Schauprozesse gegen linke AktivistInnen aufsammeln wollen. Dabei haben wir den Ehrgeiz, nahezu vergessene und unbekannte Personen und deren Geschichte aufzuspüren. Das begreifen wir als eine völlig undiktatorisch vorgetragene antiquarische Wissensvermittlung! Was steht heute auf dem Unterrichtsplan? »Ein Akt heroischer Selbstaufopferung für die Sache einer Idee«, wie der Biograf Julius Braunthal über seinen biografisierten Schützling Friedrich Adler feststellt.
Friedrich Adlers erste Lebensstationen
Um auf das eigentliche historische Ereignis des Attentats durch Friedrich Adler zu sprechen zu kommen, müssen zwei, drei politisch-biografische Hintergründe beschrieben werden. Friedrich (Fritz) Adler (1879-1960) war der Sohn des Gründers der österreichischen Sozialdemokratie, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), Victor Adler (1852- 1918). Friedrich war neben seinem frühen politischen Engagement in erster Linie Naturwissenschaftler und ein guter Bekannter von Albert Einstein.
1911 wurde er neben Otto Bauer, dem wohl bekanntesten Vertreter des sogenannten Austromarxismus, einer der vier Parteisekretäre der SDAP. In dieser Zeit war er ein erklärter Internationalist und Pazifist. Er setzte vor allem auf die länderübergreifende proletarische Solidarität der Friedenssicherung, die er durch die 1889 konstituierte II. Internationale garantiert sehen wollte. Die Kongress- Beschlusslage der II. Internationale war in dieser Hinsicht eindeutig, allerdings überwogen die nationalen Egoismen bei fast allen Sektionen, so dass sich diese friedenssichernden Resolutionen als wertloses Papier herausstellten.
Auf dem Weg zum Attentat
Aber nicht nur die Politik der II. Internationale war nicht kriegshindernd, sondern auch innerhalb der eigenen Partei wurde Friedrich Adler aufgrund seiner internationalistisch-kriegsablehnenden Überzeugungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs zunehmend isoliert. Bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch richtete er eine Stellungnahme an den Parteivorstand, in der es u.a. heißt: »Aber viel schlimmer als die Ohnmacht der Internationale ist die Tatsache, dass (...) in allen Ländern die Sozialdemokratie nicht den Krieg als unüberwindliches Schicksal hingenommen, sondern mehr oder minder die Kriegsparole des Staates sich zu eigen gemacht hat.« Adler verteidigt in einem weiteren Schreiben an den Parteivorstand den internationalistischen Standpunkt der Sozialdemokratie, wenn er schreibt: »Für den Sozialdemokraten ist die Befreiung des Proletariats, abgesehen von der Rasse und der Nation, das allerwichtigste, wichtiger als das Schicksal einer einzelnen Nation überhaupt.«
Er versuchte diesem innerparteilichen Trend der Kriegsbefürwortung und -unterstützung durch eine organisierte Antikriegsformation innerhalb der Partei entgegenzuwirken. Auch wenn sich dem Antkriegs-Manifest »Die Internationalen in Oesterreich an die Internationalen aller Länder« vom 3. Dezember 1915 der bekannte marxistisch-kantianische Theoretiker Max Adler (übrigens nicht mit Victor bzw. Friedrich Adler verwandt) und der Sekretär der Jugendinternationale Robert Danneberg anschlossen, so blieb die Zahl der »Internationalisten Österreichs« doch sehr überschaubar. In diesem Manifest nimmt Adler auch von einem voraussetzungslosen Pazifismus aufgrund der Erfahrungen der ersten Kriegsmonate Abschied und wendet sich einer realpolitischeren Position zu. Er schreibt: »Wir sind weder Pazifisten noch Militaristen, sondern ein Drittes. Wir Sozialisten suchen nicht die Methode der Gewalt, aber wir schließen sie auch nicht aus. Unsere Methode heißt nicht Krieg, sondern Revolution.« Nach einer Sitzung mit der Parteiführung am 20. Oktober 1916, in der er die passive bis unterstützende Haltung der Parteioberen zum imperialistischen Krieg scharf attackierte, war seine politische Marginalisierung absolut. Einen Tag später schoss er auf den österreichischen Ministerpräsidenten, den Grafen Stürgkh.
Das Attentat auf Graf von Stürgkh
Karl Graf von Stürgkh (1859-1916) wurde 1911 Ministerpräsident Österreichs und zählte neben sechs weiteren seiner Zunft zum habsburgischen Kronrat vom 7. Juli 1914, die den Ersten Weltkrieg entfesselt hatten. Stürgkh setzte, um das absolutistische Regime widerspruchslos schalten und walten lassen zu können, die Parlamentsarbeit schon im März 1914, also vor Beginn des Krieges, außer Kraft und regierte fortan mit Notverordnungen. Eine rigorose Pressezensur und die Ignoranz gegenüber den meist zaghaften Forderungen, das Parlament wieder tagen zu lassen, sicherten das autokratische Provisorium. Der kriegstreiberische Kurs Stürgkhs, die Außerkraftsetzung der verfassungsmäßigen Ordnung, die sozialpatriotische Deformation der SDAP und als »i-Tüpfelchen « das Versammlungsverbot für eine Demonstration der drei Präsidenten des Reichsrates veranlassten Adler zu dem Attentat auf die Personifizierung der Reaktion im österreichischen Machtzentrum.
Graf Stürgkh speiste gewöhnlich im Wiener Restaurant Meißl & Schaden zu Mittag. (touristischer Tipp: der Tatort heißt heute schnöde Hotel Europa und befindet sich im 1. Bezirk, Neuer Markt 3) Offenbar für Adler ein idealer Ort, um den Grafen stellen zu können. Der Hergang wird, auch wenn er sich nicht im Detail rekonstruieren lässt, in den Geschichtsbüchern wie folgt dargestellt: Er wartete bis Graf Stürgkh allein an seinem Tisch saß, dann zog er einen Revolver aus der rechten Rocktasche und feuerte drei oder vier Schüsse gegen den Kopf Stürgkhs ab. Um dem Ablauf seine dramaturgische Vollendung zu geben, soll er eigenen Angaben nach »Nieder mit dem Absolutismus, wir wollen den Frieden!« ausgerufen haben.
Führende Parteigenossen aus der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie versuchten die Tat Adlers tags darauf zu psychiatrisieren, in dem sie ihm »Sinnesverwirrung« attestierten, oder als »Unseligen« bzw. als »Irrsinnigen « abstempelten.
Der Prozess vor dem Ausnahmegericht und die Folgen
Friedrich Adler verstand sich vor der Instanz des Ausnahmegerichts, die eigentlich zuständigen Schwurgerichte wurden per Verordnung stillgelegt, nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger. Der am 18. und 19. Mai 1917 stattgefundene Prozess bot ihm die Plattform, um seine politischen Motive, die für die Schüsse auf Stürgkh entscheidend waren, mit allem Enthusiasmus vorzutragen.
Zu Beginn seiner Ausführungen vor Gericht wandte er sich gegen den Versuch der Psychiatrisierung der Tat, damit agitierte er auch gegen die Prozesstaktik seiner Anwälte, die auf »Unzurechnungsfähigkeit « plädieren wollten. Adler dazu: »Ich habe diese Tat mit Überlegung vollbracht (...) Es ist also nicht eine Tat, die aus dem Augenblick hervorgegangen ist, sondern es ist eine ganz klar überlegte Tat. Ich habe diese Tat vollbracht in dem vollkommen klaren Bewusstsein, dass damit mein Leben abgeschlossen ist.«
Adler stützt sich in seiner Anklagerede auf das Notstandsrecht, wenn er sagt: »Berechtigt zur Gewalt ist nach meiner Meinung, wenn das Gesetz zertreten ist, ein jeder Staatsbürger, jeder ist berechtigt, sich sein Recht selbst zu verschaffen auf Grund des Notstandes, den die Regierung verschuldet hat. Ja, jeder Staatsbürger hat nicht nur das Recht zur Gewalt, sondern meiner Überzeugung nach auch die Pflicht, sich einzusetzen in dem Moment, wo alle (...) Rechtsgarantien (...) beseitigt sind.«
Adler beendete den Prozess vor dem Ausnahmegericht, in dem er die Vorzeichen von Ankläger/Angeklagter verkehren konnte, so, wie er ihn begonnen hatte, als wortgewaltiger politischer Aktivist. Nach der Urteilsverkündung rief er pathetisch aus: »Es lebe die internationale revolutionäre Sozialdemokratie!« Tumultartige Szenen folgten im Gerichtsgebäude, die ihren Widerhall in der Presse fanden. Die Wirkung des Adler-Prozesses war also nachhaltig. Die Partei solidarisierte sich mit ihm in einer bis dahin nicht gekannten Offen- und Einmütigkeit. Das ausgesprochene Todesurteil durch den Strang musste aufgrund des ständig steigenden öffentlichen Drucks revidiert werden.
Der Oberste Gerichtshof wandelte das Urteil in 18 Jahre Kerkerhaft um. Nach der Implosion der österreichischungarischen Doppelmonarchie trat die Provisorische Nationalversammlung für »Deutschösterreich« Mitte Oktober 1918 zusammen, um die Gründung der Ersten Republik vorzubereiten. Ende Oktober beantragte die SDAP eine Amnestie für alle politischen Delikte, die im Kontext antimilitaristischer Handlungen standen. Am 1. November 1918 wurde Friedrich Adler aus der Kerkerhaft entlassen. Wenige Tage später brachte er sich wieder in die aktive Politik ein und redete auf einer außerordentlichen Sitzung des Wiener Arbeiterrates. Mit einem ironischen Unterton in seiner Rede gibt er den Anwesenden »die beruhigende Versicherung «, dass er in der Haft »nicht gebessert worden« sei.