Ein Nicht-Plädoyer
Das Schlußplädoyer der Verteidigung hat den Sinn und Zweck, das bisherige Prozeßgeschehen zusammenzufassen und die Schlußfolgerungen darzulegen, die sich für die Verteidigung daraus ergeben. Notwendige Voraussetzung dafür ist die Erwartung, dass das Gericht dazu bereit ist, diese Darlegungen und Argumente anzuhören, nachzuvollziehen und in seine Beratungen mit einzubeziehen.
Angesicht des Verfahrensverlaufs können wir diese Erwartung in keiner Weise mehr aufrechterhalten.
Schon zu Beginn des Prozesses zeigte sich das Desinteresse des Gerichts gegenüber den Rechten der Angeklagten bei einer Auseinandersetzung über die Sitzposition der ZeugInnen: Die Sitzordnung war so arrangiert, dass die Verteidigung die ZeugInnen nur von der Seite oder sogar nur von hinten sehen konnten. Der Beschluss des Senats zu dieser Frage war symptomatisch dafür, wie er die Interessen der Angeklagten im weiteren Prozess zu behandeln gedachte: Er erklärte, die gewählte Sitzposition der ZeugInnen entspräche einer seit mehr als hundert Jahren in jenem Gerichtssaal gepflegten Tradition. Aufgrund der vielen Prozeßbeteiligten sei ein gleiches Recht für alle Verfahrensbeteiligten ausgeschlossen. Es sei vielmehr dem Interesse des Gerichts der Vorzug zu geben.
Demgegenüber begünstigte der Senat in vielerlei Hinsicht die Interessen der Anklagevertretung:
Er bemühte sich nicht darum, der Verteidigung vollständige Einsicht in sämtliche Ermittlungsakten zu ermöglichen.
Er ließ es tatenlos zu, dass sich ErmittlungsbeamtInnen im Zeugenstand auf fehlende Aussagegenehmigungen beriefen und wesentliche Fragen einfach nicht beantworteten. Anstatt selbst tätig zu werden, verwies er die Verteidigung darauf, sich auf dem Verwaltungsrechtsweg um die entsprechenden Aussagegenehmigungen zu kümmern.
Beispielhaft sei hier auch noch einmal daran erinnert, dass der Senat selbst auf eine skandalöse Vertuschungsaktion der Ermittlungsbehörden durch manipulierte Akten ohne nachhaltiges Interesse reagierte: Nur durch hartnäckiges Insistieren der Verteidigung offenbarte sich, dass die dem Senat vorgelegte Akte nicht der originalen Version beim BKA entsprach. Diese Parallelakte sollte den Verfahrensbeteiligten offensichtlich vorenthalten werden. Der Senat forderte daraufhin jedoch noch nicht einmal die beim BKA geführte Akte an, um selbst überprüfen zu können, ob es zu weiteren Manipulationen gekommen war. Daß die Verfahrensbeteiligten in diesem Zusammenhang von einem maßgeblichen Ermittlungsbeamten des BKA obendrein auch noch belogen wurden, sei hier nur am Rande erwähnt.
Die gesetzlich geregelte Zuständigkeit des Kammergerichts ändert nichts an der Tatsache, daß es sich um eine Sonderzuständigkeit handelt, die das Verfahren komplett geprägt hat. Nachdem sich Angeklagte und Verteidiger nach der Festnahme der Angeklagten im Juli 2007 noch mit Sonderhaftbedingungen, Trennscheibenbesuchen und Kontrolle der Verteidigerpost auseinanderzusetzen hatten, mithin Instrumentarien, die im Zuge der "Terroristenprozesse" der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts eingeführt worden waren, änderte sich dies auch zu Beginn dieses Prozesses nur partiell.
Tatsache ist, dass dieses Gericht ein Klima der Einschüchterung schürte, indem es BesucherInnen mit einer abschreckenden Sicherheitsverfügung konfrontierte und dadurch den uneingeschränkten Zugang der Öffentlichkeit zu diesem Prozeß nicht gewährleistete. Obwohl der Bundesgerichtshof Ende November 2007 dem Verfolgungseifer der Bundesanwaltschaft Zügeln angelegt und erklärt hatte, der Vorwurf, bei der „militanten gruppe" handele es sich nicht um eine terroristische, sondern allenfalls um eine kriminelle Vereinigung, fand dies kaum Niederschlag in den äußeren Rahmenbedingungen, unter denen dieser Prozeß vonstatten ging.
Im Zuge der rigiden Einlasskontrollen mußten sich ZuhörerInnen peniblen Körperkontrollen unterziehen und sämtliche Gegenstände abgeben; es gab Dispute über die Anzahl der erlaubten Papiertaschentücher und Schreibutensilien. So in den Gerichtssaal gelangt, erwartete die Zuhörerinnen dort eine massive Präsenz bewaffneter und mit schußsicheren Westen versehenen Bereitschaftspolizisten. Personenschützer sicherten das Terrain zusätzlich ab, anwesende Prozeßbeobachter des BKA waren erklärtermaßen auf der Suche nach potentiellen Sympathisanten der Angeklagten.
Wir haben uns oft gefragt und tun dies noch : Wozu diese martialische Präsenz bewaffneter staatlicher Organe im Gerichtssaal? Wer oder was sollte da noch vor wem geschützt werden? Oder ging es eben doch nur um eine Stigmatisierung der Angeklagten als gefährliche Gewaltverbrecher? Darum, die an einen Staatsschutzsenat gemeinhin gestellten Erwartungen zu erfüllen?
Tatsache ist, daß der Senat schon durch die äußeren Rahmenbedingungen ein Klima der Vorverurteilung und Hochstilisierung der Angeklagten zu gefährlichen Gewaltverbrechern geschürt hat. Seinen letzten Ausdruck fand dies in der Hinnahme von verkleideten, mit Perücken und falschen Bärten ausstaffierten Zeugen von BKA und LKA Berlin, die weder ihren Namen, teilweise noch nicht einmal ihre persönliche Codenummer angeben mochten.
Last but not least: Die Verteidigung hat von Anfang an deutlich gemacht, dass die von der Anklage vorgetragenen Indizien auch anders gewertet werden können. Der Senat hat im Verhandlungsverlauf immer wieder deutlich gemacht, dass er einen solchen Blick nicht einnehmen will und nicht daran interessiert ist, andere Interpretationsmöglichkeiten des Sachverhaltes als den von der Bundesanwaltschaft vorgegebenen nachvollziehen zu wollen und in seine Erwägungen einzubeziehen.
Vor diesem Hintergrund kann von einem fairen Verfahren nicht gesprochen werden. Wir sind zu der festen Überzeugung gelangt, dass ein Schlußplädoyer unsererseits den Senat nicht beeinflussen wird.
Ein Einhalten formaler Spielregeln, die ihres Inhaltes entkleidet sind, macht für die Verteidigung jedoch keinen Sinn. Wir verzichten daher auf einen Schlußvortrag.
verlesen von RA Franke am 14. Oktober 2009 im mg-Prozess am Berliner Kammergericht
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Nachfolgend drei Texte aus der Pressemappe von 14. Oktober 2009:
Gibt es eine „militante gruppe”?
Am Ende einer einjährigen Beweisaufnahme stellt sich zunächst ein mal die Frage, ob es zum Zeitpunkt der hier angeklagten Tat überhaupt eine einheitlich agierende, geschlossene Organisation "militante gruppe" (mg) gab. Nachdem die Befragung vieler Ermittlungsbeamter und Verfassungsschutzmitarbeiter keine eindeutigen Angaben hierzu ergab, beruft sich die Bundesanwaltschaft nunmehr auf die unter dem Namen "militante gruppe" herausgegebenen Veröffentlichungen. Allen Verlautbarungen, die als belastend im Sinne der Anklage gewertet werden können, wird Glauben geschenkt. Alle Verlautbarungen, die dem erwarteten Beweisergebnis widersprechen, zum Beispiel die konkrete Angabe, die Angeklagten seien keine mg-Mitglieder, werden als Schutzbehauptungen verworfen.
Eine Betrachtung aller Texte im Zusammenhang ergibt allerdings Anhaltspunkte dafür, dass die unter dem Namen "militante gruppe" begangenen Anschläge nicht alle von derselben Gruppe begangen worden sind. Die unter dem Namen "militante gruppe" veröffentlichten Anschlagserklärungen unterscheiden sich untereinander in einer ganzen Reihe von Aspekten so grundlegend, dass sich der Schluss aufdrängt, dass die Texte von einer Vielzahl von verschiedenen Autoren bzw. Autorinnen stammen. Eine weitergehende Analyse deutet sogar darauf hin, dass die verschiedenen Autorinnen/Autoren der Texte sogar in verschiedenen organisatorisch und inhaltlich eigenständigen Gruppen organisiert sein dürften.
Am 20.12.2006 erfolgt unter der Überschrift "Das war Mord" ein Angriff auf die Häuser von zwei Personen, denen die Tötung des Flüchtlings Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle vorgeworfen wird (lfd. Nr. 25). Wenige Wochen später, am 15.1.2007, folgt ein erneuter Anschlag zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik, diesmal gegen Fahrzeuge der Bundespolizei, nachdem diese im Rahmen einer Verfolgungsjagd den Tod mehrerer Flüchtlinge verursacht hatte. Die Erklärung hierzu (lfd. Nr. 26) enthält einen Verweis auf eine frühere Aktion gegen den Bundesgrenzschutz vom 4.9.2006. Weiter heißt es dann "Der Mord an Oury Jalloh in einer Dessauer Bullenwache von vor zwei Jahren ist in den letzten Wochen aufgrund unterschiedlicher Aktionsformen wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt worden. Dieses Beispiel zeigt, dass durch das solidarische Zusammenwirken verschiedener Protest- und Widerstandspraxen konkrete Ergebnisse einer antirassistischen Mobilisierung erzielt werden können. Daran wird weiter anzuknüpfen sein, wenn es gelingen soll, die Mörder Blodau, Schubert und März nicht davonkommen zu lassen." Der nahe liegende, für eine einheitliche agierende Gruppe geradezu zwingende Verweis darauf, dass zu diesen "unterschiedlichen Aktionsformen" auch eine Aktion der mg gehört, fehlt jedoch völlig. Diese Unterlassung lässt sich damit erklären, dass der ausführenden Gruppe bei der Verfassung ihrer Erklärung die Erklärung zu der Aktion vom 20.12.2006 noch nicht vorlag -- beide Erklärungen wurden nämlich zeitgleich in der interim Nr. 657 vom 21.6.07 veröffentlicht.
Es zeigt sich daher, dass das reine Berufen auf unter dem Namen „militante gruppe" erfolgte Veröffentlichungen bereits von zweifelhaftem Beweiswert ist. Die von der BAW angestellte Vermutung, dass diese Organisation über Jahre mehr als 2 Mitglieder sowie eine entsprechende Struktur hatte, weil sie sich als Kollektiv beschreibt und mitteilt, dass Mitglieder die Gruppe verlassen und neue gesucht wurden, ist reine Spekulation.
Eine Zuordnung aufgrund der Tatmodalitäten, wie ursprünglich in der Anklage behauptet, lässt sich nicht vornehmen. Das Brandmittel "Nobelkarrossentod" wurde von unterschiedlichsten Gruppen verwendet, die Bundeswehr ist regelmäßiges Ziel von Anschlägen unterschiedlichster Gurppen und Anschläge werden in der Regel Nachts verübt, tagsüber ließe sich ein womöglich fahrender LKW auch nur schwer entflammen.
Eine Zuordnung aufgrund ausbleibender Reaktionen der "militante(n) gruppe (mg)", insbesondere aufgrund derer sonstiger Angewohnheit, alles und jedes zu kommentieren und Falschzuweisungen zu korrigieren klingt zunächst plausibel. Folgt man allerdings den Aussagen beinahe aller Mitarbeiter von Verfassungsschutz und BKA, die hier ermittelt haben, so haben Einzelmitglieder der „mg" mit anderen Personen beispielsweise unter den Namen „Militante Antiimperialistische Gruppe Aktionszelle Pierre Overney" und „Militantes Bündnis für einen Klassenkampf von Unten" Anschlähe verübt. Die BAW will dies nun einfach im Beweisergebnis unter den Tisch fallen lassen. Wenn dies so ist, und davon muss man zu Gunsten der Angeklagten ausgehen, so kann die Festnahme der drei Angeklagten die militante gruppe indirekt betroffen haben. Das lange Schweigen wäre dann, unabhängig von der erfolgten Selbstauflösung, zwanglos mit Sicherheitsbedenken zu erklären.
Auch das Auffinden des so genannten Minihandbuchs bei einem der Angeklagten kann unter diesen Voraussetzungen erklärt werden, mit einem ganz normalen Austausch von Diskussionsmaterial mit Nichtmitgliedern. Es sei darauf hingewiesen, dass ein Gutachter zu dem Schluss kam, bei der gefundenen Version des Minihandbuches handele es sich um eine Generationenkopie, es sei eine Kopie von der Kopie und zwar ggf. die neunte Wiederkopie. Dies lässt erhebliche Zweifel an der Behauptung aufkommen, dass wer diese Blätter besass, mg-Mitglied sein müsse.
Konspiratives Verhalten der Angeklagten kann vieles beweisen, nicht jedoch die Mitgliedschaft in einer Verenigung, deren Existenz nicht einwandfrei bewiesen ist.
Maßgebliche Beweismittel der Anklageschrift, wie der angebliche Informant, haben sich in Luft aufgelöst. Nach der Beweisaufnahme spricht weiterhin nicht mehr als eine Vermutung für eine Mitgliedschaft der Angeklagten in einer kriminellen Vereinigung „militante gruppe".
Strafzumessung, wenns denn sein muss?
Legt man nach Abschluss der Beweisaufnahme zu Grunde, die Angeklagten hätten sich nicht nur einer versuchten Brandstiftung sondern auch der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung strafbar gemacht, so kommt man gleichwohl zu deutlich anderen Ergebnissen als die Bundesanwaltschaft, wenn man politische Erwägungen beiseite lässt.
Da die verschiedenen hier in Frage kommenden Straftatbestände in Tateinheit zu einander stehen ist der mögliche Strafrahmen aus der höchsten in Frage kommenden Mindeststrafe und der höchsten Einzelstrafe zu ermitteln. Die einfache Sachbeschädigung hat einen Strafrahmen zwischen Geldstrafe und zwei Jahren, die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel, beispielsweise Fahrzeugen der Bundeswehr, eine Höchststrafe von 5 Jahren. Die Brandstiftung hat einen Strafrahmen von einem Jahr bis 10 Jahre. Da hier aber nur eine versuchte Brandstiftung vorlag, wird dieser zu reduzieren sein auf ein Mindestmaß von 3 Monaten und eine Höchststrafe von 7,5 Jahren.
Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sieht als Mindeststrafe Geldstrafe, als Höchststrafe eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren vor; nur in einem besonders schweren Fall ist das Mindestmaß auf 6 Monate erhöht.
Die BAW hat einen solchen besonders schweren Fall angenommen. Besonders schwere Fälle sind solche, die von den üblichen Fällen so gravierend abweichen, dass das normale Strafmaß nicht mehr ausreichen soll. Besonders schwere Fälle einer Körperverletzung sind demnach solche unter Einsatz von Waffen, Gift oder einer lebensgefährlichen Behandlung. Wie die BAW bei Vorliegen einer kriminellen Vereinigung, der lediglich Brandschäden in Höhe von insgesamt 500-800.000 Euro vorgeworfen werden, bei deren Aktionen kein Mensch zu Schaden kam und keine erhebliche Gefährdung von Menschen zu Tage trat, zu einem besonders schweren Fall kommt, ist nicht nachvollziehbar. Verglichen mit kriminellen Vereinigungen, die im Rechtsalltag vor Landgerichten wegen Menschenraub, Drogenhandel, Betrügereien und Steuerhinterziehungen angeklagt werden, erschiene hier allenfalls ein minder schwerer Fall annehmbar.
Lässt man einen in Frage kommenden minder schweren Fall der kriminellen Vereinigung außer Betracht, so ergäbe sich ein Strafrahmen zwischen 3 Monaten und 7,5 Jahren.
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass das normale Strafmaß im unteren Drittel des in Betracht kommenden Strafrahmens liegt, und von diesem Normalmaß unter Berücksichtigung aller strafmildernden und strafschärfenden Gesichtspunkte die auszuurteilende Strafe zu ermitteln ist. Als Ausgangspunkt wäre also ein Strafrahmen zwischen 3 Monaten und 31 Monaten (2 Jahre 7 Monate) anzunehmen.
Strafschärfend kann vorliegend allenfalls der große politische Schaden berücksichtigt werden, den die „mg" nach Auffassung der BAW verursacht hat. Auch ein gewisses Bedürfnis zur Abschreckung anderer TäterInnen mag strafschärfend zu berücksichtigen sein, obwohl gerade dies von der BAW nicht angesprochen wurde. Alle anderen Gesichtspunkte , die in der Hauptverhandlung deutlich wurden, können nur strafmildernd Berücksichtigung finden. Insbesondere die Tatsache, dass alle den militanten gruppen zugerechneten Anschläge ausschließlich Sachschäden verursacht haben wird deutlich strafmildernd zu berücksichtigen sein. Die persönlichen Umstände der Angeklagten, die alle nicht vorbestraft sind und soziale Berufe ausüben, ist ebenfalls strafmildernd zu berücksichtigen. Die psychische Erkrankung eines der Angeklagten, die durch die spektakuläre Festnahme und die anschließende Untersuchungshaft unter Sonderhaftbedinungen deutlich verschlimmert und teilweise erst hervorgerufen wurde, muss erhebliche Auswirkungen haben.
Letztlich wäre hier unter den Bedingungen eines normalen Strafprozesses eine Strafe zwischen 1 1/2 Jahren und 2 1/2 Jahren angemessen. Da aufgrund der Erkrankung eines der Angeklagten und der Festnahme eine Fortsetzung der Aktivitäten ohnehin nicht zu erwarten sind, kann auch eine positive Prognose für ein weiteres straffreies Leben erstellt werden. Es wären hier also sogar Strafen von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, denkbar.
Unvollständigkeit der Akten
Die Verteidigung hat von Anfang an darauf hingewiesen, dass nicht alleine ihr, sondern auch dem Senat wesentliche Aktenbestandteile vorenthalten werden. Wir haben immer vertreten, dass alle zum Gesamtverfahrenskomplex gehörenden Akten Gegenstand dieses Verfahrens sein müssen. Wie wichtig vollständige Akten sind wird an folgendem Beispiel deutlich.
Wir haben erlebt, dass ein BKA-Zeuge in der Hauptverhandlung während seiner Aussage alle Verfahrenbeteiligten angelogen hat – und das sei an dieser Stelle erwähnt, nur dank des Agierens der Verteidigung vor einer Falschaussage bewahrt wurde –, indem er die ihm bekannte Tatsache verschwieg, dass das BKA sich selber an der sogenannten Militanzdebatte beteiligt hat. Aufgrund immer neuer Nachfragen nach fehlenden Aktenbestandteilen erhielt die Verteidigung einen Sachstandsbericht, in dem dieser Umstand für einen Artikel gekennzeichnet war. Darauf angesprochen, erklärte der Zeuge diese Variante der Akte sei nicht für die Verfahrensbeteiligen bestimmt. Mit anderen Worten: Der Zeuge gab unumwunden zu, dass beim BKA Parallelakten geführt werden, deren Inhalt – und wie in diesem Fall nachgewiesen in gravierender Weise – gegenüber den Akten abweichen, die Verteidigung und Gericht zur Verfügung stehen. Offenkundig wurde also, dass selbst die vorgelegten Akten nicht vollständig sind. Vielmehr haben die Ermittlungsbehörden aus eigener Machtvollkommenheit rechtswidriger Weise entschieden, was Bestandteil der vorzulegenden Akten ist. Das von der Verteidigung von Anfang vorgetragene Misstrauen bewahrheitet sich. Dennoch wurde vom Senat der Antrag der Verteidigung auf Beschlagnahme dieser vollständigen Ermittlungsakte abgelehnt, da es dem Senat ausreichte, dass die BAW sich schriftlich vor das BKA stellte und behauptete, es habe sich um ein peinliches Versehen gehandelt.
Die Weigerung des Senats sich dieser Entwicklung im Verfahren mit aller Konsequenz zu stellen und sich nicht mit einer schriftlichen Erklärung der BAW zufrieden zu geben, hat weitreichende Folgen für unsere Mandanten. Ob sich weitere geheimgehaltene eventuell entlastende Aktenteile beim BKA befinden, wird sich nie mehr klären lassen.
Nachdem bekannt wurde, dass es zwei Texte des BKA zur „Militanzdebatte" gab, machte die Verteidigung das Gericht darauf aufmerksam, dass einer dieser Texte im Verfassungsschutzbericht eines Landesamtes erwähnt und für authentisch gehalten wurde. Es wurde geklärt, dass keiner der Geheimdienste noch das BKA Kenntnis davon haben, wer zu solchen Mitteln greift und ob nicht gegenseitig die Texte anderer Behörden als authentisch aufgefasst und zur Textanalyse herangezogen werden. Diese Gemengelage lässt sich nicht aufklären.
Aufklärung täte aber Not, weil diese Frage unmittelbar damit verbunden ist, ob es die „mg" in der von der Anklagebehörde behaupteten Form überhaupt gibt und unsere Mandanten in irgendeiner Beziehung zu ihr stehen.
Wir erinnern uns, dass die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer sowohl die Existens der Gruppe mg in Form einer festen, organisierten Gruppe als auch die Anzahl der Mitglieder (mehr als drei) ausschließlich aus den ihr zugerechneten Papieren geschlossen hat.
Was nun, wenn die gar nicht von der mg sind?