Der Terror-Paragraph

Wir dokumentieren einen Artikel aus der Tageszeitung junge Welt vom 18.08.2006, der viele Hintergrundinformationen zum §129a bietet. Ganz unten gibt es ausgesuchte weiterführende Literatur und Links.

1976 trat der Strafrechtsparagraph 129a in Kraft: eine juristische Mehrzweckwaffe. Von Heinz Jürgen Schneider

Die Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag in Bonn war sich einig geworden. Am 18.August 1976 konnte somit das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs und anderer Bestimmungen im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Im Mittelpunkt stand die Schaffung einer neuen Strafvorschrift mit der Paragraphennummer 129a. Damit wurde erstmals die Bildung einer »terroristischen Vereinigung« unter Strafe gestellt. Heute vor dreißig Jahren trat damit die Zentralnorm des politischen Strafrechts der Bundesrepublik in Kraft – eine juristische Mehrzweckwaffe, wie noch zu zeigen sein wird. Helmut Schmidt war damals sozialdemokratischer Kanzler einer SPD/FDP-Regierung, sein Justizminister hieß Hans-Jochen Vogel und im Prozeßbunker von Stuttgart-Stammheim wurde gegen die Gründer der Roten Armee Fraktion (RAF) verhandelt.

Gesellschaftskritik und linke Organisierung gab es in den 1970ern in vielfältigen Formen, mit RAF und Bewegung 2. Juni gründete sich auch eine Stadtguerilla. Atomkraftwerke, Berufsverbote, Hausbesetzungen, Vietnamkrieg oder Solidarität mit Befreiungsbewegungen waren einige der Themen. Der »Deutsche Herbst« 1977 – die Wochen von der Entführung und Tötung des Arbeitergeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer durch die RAF bis zum Tod ihrer Gründungsmitglieder im Gefängnis – stand noch bevor. Aber die »Antiterrorpolitik« lief schon auf hohen Touren, auch mit Hilfe des Gesetzgebers. Im Fokus der Öffentlichkeit stand der Paragraph 129a bei seinem Inkrafttreten noch nicht sofort. In der gutbürgerlichen Neuen Juristischen Wochenschrift warf aber Hans Dahs, ein renommierter liberaler Strafverteidiger, dem Parlament wegen dieser und anderer Verschärfungen schon früh rechtsstaatswidrige »Griffe in die Giftküche« vor. Er sollte recht behalten.

Gesinnungsstrafrecht

Der Wortlaut des Paragraphen 129a war und ist umfangreich und gewollt unscharf. In der aktuellsten Fassung hat er neun Absätze mit 439 Wörtern. Verfolgt wird, wer Gründer oder Mitglied einer »terroristischen Vereinigung« ist, deren Tätigkeit darauf gerichtet sein soll, schwere Straftaten wie Mord, Entführungen oder Sprengstoffdelikte zu begehen. Bestraft wurde nach dem Gesetzeswortlaut von 1976 auch, wer eine solche Vereinigung nur unterstützt oder für sie wirbt.

Nirgendwo findet sich eine Definition von »Terrorismus«. Wer wegen Paragraph 129a vor Gericht steht, dem muß keine konkrete (strafbare) Handlung nachgewiesen werden. Verurteilt werden kann er wegen eines »Organisationsdelikts«. Wer als Mitglied der Vereinigung angesehen wird, kann für sämtliche ihr zugeschriebenen Taten zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Was in der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats Tatstrafrecht hieß, wird nun zum praktischen Gesinnungsstrafrecht. Die Konstruktion einer »Terrorvereinigung« durch die Strafverfolgungsorgane steht am Beginn der Repression. Den Gerichten bietet der neue Paragraph die Möglichkeit, auch ohne individuellen Tatnachweis zu verurteilen.

Die Tatalternativen »Unterstützen« und »Werben« verlagerten die Verfolgungsmöglichkeiten weit nach vorn. Das Wort »Sympathisant« sollte bald eine unheilvolle Bedeutung erhalten. Der Begriff von der »legalen Ebene« der RAF gelangte bis in Urteile. Ein Solidaritätsflugblatt für den Hungerstreik politischer Gefangener ist 1981 nicht mehr eine freie Meinungsäußerung, sondern führt zu einer Gefängnisstrafe wegen »Unterstützung«.

Vorläufer

Der Paragraph 129a schuf eine neue Qualität, er hat aber auch kurz oder länger zurückliegende historische Vorläufer. Schon Jahrzehnte vor 1976 gab es im Strafgesetzbuch den Paragraphen 129 gegen »kriminelle Vereinigungen«. Die bundesdeutsche Justiz wendet ihn gegen Drogenhändler und Geldfälscherringe an. Er war aber in den 1950er und 60er Jahren auch ein Auffangtatbestand für die damalige massenhafte Kommunistenverfolgung, besonders nach dem KPD-Verbot von 1956. Politische Aktivitäten aus der Illegalität heraus werden zu einem Bandendelikt gemacht.

Bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück reichen die mit dem Mittel des Strafrechts betriebenen Kriminalisierungen und politischen Prozesse gegen Systemoppositionelle der jeweiligen gesellschaftlichen Zustände. 1822 wurden erstmals Vereinigungen wegen »revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen« verboten und ihre für die bürgerliche Revolution eintretenden Mitglieder von der Justiz des feudalen Staates verfolgt. 1871 schaffte das Reichsstrafgesetzbuch Vorschriften wie die Paragraphen 128 (Verbot von Geheimgesellschaften) und 129 gegen staatsfeindliche Vereinigungen. Stütze der politischen Verfolgung im kaiserlichen Deutschland ist das »Sozialistengesetz«, gültig von 1878 bis 1890, das der Bekämpfung und Illegalisierung der damals revolutionären Sozialdemokratie diente. Schon der Versuch, die Organisation der SPD aufrechtzuerhalten, war strafbar. 1872 verurteilte das Reichsgericht die SPD-Führer August Bebel und Wilhelm Liebknecht zu Festungshaft, weil sie den Krieg gegen Frankreich verurteilt und öffentlich im Parlament eine »terroristische Vereinigung« unterstützt hatten: die Pariser Kommune.

Die Justiz der Weimarer Republik knüpfte nach 1919 an diese Tradition an. Grundlage der Verfolgung von Kommunisten und anderen Linken waren ein »Republikschutzgesetz« und eine ausufernde Rechtssprechung. Sie kriminalisierte sehr weitgehend legale Aktivitäten vom Spendensammeln, über Beitragskassierung bis zum Verkauf sozialistischer Literatur als »Vorbereitung zum Hochverrat«. 1925 verurteilte der Staatsgerichtshof den Schauspieler Rudolf Gärtner zu einer Haftstrafe, weil er eine Gedenkfeier zum siebten Jahrestag der russischen Oktoberrevolution künstlerisch gestaltet und dort Gedichte vorgetragen hatte. Die Nazijustiz übernahm nach 1933 das Reichsstrafgesetzbuch im wesentlichen, ging dann jedoch ohne große rechtliche Bindungen mit Sondergerichten und Terror zur Ausschaltung des politischen Gegners über.

Sechs Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, 1951, schuf der Bundestag dann ein neues politisches Strafrecht auf der Höhe der Zeit. Der CDU-Abgeordnete Horst Haasler brachte es 1957 mit dem Satz auf den Punkt: »Es ist eine Waffe, die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen.« Im selben Jahr war die Freie Deutsche Jugend (FDJ) in Westdeutschland illegalisiert worden, das KPD-Verbotsverfahren wurde eingeleitet. Der Apparat von Staatsschutz, politischer Justiz und Geheimdiensten war in der BRD wiederhergestellt, aber nicht entnazifiziert.

Das Sondersystem

Mit dem Paragraphen 129a wurde aber nicht nur eine neue Strafvorschrift erlassen, die in einer gewissen geschichtlichen Kontinuität steht. Durch weitere Gesetzesänderungen wurde der Paragraph zum Schlüssel und Bezugspunkt für ein umfassendes Sondersystem bei allen Ermittlungsverfahren gegen »Terroristen« und wer immer dafür gehalten wurde. Von geänderter Gerichtszuständigkeit über besondere Haftbedingungen bis zu Verschlechterungen bei der anwaltlichen Vertretung wurde geschaffen, was im Gesetzgebungsverfahren die »maßgeschneiderte Antwort auf den Terrorismus« genannt wurde. Der Jurist und Bürgerrechtler Rolf Gössner analysierte: Der »Paragraph 129a ist mehr als eine schlichte Strafrechtsnorm– er hat einen fast amorphen, anpassungsfähigen Charakter und äußerst vielseitige, multifunktionale Eigenschaften«. Die staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit wurde zentral bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe konzentriert. Sie untersteht direkt dem Bundesjustizministerium. Behördenintern wurden bedeutende personelle Kapazitäten geschaffen.

Zuständiges Polizeiorgan ist nun das Bundes­kriminalamt (BKA). Es erhielt eine Terrorismusabteilung und wurde zur Koordinationsstelle der Staatsschutzarbeit. Von 1970 (erste Aktionen der RAF) bis 1976 verdoppelte sich das Personal und vervierfachten sich die finanziellen Mittel. Unter BKA-Präsident Horst Herold wurde die materielle Basis gelegt für modernste kriminalistische Methoden wie Rasterfahndung oder die Anlage von Datenbanken. Später sollten u.a. der Lauschangriff und die satellitengestützte PKW-Fahndung hinzukommen.

Nach der Strafprozeßordnung besteht bei Ermittlungen der Sicherheitsorgane nach Paragraph 129a die Möglichkeit zu großflächiger Telekommunikationsüberwachung, zu Razzien in Wohnblocks, zur Errichtung von Kontrollstellen im Straßenverkehr und auf öffentlichen Plätzen, einschließlich der Möglichkeit zur Durchsuchung auch von Unverdächtigen sowie zur Anordnung der sogenannten Schleppnetzfahndung mit Massenspeicherung von Daten.

Erste Gerichtsinstanz wurden die Staatsschutzsenate von Oberlandesgerichten. Sie sind mit auserlesenem Gerichtspersonal besetzt und die einzige Instanz, in der mit Zeugen oder Sachverständigen eine Beweisaufnahme stattfindet. Als Rechtsmittel ist nur eine Revision zum für politische Sachen allein zuständigen 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zulässig. Die 129a-Haftbefehle erledigt ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Er residiert im selben Gebäudekomplex wie die Bundesanwaltschaft.

Zum bis heute typischen Szenario eines Paragraph-129a-Verfahrens gehört ein unerklärter Ausnahmezustand. So wurde beispielsweise in Düsseldorf ein eigenes Hochsicherheitsgerichtsgebäude gebaut. Polizeiliche Bewachung, abschreckende Zugangskontrollen, Kopieren von Besucherausweisen und Zivilbeamte im Zuschauerraum sind inzwischen ebenfalls Routine.

Verschärftes Haftrecht

Eine Zäsur gab es auch im Haftrecht. Bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts nach Paragraph 129a darf Untersuchungshaft verhängt werden, ohne daß ein Haftgrund wie Fluchtgefahr vorliegen muß. Zu weiteren Eingriffen gehört auch der strenge Vollzug dieser Haft. Der Schriftverkehr zwischen Einsitzendem und seinem Rechtsbeistand wird richterlich überwacht. Alle Anwaltsgespräche finden mit einer Trennscheibe statt, Privatbesuche mit zuhörenden Beamten. Die Gefangenen werden innerhalb der Anstalt separiert und gern auch in Anstalten weitab von Freunden und Angehörigen inhaftiert. Isolationshaft wird zum Unwort ganzer Jahre.

Schon vor 1976 (dort wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung), aber auch nach Inkrafttreten des neuen Paragraphen gab es Verurteilungen, Verfahrensausschließungen und »Ehrengerichtsverfahren« gegen Vertrauensanwältinnen und -anwälte. Vorgeworfen wurde ihnen Kommunikation mit ihren inhaftierten Mandanten und Unterhaltung eines Infonetzwerkes zwischen den Gefangenen. Aus professionell gebotener Arbeit in einem politischen Verfahren wurde so die illegale Unterstützung einer Terrorvereinigung konstruiert.

1989 wurde eine »Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten« geschaffen. Wer selbst wegen Paragraph 129a verfolgt wurde, konnte beim Verrat anderer straffrei werden oder einen großen Strafrabatt erhalten. Der Gesetzgeber hoffte, einen eingestandenen »Ermittlungsnotstand« bei der Aufklärung der RAF-Aktionen der 1980er Jahre zu beseitigen oder durch reuige Terroristen einen moralischen Einbruch in die Szene zu erzielen. Die Regelung war nicht nur bei Experten wegen der Förderung des Denunziantentums und einem Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien sehr umstritten. Eine praktische Relevanz erreichte sie nur in wenigen Fällen. Einige RAF-Aussteiger, die bis 1990 im Exil in der DDR gelebt hatten, machten von ihr Gebrauch. Durch belastende Aussagen gegen schon Inhaftierte »erdealten« sie sich eigene geringe Strafen und Vergünstigungen. Auch in Paragraph-129a-Prozessen gegen Kurden traten Kronzeugen auf. Da der erhoffte Erfolg nicht eintrat, wurde die Kronzeugenregelung 1999 nicht mehr verlängert. Absatz 6 des Paragraphen 129a gibt heute die Möglichkeit, Aussagebereitschaft in Prozessen und das Offenbaren geplanter Aktionen durch Beschuldigte milder zu bestrafen.

Sesam-öffne-dich

Das Ausmaß der Ermittlungsverfahren von 1976 bis 2006 läßt sich durch Bundestagsanfragen und andere Quellen nur annähernd bestimmen. Exakte Zahlen liegen nicht vor. Wichtig sind in diesem Zusammenhang deshalb nur die Größenordnung und daraus abzuleitende Tendenzen. Diese Anmerkung vorausgeschickt, gab es in den letzten dreißig Jahren etwa 5500 bis 6000 Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a. Teilweise wurden die Verfahren gegen »Unbekannt« geführt, häufig gab es mehr als einen einzigen Beschuldigten. Die Zahl der namentlich Betroffenen von Paragraph-129a-Ermittlungen liegt bei mindestens 20000 Personen. Zum historischen Vergleich: Für 1951 bis 1968 wird die Anzahl der politischen Strafverfahren im Rahmen der Kommunistenverfolgung auf rund 125000 geschätzt, die Zahl der Betroffenen auf 250000. In der Zeit von 1980 bis '89 gab es über 3000 Ermittlungsverfahren. Danach reduzieren sich die Zahlen mit der abnehmenden Aktivität der linksradikalen Bewegung. Durchschnittlich rund 200 Ermittlungsverfahren gab es pro Jahr. Die absolute Mehrzahl der Verfahren gehen um »Unterstützen« und »Werben«, nicht um Mitgliedschaft. Anhand der offiziellen Zahlen läßt sich feststellen, daß durchschnittlich rund 95 Prozent (aktuell fast 97 Prozent) der Ermittlungsverfahren nicht mit einer Anklage und einem Prozeß enden, sondern – oft nach langer Zeit – eingestellt werden. Die »Anklagequote« liegt üblicherweise aber nicht bei fünf, sondern bei fast 50 Prozent. Das macht den Charakter des 129a als »Ausforschungsparagraph« deutlich. Rolf Gössner hat dies so beschrieben: »Für die Ermittler ist es ...weniger entscheidend, ob das jeweilige Verfahren überhaupt gerichtlich eröffnet wird und dann auch mit einer Verurteilung endet; von wesentlich größerer Bedeutung ist für sie das Ermitteln selbst. Mit dem über Paragraph 129a als Kristallisationskern aktivierten, komplexen Sonderrechtssystem verfügen sie über ein praktikableres Instrumentarium, um in die anvisierten, schwer erfaßbaren Szenen einzubrechen, über den Einzelfall hinaus Kommunikationsstrukturen knacken, Daten erheben und Soziogramme des Widerstands erstellen zu können, die nicht nur repressiv, sondern vor allem präventiv und operativ genutzt werden können. Verunsicherung der Szene, Entsolidarisierung und Abschreckung sind zwangsläufige Folgeerscheinungen dieser Kriminalisierungsstrategie ...«

Wie die Trüffelschweine suchten und fanden die Sicherheitsorgane, was ihnen bekämpfenswert schien. Über die Jahrzehnte gerieten unterschiedliche Gruppen, Szenen und Personen ins Fadenkreuz: RAF-»Sympathisanten« und Antiimps, PKK und türkische Linksradikale, militante Antifas und Autonome, der Widerstand gegen die Startbahn West oder Atomtransporte, Revolutionäre Zellen und »Terrorvereinigungen« ohne Namen – eine (unvollständige) chronologische Liste eines Spektrums der deutschen Systemopposition.

Praktische Erfahrungen aus solchen Verfahren zeigen: Durchsuchungen führen zur meist langfristigen Wegnahme von Unterlagen, Festplatten oder persönlichen Aufzeichnungen und Adressenlisten, behindern die politische Arbeit und bieten weitergehende personenbezogene Ermittlungsansätze. Observationen – verdeckt oder gewollt offen – ermöglichen, Bewegungsbilder und Kontaktprofile der Szene zu erstellen. Die Telekommunikationsüberwachung verschafft den staatlichen Ermittlern einen tiefen Einblick in politische Zusammenhänge und beim Mobilfunk auch eine Ortung der Aufenthaltszone der observierten Person. Immer gibt es auch die Komponente des Verunsicherns und Entsolidarisierens. Einzelne werden herausgegriffen, ganze Szenen in friedlich und militant gespalten, die mediale »Terrorismuskeule« geschwungen und politische Bewegungen vom eigentlichen Schwerpunkt abgelenkt und zu einer Antirepressionsarbeit gezwungen. Zur Durchsetzung dieser Ziele wurde auch der Gesetzeswortlaut mehrfach auf die jeweilige Höhe der politischen Bewegung gebracht.

Die erste wichtige Novellierung des Paragraphen 129a erfolgte 1987. Der Katalog der Taten, die in terroristischer Absicht begangen werden können, wurde ausgeweitet. Dazu gehörten jetzt auch gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiff- und Luftverkehr (Ziel: Störaktionen gegen Munitionszüge oder Verkehrsblockaden bei militanten Streiks), die »Störung öffentlicher Betriebe« (die Gesetzesmaterialien nennen beispielhaft das »Absägen von Strommasten«) und die Zerstörung von öffentlichen Bauwerken oder Fahrzeugen der Bundeswehr und Polizei.

Auch in der politischen Welt des 21. Jahrhunderts ist die Strafnorm inzwischen angekommen. Seit 2002 wird der Paragraph 129a auch auf terroristische Vereinigungen angewandt, die es nur im Ausland gibt, die aber in Deutschland unterstützt oder für die Mitglieder geworben werden können. Dies sieht der Zwillingsparagraph 129b vor, der zunächst gegen islamistische Gruppen angewandt wird, aber auch internationalistische Arbeit mit/für ausländische Vereinigungen treffen kann. 2003 erhielt die Vorschrift ihre aktuell gültige Fassung. Jetzt ist u.a. zu prüfen, ob die ins Visier geratene Gruppe »die Bevölkerung auf erhebliche Weise ein[ ]schüchtern, eine Behörde oder internationale Organisation [sic!] rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt [...] nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines [kapitalistischen] Staates [...] beseitigen oder erheblich [...] beeinträchtigen« will.

Ersatzlos abschaffen

Annähernd so alt wie der Paragraph sind die Proteste gegen ihn. Für die Forderung »Weg mit dem 129a!« gab es Demonstrationen, Veranstaltungen, Resolutionen, Wandparolen oder Artikel. Mit differenzierten Inhalten gibt es Kritik und Forderung nach Abschaffung dieser Rechtsvorschrift in der linksradikalen Bewegung, bei Bürgerrechtsorganisationen, fortschrittlichen Juristenvereinigungen, bei der Roten Hilfe und Politikern.

Im Jahr 2001 hat die PDS-Fraktion einen Antrag in den Bundestag eingebracht, den Paragraphen 129a und andere Vorschriften des politischen Strafrechts ersatzlos zu streichen – wie vorhersehbar ohne Erfolg. Das politische Kräfteverhältnis ist inzwischen ein anderes, und auch die allgemeine Tendenz geht immer mehr in Richtung verschärfter Repression. Die Europäische Union strebt eine Vereinheitlichung ihrer »Antiterrorgesetze« an. Maßstab ist dabei auch die Gesetzeslage in der BRD. Deshalb erhielten Länder wie Griechenland eine dem Paragraphen 129a vergleichbare Regelung, die es dort vorher nicht gegeben hatte. – Die deutsche Staatsschützerszene wird dem Jahrestag »ihres« Paragraphen möglicherweise keine besondere Beachtung schenken, obgleich sie ihn als Eckpfeiler ihrer Arbeit mit Sicherheit auf keinen Fall missen möchte.

 

Heinz Jürgen Schneider ist Rechtsanwalt in Hamburg. Als Strafverteidiger in politischen Prozessen vertrat er u.a. zahlreiche Kurden. Er ist Anwalt des seit 1982 inhaftierten Ex-RAF-Mitglieds Christian Klar. Website: www.tribunal-online.de

 

Ausgewählte Literatur und Materialien

  • J. Grässle-Münscher, Kriminelle Vereinigung, Hamburg 1991
  • R. Gössner, Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat, Hamburg 1991
  • R. Gössner, Das Antiterrorsystem, Ossietzky 21/2007
  • A. von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der BRD, Frankfurt/M. 1978
  • H. Dahs, »Das Anti-Terror-Gesetz – eine Niederlage des Rechtsstaats«, in: NJW 1976,S. 2145ff.
  • H.J. Schneider, Innere Sicherheit am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Marxistische Blätter 3/2000 S.26ff.
  • Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl., München 2006
  • E. Schultz, Zur Vorgeschichte des § 129a, Ossietzky 21/2007

 

Quelle: Tageszeitung junge Welt vom 18.08.2006