Der Kreis wird kleiner ...

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 22ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Am Anfang kamen 30 bis 40 Leute zu unseren Treffen, ein halbes Jahr später noch 15 bis 20. Alle machten viel und hatten kaum Kapazitäten noch andere wichtige Aufgaben zu übernehmen. Das förderte den Frust und der Teufelskreis ging weiter. Nach anderthalb Jahren, aber dann konstant bis Februar 2011, saßen in der Regel noch sieben bis zehn Menschen am Tisch. Aber zumindest bis zum Ende des Prozesses war die Arbeit nicht weniger geworden. Einige waren von Anfang an dabei und waren von Andrej oder den anderen drei Gefangenen benannt und in den Solikreis berufen worden. Anfangs war der Kreis groß und heterogen, was dazu führte, dass wir uns nur schwer oder gar nicht auf gemeinsame Inhalte einigen konnten. Nach anderthalb Jahren waren wir so ein kleiner Kreis, dass die Frage im Raum stand, ob wir uns überhaupt noch politisch äußern können und für wen wir in diesem Fall überhaupt noch sprechen. Zum Ende des Prozesses waren wir dann sogar froh, wenn überhaupt Aufgaben wie beispielsweise das Verfassen eines Redebeitrags übernommen wurden. Wer etwas übernahm, konnte dies relativ frei gestalten. Ein Feedback auf so einen Redebeitragsentwurf blieb häufig aus, wahrscheinlich, weil der Entwurf o.k. war. Erst auf Nachfrage kamen (dann ausschließlich zustimmende) Reaktionen. Das lag einerseits daran, dass inzwischen weitgehend bekannt war, wie alle denken und wie wir etwa Redebeiträge schreiben wollten, aber andererseits auch daran, dass die Kraft fehlte, alles zur Kenntnis zu nehmen und über Details zu streiten. Jede/r war froh, dass die Arbeit gemacht wurde, und hielt sich vielleicht auch deswegen mit Kritik zurück. Zu Prozessende haben wir aus dem letzten Loch gepfiffen. Die letzten Wochen und Tage waren ein Kraftakt. Aber mit einigen Monaten Abstand und auf die gesamte Zeit zurückgeblickt, sind wir optimistischer und sehen die Geschichte des Einstellungsbündnisses im Gesamtblick sogar als eine Erfolgsstory.

Das Einstellungsbündnis, das einzige beschlussfassende Gremium, in dem alle Fäden zusammenliefen, wurde also nach und nach personell kleiner. Das ist das Schicksal von Soligruppen zu allen Zeiten. Solidaritätsarbeit ist teils zäh und langweilig. Das Solibündnis sei „nicht besonders attraktiv“, meinte einmal eine Mitstreiterin. Und eine langfristige, beharrliche Arbeit trotz ständigem Frust ist einfach nicht jedermenschs Ding. Also nicht unerwartet nahm mit der Zeit die Beteiligung an unserer Arbeit ab, obwohl in den ersten anderthalb Jahren auch immer wieder neue Leute hinzukamen. Nach Prozessbeginn und der Schwerpunktsetzung auf das Gerichtsverfahren blieben wieder ein paar weg. Es waren diejenigen, die in erster Linie ein eher bürgerliches Spektrum ansprechen wollten. Diese Menschen fehlten uns. Wir konnten ihre Initiativen nicht selbst übernehmen.

Bei manchen schluckten Alltag, Beruf und/oder Familie so viel Lebenszeit, dass ein weiteres Erscheinen im Bündnis nicht mehr möglich war. Vereinzelt wurden auch politische Gründe für das Fortbleiben genannt, beispielsweise die Nicht-Anwesenheit der Angeklagten. Oft blieben Differenzen allerdings unausgesprochen und wurden nicht gemeinsam diskutiert. Einige, die wegblieben, setzten andere politische Schwerpunkte und Prioritäten. Andere wichtige politische Projekte mussten schließlich auch angegangen und bewältigt werden.

Dass das Schrumpfen des Einstellungsbündnisses uns nicht zur Handlungsunfähigkeit und Bedeutungslosigkeit verdammte, lag zu einem guten Teil daran, dass wir die ganze Zeit auf viel Solidarität auch außerhalb der eigentlichen Bündnistreffen setzen konnten. Mal völlig unabhängig, mal in Rücksprache mit uns und manchmal auch als Arbeitsgruppe des Bündnisses gab es eine Vielzahl von Initiativen, auf die wir uns in unserer Arbeit immer wieder beziehen konnten. Viele Menschen, auch einige, die das Bündnis verlassen hatten, engagierten sich in konkreten Projekten wie Veranstaltungen oder anderen Unterstützungsaktionen. Hier sahen sie ein konkretes Ergebnis im Gegensatz zu den oft zähen Bündnistreffen, auf denen häufig Technisches und Organisatorisches, aber wenig Politisches besprochen wurde.

Im Bündnis haben wir erst im Sommer 2009 resümiert, dass wir die weggebliebenen Beschuldigten nicht zurück an den Tisch, auf die regelmäßigen Treffen holen können. Das hatten wir mehrmals versucht. Das festzustellen und einen Umgang damit zu finden, hat also gedauert. Vielleicht hätten wir schon früher unsere Konsequenzen ziehen und andere Wege finden sollen. Anstatt abzuwarten, sich selbst zu blockieren, Ideen nicht umzusetzen, hätten wir durchaus politische Inhalte formulieren und öffentlich setzen können, auch wenn nicht jeder und jede vorher gefragt wurde oder sich einverstanden erklären konnte. Nachdem wir das diskutiert haben, hat uns die Situation weniger blockiert. Aber bis zum Schluss war den meisten eine Rückkopplung wichtig. Ganz ohne geht es nicht.

Mit Prozessbeginn stellte sich die Frage nach kollektiven Umgangsweisen und politischen Positionen dann erneut und auch in Bezug auf unsere Öffentlichkeitsarbeit zum Verfahren. Zu diesem Zeitpunkt kam nur noch einer der Angeklagten regelmäßig, ein weiter überhaupt nicht mehr zum Bündnistreffen. Einer der Angeklagten entschied sich, in einem anderen Rahmen notwendige Solidaritäts- und Bündnisarbeit zu machen. Dabei fehlte bedauerlicherweise die Rückkopplung zum Einstellungsbündnis. Sein Rückzug ging auf eine Absprache mit seinen Mitangeklagten zurück. Immerhin schien durch diese Absprache gewährleistet, dass einer der Angeklagten immer im Bündnis vertreten war und Diskussionen und Entscheidungen den anderen vermitteln konnte. Allerdings war die Kommunikation unter den Angeklagten teils mangelhaft. Zudem waren die drei häufig nicht oder nicht so schnell wie erhofft entscheidungsfähig und gingen mit dem Prozess unterschiedlich um.

Natürlich gefiel es uns nicht, dass „unsere Angeklagten“ teils sehr verschieden dachten und handelten, Widersprüche und vor allem einen unterschiedlichen Umgang mit der Solidaritätsarbeit hatten. Einer ließ eher alles auf sich zukommen, der zweite meinte, der Prozess sei ein Kasperletheater und mensch müsse außerhalb des Gerichtssaals etwas tun, der dritte sagte, auch in einem Kasperletheater kann mensch agieren.