Solidarische Prozessbegleitung

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 57f, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

Zwischen Beschuldigten, Angeklagten, ihren Angehörigen und Rechtsanwält_innen bewegte sich das Einstellungsbündnis. Im Unterschied zu vergleichbaren Prozessen und Soligruppen in der Vergangenheit lief unser Kontakt zu Beschuldigten, Angeklagten und Rechtsanwält_innen sowie die Transparenz nach innen und außen sehr gut. Bei uns gab es kaum Streit und Spaltungen, sondern „Einigkeit trotz Unterschiede“. Das haben wir gut hingekriegt.
Schnell kam unter uns die Frage auf: Wie bringen wir uns in den Prozess ein? Ist der Prozess und die Prozessführung Privatsache der Angeklagten und ihrer Anwält_innen? Nach der Parole „Wir sind alle 129a“, wir sind alle betroffen, musste diese Frage verneint werden. Obwohl viele Chancen für eine kollektive bzw. gemeinsame Bearbeitung vorhanden waren (dies ist heute leider nicht mehr selbstverständlich und muss oft wieder erkämpft werden), wurde eine diskutierte Prozessführung nicht erreicht. Die Möglichkeiten wurden nicht genutzt, weil das Einstellungsbündnis zu schwach war und vielen – auch Beschuldigten und Angeklagten – die Vorstellung einer kollektiven Prozessarbeit unklar war oder sie diese Vorstellung nicht wichtig genug nahmen.

Nach Prozessbeginn konstituierte sich aus dem Einstellungsbündnis eine kleine Prozessgruppe um die Angeklagten und von ihnen ausgewählte je ein bis zwei Menschen, die Aktenstudium machen und den Prozess politisch begleiten sollten. Die Gruppe sollte sozusagen politisch-kritisches Glied zwischen Angeklagten, ihren Anwält_innen und dem Bündnis sein und eine Vermittlerposition einnehmen. Dies scheiterte bald, nach nur drei bis vier Treffen, weil die Vorstellungen (was so ein Kreis überhaupt tut) und Kapazitäten zu unterschiedlich waren, teils ein Verständnis, Ideen und Erfahrungen von politischer Prozessführung fehlten, eine Verständigung nicht möglich war und die Angelegenheit doch sehr zeitintensiv geworden wäre. Im Nachhinein bedauern wir, dass die Prozessgruppe zerrann, bevor es richtig angefangen hatte – ohne eine Lösung zu haben, wie wir es hätten anders hinkriegen können. Letztlich war vielleicht das Hauptproblem die Kapazitäten. Sechs Leute mit viel Zeit und Energie und der vollen Unterstützung aller Angeklagten hätten so eine Prozessgruppe rocken können.

Manche hätten gerne schon viel früher politische Beweisanträge wie die vom 58. Prozesstag gesehen, andere vertraten die Auffassung, die Revolution lasse sich nicht vor einem Gericht der bürgerlichen Klasse verteidigen. Vor Richter_innen und Staatsanwält_innen sei nicht der Platz, um sich über unsere Vorstellungen und Kritiken linker und revolutionärer Kämpfe auszutauschen, solange es andere Plätze dafür gibt. Die verschiedenen Meinungen waren alle richtig und berechtigt. Schließlich wurde klar: Die Rechtsanwält_innen werden im Gerichtssaal juristisch und politisch alles unternehmen, dass der §129-Vorwurf fällt. So liegt es an uns, auf der Straße Druck aufzubauen und dafür zu sorgen, dass Axel, Florian und Oliver nicht mehr zurück in den Knast müssen.

Was sich aus der Prozessgruppe jedoch – eher informell – entwickelte, war ein Kreis von zwei Bündnismenschen, einem Angeklagten und zwei Anwält_innen, die sich in der Regel einmal wöchentlich teils mehrere Stunden austauschten. Dieser Kreis war ein zentrales Bindeglied zwischen Anwält_innen und Einstellungsbündnis. Und die ein oder andere Initiative ging auch von diesem kleinen Kreis aus.