Chronik

aus dem Buch "Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)", S. 77ff, ISBN 978-3-942885-00-3, edition assemblage, März 2011.

12.06.2001: Die militante gruppe (mg) verschickt scharfe Patronen an Vertreter der „Stiftungsinitiative“ zur Entschädigung der Zwangsarbeiter aufgrund ihrer Rolle in diesem NS-relativierenden Schlussstrichprojekt. In den kommenden Monaten und Jahren verübt die mg zahlreiche nächtliche Brand- und Farbbeutelanschläge auf staatliche Behörden und Fahrzeuge zu den Themen Sozialabbau, staatlicher Rassismus, Krieg, Militarisierung, Sicherheitswahn, Überwachung und politische Repression. In der Szenezeitschrift „Interim“ beginnt eine Militanzdebatte.

01.07.2001: Das BKA nimmt aufgrund von Hinweisen des Bundesamts für Verfassungsschutz (VS) Ermittlungen gegen drei Berliner auf, die der Initiative Libertad! angehören (mg1-Verfahren). Sie wurden schon in der Vergangenheit, mindestens seit 1998, überwacht. Ermittelt wird nach §129a (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung).

2002: Aufgrund eines Fehlers der Telefongesellschaft o2 bei der Rechnungsstellung erfährt einer der drei Verdächtigen, dass sein Telefon abgehört wird.

2003: Zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen je eine Person wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe werden eingeleitet (mg2 und mg3).

08.11.2003: Die Illustrierte „Focus“ lanciert, dass die mg enttarnt sei. Weil „Focus“ Namen nennt, erfahren vier namentlich genannte Personen erstmals, dass gegen sie wegen Mitgliedschaft in der mg ermittelt wird.

Herbst 2006: Ein neues Ermittlungsverfahren gegen Andrej und drei seiner Freunde wird aufgenommen (mg4-Verfahren). Die vier werden überwacht, abgehört und observiert.

19.04.2007: Andrej trifft sich mit Florian in einem Café. Florian wird in das Ermittlungsverfahren aufgenommen. Tage später trifft Florian Oliver. Danach wird auch Oliver in das Ermittlungsverfahren aufgenommen.

09.05.2007: Bei der bundesweiten Razzia vor dem G8-Gipfel werden u.a. wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe Wohnungen, Arbeitsplätze und das Büro der drei Libertad!-Mitglieder durchsucht.

31.07.2007: Oliver, Florian und Axel werden nach Mitternacht in einem PKW bei Brandenburg an der Havel gestoppt und verhaftet. Sie sollen dabei beobachtet worden sein, auf dem MAN-Gelände Brandsätze unter Bundeswehrfahrzeuge gelegt zu haben. Andrej wird am frühen Morgen in seiner Berliner Wohnung festgenommen. Der BGH erlässt am darauffolgenden Tag Haftbefehle. Vor allem aus akademischen Kreisen kommen viele solidarische Stimmen überwiegend für Andrej.

04.08.2007: Während der attac-Sommerakademie in Fulda, zu der Andrej als Referent eingeladen war, findet eine erste Solidaritätsdemonstration mit rund 400 Teilnehmer_innen statt, um gegen die Verhaftungen und die Terrorismusvorwürfe zu protestieren. Am Abend gibt es die erste Knastkundgebung in Berlin-Moabit.

15.08.2007: Auf der documenta21 in Kassel wird über die Freiheit von Kunst und Wissenschaft anlässlich der Verhaftung von Andrej diskutiert.

22.08.2007: Haftentlassung von Andrej. Der Haftbefehl besteht zunächst weiter. Am gleichen Tag findet wieder eine Kundgebung vor dem Knast in Berlin-Moabit für die drei verbliebenen Gefangenen statt.

15.09.2007: Demonstration „Bundeswehr raus aus Afghanistan“. Grußadresse von Florian.

20.09.2007: Brandanschlag auf Reisebusse auf dem MAN-Gelände in Otelfingen, Schweiz, als Solidaritätsaktion „für die vier in Berlin verhafteten Genossen“.

22.09.2007: Freiheit-statt-Angst-Demonstration in Berlin. Grußadresse von Oliver.

30.09.2007: Erste Veranstaltung des Einstellungsbündnisses in der Volksbühne mit dem Titel „Ist jetzt alles Terrorismus?“

23. - 25.10.2007: Über 20 Personen werden als Zeug_innen zur Bundesanwaltschaft nach Berlin-Treptow vorgeladen. Nicht alle erscheinen; die meisten verweigern die Aussage. Es werden keine Zwangsmittel zur Aussageerpressung verhängt.

24.10.2007: Der Haftbefehl gegen Andrej wird aufgehoben. Es liegt kein dringender Tatverdacht mehr vor.

28.11.2007: Der BGH gibt bekannt, dass die mg-Ermittlungen nicht mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§129a StGB), sondern nur mit der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) geführt werden dürfen, weil die Taten der mg nicht geeignet sind, den Bestand der Bundesrepublik erheblich zu gefährden. Der BGH setzt die Haftbefehle außer Vollzug. Axel, Florian und Oliver werden am folgenden Tag auf Kaution entlassen.

16.12.2007: Zweite Veranstaltung des Einstellungsbündnisses in der Volksbühne: „Wir sind alle Terroristen!“

14.01.2008: Die Beschuldigten des mg4-Verfahrens werden zur DNA-Abgabe geladen. Kundgebung vor dem Polizeipräsidium Brunnenstraße „Da bleibt mir glatt die Spucke weg“.

23.02.2008: Veranstaltung „Kriegsgerät interessiert uns brennend“ mit antimilitaristischen Aktivist_innen aus Europa.

03.04.2008: Die Infotour des Einstellungsbündnisses durch die Bundesrepublik beginnt.

09.04.2008: Drei Personen werden als Zeugen von der BAW nach Karlsruhe vorgeladen. Es werden keine Zwangsmittel verhängt.

11.04.2008: Eröffnung der Ausstellung „Terrorism is it“ des Einstellungsbündnisses. Zuvor hatte das Bündnis aufgerufen, Beiträge einzusenden, die sich mit der Frage beschäftigen: „Was ist eigentlich Terrorismus?“

21.06.2008: Die Anklageschrift wird zugestellt. Die Anklage nach §129 bezieht sich u.a. auf die Aussagen eines angeblichen Spitzels.

18.09.2008: Erste Ausgabe der Zeitung des Einstellungsbündnisses „Ende einer Dienstfahrt“ erscheint.

21.09.2008: Beginn der Veranstaltungsreihe „Traumatisierung und Widerstand“.

22.09.2008: Das Verfahren gegen die drei Libertad!-Mitglieder (mg1) wird eingestellt. Zuvor war schon das mg2-Verfahren eingestellt worden.

25.09.2008: Prozessbeginn gegen Axel, Florian und Oliver vor dem Berliner Kammergericht. Die Angeklagten verlesen eine antimilitaristische Prozesserklärung. Vor dem Gericht findet eine Kundgebung statt.

13.11.2008: Antimilitaristische Tatortinspektion. Bus-Tour durch Berlin und Brandenburg, unter anderem zum MAN-Gelände.

01.12.2008: Aufkleber-Prozess. Zwei Personen werden Belohnung und Billigung von Straftaten vorgeworfen, weil sie einen Aufkleber mit brennendem Bundeswehr-Jeep und der Parole „Why not?“ verklebt haben. Freispruch am 16.02.2009 wegen „unvermeidbarem Verbotsirrtum“.

13.12.2008: Bundesweiter Aktionstag „Solidarität mit den Angeklagten im mg-Prozess“. In Berlin beteiligen sich am Vorabend mehrere hundert Menschen an der Demonstration „Feuer und Flamme der Repression“.

02.03.2009: Das Papier „Solidarität ist unteilbar“ des Einstellungsbündnisses erscheint. Das Bündnis äußert sich darin erstmals ausführlicher zur mg.

26.03.2009: Ein BKA-Zeuge lügt vor Gericht. Die Anwälte decken auf, dass das BKA Akten manipuliert hat und sich mit zwei schriftlichen Beiträgen an der Militanzdebatte in der „Interim“ beteiligt hat.

13.04.2009: In der Offizierschule des Heeres der Bundeswehr in Dresden brennen nach einem Brandanschlag 42 Bundeswehrfahrzeuge aus.

20.04.2009: Im Prozess zeigt sich, dass die angebliche Spitzel-Aussage wertlos ist – sie stamme lediglich „vom Hörensagen“.

18.06.2009: Das mg3-Verfahren wird eingestellt.

23.06.2009: Das Verfahren gegen Andrejs drei Freunde wird eingestellt. Gegen Andrej wird zunächst weiter ermittelt.

01.07.2009: „radikal” Nr. 161 erscheint. Die militante gruppe bekennt sich darin zu weiteren Anschlägen und gibt ihre Auflösung bekannt.

07.07.2009: Veranstaltung „Alles was uns fehlt ist die Solidarität“ des Einstellungsbündnisses an der Humboldt-Universität.

23.09.2009: Politische Beweisanträge im Prozess: Widerstand gegen völkerrechtswidrige Kriege ist legitim.

14.10.2009: Die Anwälte verzichten auf Plädoyers.

16.10.2009: Urteilsverkündung am 63. Prozesstag: Drei bzw. dreieinhalb Jahre Haft für Axel, Florian und Oliver. Die Verurteilten gehen in Revision. In Berlin findet während der Urteilsverkündung eine Solikundgebung statt. Danach gibt es in vielen Städten Solidaritätsaktionen.

04.03.2010: Das schriftliche Urteil wird den drei Angeklagten zugestellt. Die Anwälte begründen die Revision.

11.03.2010: Der 3. Strafsenat des BGH erklärt die mehrjährige Überwachung im mg1-Verfahren für rechtswidrig.

05.07.2010: Das Verfahren gegen Andrej wird eingestellt.

30.09.2010: Die BAW erwidert der Revisionsbegründung. Das Kammergericht hebt die Haftbefehle gegen Axel, Florian und Oliver auf, d. h. das Gericht sieht keine Fluchtgefahr mehr, die drei erhalten ihre Ausweise und die Kaution zurück. Mit einer Entscheidung des BGH über die Revision ist in den kommenden Monaten zu rechnen.