»Wir sind alle 129a«

Das Soli-Bündnis zu den mg-Verfahren hat eine interessante Bilanz verfasst

»Dreieinhalb Jahre Bündnisarbeit neigen sich dem Ende zu. Wie in Bündnissen üblich, haben wir viel gestritten, unterschiedliche Positionen ausgetauscht und manchmal zu viel oder zum falschen Zeitpunkt geschwiegen.« Diese Jahre begannen in der Nacht zum 31. Juli 2007, als die Berliner Axel H., Florian L. und Oliver R. sowie der Berliner Soziologe Andrej Holm verhaftet wurden. Ihnen wurde vorgeworfen, Mitglieder der linksradikalen »militanten gruppe« (mg) zu sein, die sich seit 2001 zu rund zwei Dutzend Brandanschlägen auf Polizei und Bundeswehr, Behörden und Unternehmen bekannt hatte. Nach einer ersten Kundgebung vor dem Untersuchungsgefängnis in Berlin-Moabit trafen sich Angehörige aus verschiedenen Ecken der linken Szene und gründeten Mitte August 2007 das »Bündnis zur Einstellung der 129(a)-Verfahren«, kurz: Einstellungsbündnis. Nun liegt unter dem Titel »Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen« eine Auswertung der Soliarbeit vor.

Am Anfang habe es die Einigkeit gegeben, dass es wichtig sei, »die Solidarität gemeinsam und für alle zu organisieren, denen der Staat vorwirft, Mitglieder der mg zu sein«. Darüber hinaus gab es viele Fragen: Macht man eine »Unschuldskampagne« oder nicht? Ist die Zerstörung von Kriegsgerät legitim? Wie steht man überhaupt zu militanter Politik? Oder prangert man in erster Linie die jenseits der Grenzen des Rechtsstaats agierende Bundesanwaltschaft an?

Das Bündnis ist ein heterogener Zusammenschluss. Das dürfte Fluch und Segen zugleich sein. Von einem Teil der Linken wegen seiner »bürgerlich orientierten« Öffentlichkeitsarbeit kritisiert, lehnten andere den Bezug auf militante Politik ab. »Wir haben das nicht gegeneinander gesetzt, sondern alles bedient«, schreibt die Soligruppe. »Wir verscherzten es uns mit potenziell solidarischen Menschen und Genoss_innen.« Doch was hier als Schwäche scheint, war, während die vier Betroffenen in U-Haft saßen und später während der 63 Prozesstage dauernden Hauptverhandlung, eine Stärke.

Die Aktiven schafften es, die Solidarität auf eine breite Basis zu stellen und auch politische Themen wie beispielsweise Stadtumstrukturierung zu besetzen. Das Wort »Gentrifizierung« ist seit dem mg-Verfahren in aller Munde. Neben der Presseöffentlichkeit schafften sie eine eigene, eine Gegenöffentlichkeit über Veranstaltungen, Kundgebungen und eine Zeitung. Themen wie Aussageverweigerung, der Umgang mit Knast und Repression wurden in der linken Szene wieder breit diskutiert. Die Parole »Wir sind alle 129a« war seit 2007 auf vielen Demos zu hören. Das Einstellungsbündnis thematisierte den politisch einseitig geführten Prozess gegen Axel H., Florian L. und Oliver R., der mit Verurteilungen zu drei bzw. dreieinhalb Jahren Haft endete. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, ein Revisionsverfahren am Bundesgerichtshof anhängig.

»Vielleicht haben wir mit unserer Arbeit auch ein paar Pflöcke eingerammt, die uns überdauern und für andere Solidaritätsarbeiter_innen einmal Orientierung sein werden«, heißt es am Ende der Broschüre, die durch eine Chronologie und eine umfangreiche Linksammlung abgerundet ist. Letztlich ist sie als Weitergabe konkreter Erfahrungen ein wichtiges Zeitdokument, nicht nur für die Linke.

»Das zarte Pflänzchen Solidarität gegossen. Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe.« edition assemblage, März 2011, 86 Seiten, 4,80 Euro.

Veranstaltungstipp: Am 18. Mai schauen Journalisten, Wissenschaftler und das Einstellungsbündnis in Berlin zurück auf drei Jahre Antirepressionsarbeit (19.30 Uhr, Südblock, Admiralstraße 1-2).

Tags: rezension | nachbereitung