Militantes Dahinwurschteln

Ein »Kampfabschnitt« sei offiziell beendet, verkündet die »Militante Gruppe« in einer neuen Ausgabe der Radikal.

Sie ist wieder da! Die totgeglaubte und oft totgewünschte autonome Untergrundzeitschrift Radikal ist wieder unter der Ladentheke an den einschlägigen Szenetreffpunkten zu haben. Doch mit der Reanimation des ehemaligen Vereinsblatts der militanten Linken verabschiedet sich gleichzeitig einer der letzten großen Markennamen der autonom-antiimperialistischen Szene. »Wir lösen uns heute und hier mit diesem Beitrag als (mg) auf«, schreibt die Militante Gruppe in der Radikal, und dass sie damit »in die Widerstands­geschichte der revolutionären Linken in der BRD« eingehe. Begründet wird die Selbstauf­lösung mit internen Querelen und dem Feststecken in einem Zustand »quasi autistischen Dahinwurschtelns«.

Das einstmals im Bericht des Verfassungsschutzes mit Informationen über die MG gefüllte Kapitel »Autonome mit terroristischen Ansätzen« wäre aber auch ohne diese Erklärung im kommenden Jahr leer geblieben. Bereits im ­November 2007 degradierte der Bundesgerichtshof (BGH) die MG von einer brandgefährlichen »terroristischen Vereinigung« zu einer lediglich »kriminellen Vereinigung«. Die von der Gruppe begangen Straftaten würden schlicht nicht dazu ausreichen, den Staat erheblich zu schädigen. Tatschlich bewegen sich die Anschläge lediglich auf einem hohen Niveau von autonomer Kleingruppen-Militanz.

Auch mussten bereits einige Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der MG mangels Beweisen eingestellt werden – zuletzt im Juni gegen vier Personen.

Ihr Debüt feierte die Gruppe mit ihrer Intervention in die Debatte um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern im Juni 2001. Der um einen Schlussstrich bemühte Regierungsbeauftragte Otto Graf Lambsdorff (FDP) und zwei Vertreter der um jede Verzögerung der Entschädigungszahlungen feilschenden Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft bekamen damals Post von der MG. Den Briefen war jeweils eine Kleinkaliberpatrone als »Diskussionsanregung« beigelegt. Anschließend verübte die MG einen Brandanschlag auf einige Fahrzeuge eines Werkes von Daimler-Chrysler in Berlin-Marienfelde. In einem Bekennerschreiben warfen sie dem Konzern vor, einer der führenden Profiteure des NS-Zwangsarbeitssystems gewesen zu sein und in der Gegenwart die Entschädigungszahlungen zu verschleppen.

Über 30 militante Aktionen, vor allem in Berlin und Brandenburg, folgten. Verletzt wurde bei den Anschlägen niemand. Sie richteten sich abgesehen von der Zustellung der Patronen nie gegen einzelne Personen. Zumeist zündelte die MG an Fahrzeugen und Gebäuden von Unternehmen und Ämtern, der Bundeswehr und der Po­lizei herum, ließ aber bisweilen keinen Zweifel daran, dass man auch anders könnte: »Um für uns einen deutlichen Punktevorteil an Ort und Stelle herauszuschlagen, hätten wir zur ›Blutgrätsche‹ greifen müssen. Die Kosten-Nutzen-Kalkulation ließ uns einen ›taktischen Rückzieher‹ machen – diesmal zumindest.« Dies schrieb die Gruppe nach der durch Wachleute gestörten Sabotage an einem Fußballstadion in Berlin-Neukölln, wo ein Benefizspiel zugunsten eines getöteten Zivil­polizisten stattfinden sollte.

Während die Resonanz bei den Sicherheitsbehörden enorm war, nahm die linksradikale Szene die Aktionen der MG zwar mehrheitlich wohlwollend zur Kenntnis, interessierte sich aber wenig für die Begründungen. Die sehr ausführlichen Diskussionspapiere wurden als unerträgliche Bleiwüsten geschmäht, die durchsetzt seien mit anachronistischen Vokabeln aus einer anderen Zeit. Tatsächlich bewegten sich die von der MG produzierten Texte trotz vieler inhaltlicher und stilistischer Zumutungen weit über dem erbärmlichen Niveau, das viele andere autonome Gruppen in Bekennerschreiben an den Tag legen.

Das erklärte Ziel der MG war es, durch kontinuierliche militante Aktionen ein verlässlicher Bestandteil der außerparlamentarischen Proteste zu sein. In einem kleinen »Selbstportrait« schreibt die Gruppe: »Wir kämpfen auf der Basis eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes perspektivisch für eine klassen- und staatenlose kommunistische Gesellschaftsform.« Überraschend ist, dass die Gruppe trotz ihres antiimperialistischen und letztlich stark marxistisch-leninistischen Ideologiemumpitzes die heterogenen linkskommunistischen und syndikalistischen Strömungen der zwanziger und dreißiger Jahre als ihre historischen Vorbilder nennt. Die exklusive ideologische Mischkost der MG kann grob als blanquistisch-leninistisch umschrieben werden und besteht kurioserwei­se vor allem aus jenen Elementen, die im klassischen Leninismus als Kinderkrankheiten des Kommunismus verachtet werden.

Erfreulicherweise kritisiert die MG in ihrer letzten Wortmeldung die militanten Kinderkrankheiten vieler Berliner Autonomen. Sie distanziert sich vom idiotischen Abfackeln teurer Privat­autos im Rahmen der Kampagne gegen Gentrifizierung. Diese »narzisstische Brandsatzlegerei« sei eine »Diskreditierung von militanten und klandestinen Aktionsformen«. Verärgert gesteht die Gruppe ein, dass es ihr »nicht möglich war, so viel Einfluss geltend zu machen, dass bspw. dieser Abfackelwettbewerb von ›Nobelkarossen‹ eingestellt wird«.

Ärgerlich und frustrierend dürfte für die MG auch gewesen sein, dass ihr Lieblingsthema, die Diskussion über den Aufbau einer proletarisch-klassenkämpferischen, militanten und vielleicht auch irgendwann einmal bewaffneten Organisierung, weitgehend im Sande verlaufen ist. Die von ihr im Autonomenblatt Interim forcierte »Militanzdebatte« zwischen verschiedenen existierenden klandestinen Zirkeln und Gruppen kam einfach nicht so recht voran.

Seit Sommer 2007 schwieg die sonst so schreibwütige Untergrundtruppe plötzlich. Die Vermutung, dass dieses Schweigen mit der Verhaftung von vier Personen zusammenhing, die verdächtigt werden, Mitglieder der Gruppe zu sein, lag nahe. Axel H., Oliver R. und Florian L. stehen seit September vorigen Jahres als vermeintliche MG-Mitglieder vor dem Berliner Kammergericht. Neben der Mitgliedschaft in der Gruppe wird den Antimilitaristen auch ein versuchter Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge vorgeworfen.

Der laufende Prozess entwickelt sich für das BKA mehr und mehr zu einer eher peinlichen Angelegenheit. So wurde im Verlauf des Prozesses bekannt, dass die Behörde munter Akten manipuliert hatte und Beamte, als linksradikale Gruppe getarnt, in der von der MG initiierten Militanzdebatte mitdiskutiert hatten. Für die unterstellte Zugehörigkeit der Angeklagten zur MG gibt es bislang keine Beweise, sondern nur zweifelhafte Einschätzungen eines mysteriösen V-Manns des Verfassungsschutzes. Die auffallende Inaktivität der MG seit den Verhaftungen galt den Sicherheitsbehörden bislang als ein sicheres Indiz gegen die Beschuldigten.

In der Radikal formuliert die Gruppe nun stil­sicher im schönsten Antiimp-Deutsch dazu: »Wir können feststellen, dass wir weder durch die Festnahme von linken Aktivisten im Sommer 2007 in unserer personellen Gruppenstruktur tangiert worden wären noch sonst in unserer Existenz gefährdet sind.« Die MG gibt sich quick­lebendig und liefert als verspäteten Arbeitsnachweis drei Brandanschläge im Jahr 2009 und fast 50 Seiten anstrengend zu lesende Texte nach.

Während der Berliner Tagesspiegel nach der Lektüre schadenfroh jubelt, dass wieder ein Versuch der »linksextremen Szene gescheitert ist, mit terroristischen Methoden den Kommunismus zu erkämpfen«, verkündet die ehemalige MG, ihr Vorhaben lediglich in anderer Form weiterführen zu wollen. Über den da »kommenden Kampfabschnitt« wollen die sich sonst so wortreich äußernden Genossen aber lieber noch nichts sagen.

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