Ohne freundliche Grüße: Das Terrorphantom löst sich auf

Berlin. In den vergangenen sechs Jahren hatte sich Wolfgang B. fast daran gewöhnt, dass er und seine Freunde beim Telefonieren nie unter sich waren. Keine E-Mail verließ seinen Rechner, ohne dass andere mitlasen. Bei jedem Schreiben, das er aus dem Briefkasten zog, musste er davon ausgehen, dass es schon einmal geöffnet worden war. Eine Ausnahme dürfte der Brief vom 18. Juni sein, der ihm ins Haus flatterte: Darin teilt der Generalbundesanwalt ohne freundliche Grüße mit, dass die Ermittlungen gegen Wolfgang B. eingestellt wurden.

Er steht nun plötzlich nicht mehr im Verdacht, einer kriminellen Vereinigung anzugehören. Ganz ähnlich erging es fast zeitgleich Malte D., Matthias B. und einem weiteren Mann. Gegen sie wurde seit September 2006 ermittelt: Alle vier, da war sich die Bundesanwaltschaft (BAW) sicher, sollten der "militanten gruppe" angehören, einem Terror-Phantom, das seit rund acht Jahren seine Häscher narrt.

Nur: Nachweisen konnte man den Verdächtigen trotz erheblichen Überwachungs-Aufwandes nichts. Von ursprünglich zwölf Beschuldigten sind nun noch vier übrig. Ob sie je nach Paragraf 129 - Bildung einer kriminellen Vereinigung - verurteilt werden, erscheint zweifelhaft. Bei der Bekämpfung des militanten Linksextremismus droht den Ermittlern einmal mehr ein Debakel.

Dabei hatte die BAW im Sommer 2007 noch jubiliert. Am 31. Juli waren in Brandenburg/Havel drei Männer bei dem Versuch erwischt worden, Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand zu stecken. Da einer von ihnen angeblich konspirative Kontakte zu dem Berliner Soziologen Andrej Holm hatte, wurde dieser ebenfalls festgenommen. In Holms Umfeld wiederum galten drei weitere Wissenschaftler und Publizisten als verdächtig, der militanten gruppe anzugehören.

Als Indiz werteten die Ermittler unter anderem, dass in Veröffentlichungen der Verdächtigen ähnliche Worte auftauchten wie in Bekennerschreiben der mg - so spezielle Vokabeln wie "drakonisch", "implodieren", "Gentrifizierung". Jetzt endlich schien man den Hintermännern einer bis dahin ungreifbaren Gruppe auf der Spur.

Die mg war erstmals im Juni 2001 in Erscheinung getreten, als sie dem Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff (FDP), einen Brief mit scharfer Munition schickte. Seither bekannte sie sich zu etwa drei Dutzend Anschlägen vor allem in Berlin und Brandenburg. Mindestens viermal ermittelte die BAW nach §129, der den Behörden weitreichende Befugnisse einräumt. Bisher jedoch verliefen die Ermittlungen weitgehend im Sand. Betroffene wie Wolfgang B. argwöhnen denn auch, dass es den Behörden weniger um die Ahndung von Straftaten geht als darum, die nicht-kriminelle linke Szene auszuforschen.

Nach den jüngsten Verfahrenseinstellungen wird nun nur noch gegen die drei mutmaßlichen Brandstifter von Brandenburg ermittelt, die seit September 2008 in Berlin vor Gericht stehen. Umfassend ausgespäht wird zudem noch immer der Soziologe Andrej Holm. "Das ist total absurd", sagte dessen Anwältin Christina Clemm am Dienstag der FR. Wie bei den anderen drei Wissenschaftlern und Publizisten habe die Überwachung in fast drei Jahren keine belastenden Indizien ergeben. Vermutlich, so Clemm, werde Holm nur benutzt, um das mg-Verfahren gegen die mutmaßlichen Brandstifter noch aufrecht erhalten zu können. "Andernfalls wäre die Blamage für die Bundesanwaltschaft ja noch größer."

Dass es künftig noch weitere Ermittlungsverfahren gegen die militante gruppe geben wird, ist derweil fraglich geworden: Im Untergrundblatt Radikal hat die Gruppe Anfang Juli ihre Selbstauflösung verkündet. Wie zum Hohn gab sie in dem Abschiedsbrief gleich noch bekannt, dass drei Brandanschläge in Ostdeutschland zu Beginn dieses Jahres auf ihr Konto gingen.

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