Statler und Waldorf halten das Maul

Im Berliner »MG-Prozess« kam heraus, dass das BKA selbst Debattenbeiträge für die Autonomenzeitung Interim verfasst hat. Eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft wird für den nächsten Prozesstag erwartet.

Richter Josef Hoch war merklich überrascht. Er müsse nun, äußerte er leise, »nachdenken, was das bedeutet«, und beendete die Zeugenvernehmung. So endete am 26. März kurz vor der Osterpause einer der bisher spektakulärsten Prozesstage im Verfahren gegen die drei Berliner Antimilitaristen, die im Sommer 2007 dabei beobachtet worden sein sollen, wie sie Brandsätze unter LKW der Bundeswehr legten. Axel H., Oliver R. und Florian L. stehen seit September vorigen Jahres vor dem Berliner Kammergericht. Sie sind nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs angeklagt, Mitglieder der Militanten Gruppe (MG) zu sein.

Nicht zum ersten Mal war Kriminalhauptkommissar Oliver Damm vom BKA in Meckenheim geladen. Erst drei Wochen zuvor hatte der Zeuge der Anklage bei seiner Vernehmung die linksradikale Militanzdebatte der vergangenen Jahre zusammenfassend dargestellt. Vor allem im Berliner Szeneblatt Interim hatten sich etwa 20 verschiedene Personen und Gruppen zu Wort gemeldet und über Inhalte und Formen einer linksradikalen, militanten Politik gestritten.

Im Rahmen der Zeugenvernehmung wurden den Verteidigern auf ihr Drängen hin weitere Aktenbestände übergeben. Der Zufall wollte es, dass dem BKA beim Vervielfältigen ein Fehler unterlief. So fanden die Rechtsanwälte in den kopierten Unterlagen zur Militanzdebatte folgenden Warnhinweis zu einem Beitrag: »Nur für die Hand­akte: Der Text wurde vom BKA verfasst und an die Interim versandt, um eine Reaktion bei der ›Militante Gruppe (MG)‹ zu provozieren und gleichzeitig auf die Homepage des BKA (Homepageüberwachung) hinzuweisen.« Jener Beitrag des BKA zur Militanzdebatte war im Februar 2005 in der Interim erschienen und mit »Die zwei aus der Mup­pet­show« unterzeichnet.

Kriminalhauptkommissar Damm wusste nicht, dass diese Kopie aus der Handakte zu den Verfahrensakten gelangt war, und behauptete bei sei­ner Vernehmung, die Autoren des entsprechenden Textes nicht zu kennen. Die Verteidigung konfrontierte ihn mit der gefundenen Kopie, worauf­hin er seine Falschaussage eingestehen musste und zugab, dass mindestens noch ein weiterer Text vom BKA verfasst worden sei. Er und seine Behörde hätten es allerdings nicht relevant für das Verfahren erachtet, die eigene Beteiligung an der Militanzdebatte im Prozess bekannt zu geben. Darüber war die Bundesanwaltschaft (BAW) nach eigener Auskunft informiert und hatte eben­falls geschwiegen.

In der Vergangenheit scheiterten Gerichtsverfahren und mussten eingestellt werden – etwa der Berliner Schmücker-Prozess oder das NPD-Verbots­verfahren –, weil staatliche Behörden in inkriminierte Aktivitäten verstrickt waren und Ermitt­lungen von der Staatsanwaltschaft behindert wurden. Eine Einstellung des MG-Verfahrens forderten nun die Verteidiger der Angeklagten in einer gemeinsamen Stellungnahme: »Das BKA ma­nipuliert die Akten und enthält sowohl dem Gericht als auch der Verteidigung Entscheidendes vor. Beim BKA und eventuell bei der BAW werden parallele Geheimakten geführt, welche offensicht­lich brisant sind. Spätestens jetzt kann der Prozess gegen unsere Mandanten nicht mehr als faires Verfahren bezeichnet werden. Als Konsequenz muss er eingestellt werden.«

So weit will es der fünfköpfige Staatsschutzsenat des Kammergerichts nicht kommen lassen. Diese Schlussfolgerung liegt zumindest nahe, da sich der Strafsenat nach einer Beratungspause unbeeindruckt von den bekannt gewordenen Ma­nipulationen des BKA zeigte. Richter Hoch, der nach der Verurteilung von Egon Krenz 1997 einen Karrieresprung zum Vorsitzenden des Kammergerichts gemacht hatte, lehnte die Anträge der Ver­teidigung ab, die sowohl die Zeugenaussage wört­lich protokollieren als auch die Handakte des Zeu­gen beschlagnahmen lassen wollten. Anschließend bat Hoch die BAW um eine Stellungnahme. Diese wird für den 20. April erwartet, wenn der Prozess im Moabiter Hochsicherheitssaal 700 fort­gesetzt wird.

Seit das BKA im Jahr 2001 Ermittlungen und damit zahlreiche Überwachungsmaßnahmen an­ordnete, ist Oliver Damm dafür verantwortlich. Mit einem Hinweis des Bundesamts für Verfas­sungs­schutz hatte alles begonnen. Der Geheimdienst forderte das BKA auf, gegen drei in der Initiative Libertad! aktive Berliner tätig zu werden. Die darauf folgenden jahrelangen Ermittlungen brachten keinerlei Beweise, dass die Männer mit der Militanten Gruppe in irgendeinem Zusam­menhang standen. Die Informationen des Verfassungsschutzes erwiesen sich sogar als falsch. Das Verfahren gegen die drei ersten Beschuldigten wurde 2008 eingestellt.

Im Jahr 2006 wurde ein zweites Verfahren gegen vier weitere Berliner eingeleitet, unter ihnen der Sozialwissenschaftler Andrej Holm. Wieder hat­te der Verfassungsschutz seine Finger im Spiel. Die Akten lassen – folgt man der Argumentation der Anwälte in einem Antrag von Anfang März – die Schlussfolgerung zu, dass das BKA diese Ermitt­lungen gegen ihr vermeintlich bekannte Redakteure der klandestin hergestellten Zeitschrift Radikal aufgenommen hatte. Um die Ermittlungshoheit zu behalten und Methoden anwenden zu können, die beim Verdacht der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung erlaubt sind, verfolgte das BKA die Betroffenen danach bewusst nicht unter dem Label Radikal, sondern unter »Militante Gruppe«.

Offenbar hatten die Ermittler zunächst Andrej Holm im Visier und stießen über seine angeblichen Kontakte nach und nach auf Florian L., Oliver R. und Axel H. Am späten Abend des 30. Juli 2007 wurden jene drei beobachtet, als sie sich mit einem PKW von Berlin zu einem Gelände der Firma MAN in Brandenburg an der Havel aufmachten, wo LKW der Bundeswehr zur Inspektion abgestellt waren.

Die Beweisaufnahme zum versuchten Brandan­schlag auf die Militärfahrzeuge wurde im Februar abgeschlossen. Die ersten 25 Prozesstage waren geprägt von Vernehmungen der Observationskräfte des Berliner LKA. Die Befragung ergab, daß die Angeklagten nicht lückenlos observiert worden waren, zudem konnten die Umstände ihrer Festnahme in Brandenburg an der Havel nicht vollständig aufgeklärt werden. Seit März dreht sich der Prozess nun um den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129. Die Beschuldigungen beruhen lediglich auf Indizien. Insofern fällt zum jetzigen Stand des Verfahrens der Nachweis der Mitgliedschaft in der Militanten Gruppe schwer. Die Angeklagten machten mit Ausnahme einer antimilitaristischen Prozesserklärung von ihrem Recht zu schwei­gen Gebrauch.

In Anbetracht der Tatsache, dass der Zeuge des BKA bei seiner Vernehmung diejenigen, die sich an der Militanzdebatte beteiligten, als höchst gefährlich darstellte, gewinnt die bekannt gewor­dene Aktenmanipulation besondere Brisanz. Während das BKA die Diskutanten kriminalisierte, mischte die Behörde selbst mit und forderte die Leserinnen und Leser der Interim auf, sich eben­falls an der Debatte zu beteiligen.

Der Sachverhalt macht deutlich, dass die Anwälte zu recht seit Prozessbeginn hartnäckig fordern, die Akten vollständig einsehen zu dürfen. Das Gericht lehnte jedoch bisher alle entspre­chenden Anträge ab, weitere Akten hinzuzuziehen. So war es in einem Fall möglich geworden, dass die handschriftlichen Notizen einer BKA-Beamtin, die sie im Prozess noch erwähnte, auf ihrer Dienststelle vernichtet wurden. »Es wird sich zeigen, ob sich das Gericht weiter gefallen lässt, dass BKA und BAW Informationen zurückhalten, und ob es weiter an seinem bisherigen Kurs, einer Verurteilung um jeden Preis, festhalten will«, sagte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann.

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