Widerstand in den USA - on the Move

Am 13. Mai jährt sich zum 25sten Mal die Bombardierung des MOVE headquarters (HQ) 6221 Osage Avenue in Philadelphia durch Polizeikräfte und die fast vollständige physische Ausrottung seiner Mitglieder. Dieses Datum ging in die Widerstandsgeschichte als Philadelphia tragedy ein.

MOVE tauchte Anfang der siebziger Jahre als innerstädtische Kommune bzw. Stadtguerilla in West-Philadelphia/Pensylvania auf. Die City of Brotherly Love war und ist eine der größten Städte der USA mit einem sehr hohen Anteil afroamerikanischer Bevölkerung. MOVE oder the movement wurde von John Africa, einem Korea Kriegsveteranen, begründet und basierte auf religiösen wie auch gesellschaftlichen Grundsätzen und Aktionen, die stark u.a. von den Black Panthers geprägt waren.

MOVE rekrutierte sich aus Verwandten und Freunden John Africas, war aber keine reine afroamerikanische Angelegenheit. Der Nachname Africa sollte an eine positive afrikanische Tradition und Herkunft anknüpfen. Ihre Lebensweise folgte naturalistischen Idealen und zeigte Parallelen zu den Howellites in Pinacle/Kingston Jamaica der 40er Jahre, einer Urzelle der Rastas. Ihre Mitglieder tragen Dreadlocks, essen vegan (ital food) und betreiben keine Geburtenkontrolle. Die Kinder werden nicht zur Schule geschickt.

Um 1973 verfasste John Africa zusammen mit dem Soziologen Donald Glassey eine 300seitige Anleitung zum revolutionären Leben den sog. Guidelines oder Book of life. Glassey sollte später ein Spitzel für die Polizei werden. Durch die Abkehr von der technisierten Welt, die im extremsten Fall Kriege zur Folge hat, aber auch der Abkehr vom städtischen Leben mit Luftverschmutzung, Drogen, Mord, Vergewaltigung, Raub und einer Hinwendung zu einem natürlichen Leben, sollte ein revolutionärer Prozess in der Metropole eingeleitet werden.

MOVE nahm aktiv an Demonstrationen und Kundgebungen mit einer mobilen Einsatzgruppe, der flying squad, teil. Es wurde aus den Guidlines zitiert und agitiert, aber auch die Anwesenden mit Obszönitäten beschimpft und provoziert. Es gab Kundgebungen und eine Blockade des Zoos, um den veganen Lebensstandpunkt zu unterstreichen. Hauptaugenmerk lag aber in der Kenntlichmachung von Polizeigewalt, die durch zahlreiche Kundgebungen vor Polizeirevieren unterstrichen wurde. Immer wieder kam es zur Konfrontationen mit der Polizei, in deren Folge MOVE Mitglieder mehrfach verhaftet, schwer misshandelt und gefoltert wurden.

Powelton village

Ab ca. 1974 lebte die MOVE family gemeinsam in einem ehemaligen Haus einer Cooperative in Powelton Village und agitierte von dort aus die Bevölkerung. Dafür wurde eine Plattform an das Haus angebracht, die mit einer Lautsprecheranlage bestückt war und über die tagelang gesendet wurde. Es gab eine kostenlose Essensverteilung in der community. Kurze Zeit bis zur Schließung durch die Polizei wurde eine Autowaschanlage betrieben. Durch die zunehmende Organisierung und Öffentlichmachung ihres anderen Lebensstils, der keine Autoritäten und Erziehung im herkömmlichen Sinn duldete, wurden sie zu einer stetigen Bedrohung für die extrem rassistische Polizei von Philadelphia. Diese nutze alle Beschwerden der Nachbarschaft z.B. das Kompostieren von Müll, das Halten von Tieren auf dem Grundstück, eine Rattenplage, um das MOVE HQ inspizieren zu können. Rückendeckung bekam sie durch den damaligen Bürgermeister Frank Rizzo, einem ehemaligen Polizisten, der an der gewaltsamen Bekämpfung der Black Panthers Anfang der 70er Jahre maßgeblich beteiligt war. Durch die zunehmende physische Bedrohung bewaffneten sich die MOVE Mitglieder zur Selbstverteidigung, trugen Uniformen und umgaben das Haus mit einem hohen Bretterzaun. Die wiederholten Versuche von Stadtangestellten das Gelände und Haus zu betreten, konnten abgewehrt werden.

MOVE 9

Im April 1978 spitze sich der Konflikt zu. Etwa 1000 Sicherheitskräfte blockierten das Gebäude für 45 Tage, kein Wasser und Lebensmittel konnten in das Haus gelangen. Obwohl MOVE der Stadt entgegenkam, wurde ein 90tägiges Ultimatum zur Räumung gestellt. Nach dem Auslaufen der Frist kam es am 8. August vor und im Haus zu einer Schiesserei mit paramilitärisch ausgerüsteten Polizisten, in deren Folge ein Polizist (unter friendly fire) getötet wurde. Das Haus wurde daraufhin von der Feuerwehr geflutet (!), gewaltsam geräumt und zerstört, Delbert Africa von vier Polizisten vor laufender Kamera schwer misshandelt (siehe Bild). John Africa war zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus. Neun Mitglieder von MOVE wurden des Third Degree Murders -ähnlich dem Todschlag- angeklagt und zu 30-100 Jahren Gefängnis letztendlich aufgrund ihrer MOVE Zugehörigkeit verurteilt. MOVE unterstützt seit dieser Zeit Gefangenen mit Aktionen, Kundgebungen und der Herausgabe einer Zeitung FIRST DAY.

1981 wurde John Africa mit anderen Move Mitgliedern in Rochester New York verhaftet und des Waffenbesitzes und Sprengstoffbaus angeklagt. Er verteidigte sich erfolgreich selbst. Alle Anklagepunkte mussten fallengelassen werden.
In diesem Zusammenhang muss die Verhaftung Mumia Abu Jamals und seine Verurteilung zum Tode wegen Polizistenmordes 1982 gesehen werden. Mumia hatte immer wieder in seinen Radiomoderationen eindeutig Stellung für MOVE bzw. den MOVE 9 und gegen die Polizeigewalt ergriffen. Für seine Verteidigung vor Gericht versuchte er John Africa zu gewinnen, was jedoch vom Gericht abgelehnt wurde.

Philadelphia bombings

Anfang der 80er Jahre zog die MOVE family in ein Haus in die Osakas Avenue. Am 13. Mai 1985 warf die Polizei aus einem Hubschrauber zwei Brandbomben auf das MOVE HQ ab. In den nächsten Stunden brannte das Haus bis auf die Grundmauern ab. 60 umliegende Häuser wurden fast vollständig zerstört. Die Polizei hinderte die Feuerwehr an den Löscharbeiten. Über 10.000 Schuss Munition wurden verschossen, um die MOVE Mitglieder am lebensrettenden Verlassen des Gebäudes zu hindern. 11 Menschen, darunter 5 Kinder, verbrannten bis zur Unkenntlichkeit, unter ihnen John Africa. Ramona Africa und Birdie Africa, damals 5 Jahre alt, überlebten die Bombardierung. Ramona wurde im Anschluss zu einer Haftstrafe von 7 Jahren verurteilt.

Für diesen brutalen Angriff hatten sich alle Beteiligten im Vorfeld Rückendeckung von der Justiz geholt. Tage vor dem militärischen Schlag wurden Teile der Umgebung evakuiert und Autos umgeparkt. Der zu dieser Zeit amtierende afroamerikanische Bürgermeister Goode ließ sich zu der Bemerkung hinreißen, es handele sich hier nicht um eine Bombe, es sei eher ein schlagendes Werkzeug.

Eine breit gestreute mediale Empörung und Solidaritätsbekundungen zahlreicher Prominenter verpufften. Es dauerte Jahre ehe es zu Entschädigungszahlungen und einer spärlichen Aufarbeitung der Geschehnisse kam.

Von den inhaftierten MOVE 9 überlebte Merle Africa die Haft nicht und starb 1998 nach zwanzig Jahren Gefängnis. 2008 wurde eine vorzeitige (!) Entlassung der anderen acht Gefangenen vor einem Bewährungsausschuss, dem Pennsylvania Board of Probation and Parole, abgelehnt. Fast zeitgleich wurden neun Polizisten, die an der ersten gewaltsamen Räumung des MOVE HQ 1978 beteiligt waren von der Polizeibehörde geehrt.
Die MOVE family lebt heute in West Philadelphia.

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