Kurt Hiller – ein revolutionärer Pazifist

Die Diktatur des Roten Antiquariats, Teil 3

Während die Kurt Tucholsky und der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky zu den Koryphäen der deutschen Friedensbewegung zählen, ist die Biografie eines Kurt Hiller (1885-1972) nahezu unbekannt. Grund für uns, sie ans Tageslicht zu holen. Hiller vereinigt in widersprüchlicher Art und Weise »libertäre « Sozialismusvorstellungen mit einem anti-militaristisch-pazifistischen Grundverständnis und dem Engagement gegen die (strafrechtliche) Diskriminierung von Homosexuellen. Hiller ist in seinen literarischen Beiträgen durch eine spitze Feder und eine »non-konformistische« Wahl seiner Bündnispartner aufgefallen.

Stationen seines literarischen Wirkens

In Berlin wurde Hiller als freier Schriftsteller zu einem der Pioniere des literarischen Expressionismus. 1909 gründete er den »Neuen Club« und veranstaltete mit Unterstützung von bekannten Künstlern wie Tilla Durieux, Else Lasker-Schüler und Karl Schmidt-Rottluff sogenannte Neopathetische Cabarets. Nachdem er sich aus dem Club zurückgezogen hatte, richtete er das literarische Cabaret GNU ein. Für die Zeitschriften »PAN« und »Der Sturm« schrieb er zahlreiche Beiträge, ebenso wie für Franz Pfemferts »Die Aktion«. Pfemferts »Aktion« wurde vor und während des Ersten Weltkriegs zu einem wichtigen Forum der linken Fraktionen innerhalb und außerhalb der SPD, die sich gegen die Burgfriedensmentalität und den Sozialchauvinismus vor allem der sozialdemokratischen Parteiinstanzen wandten.

1912 ist Hiller Herausgeber der wahrscheinlich ersten expressionistischen Lyrikanthologie in Deutschland mit dem Titel »Der Kondor«. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gilt Hiller als Begründer des »literarisch und literaturkritisch geprägten Schattens des Expressionismus«, des »Aktivismus«. Mit dieser Strömung ist Hiller angetreten, »die dekadente Politik zu durchgeistigen «. Hiller ist bei der Herausgabe von Publikationen, in dem der »Aktivismus« sein Forum findet, eifrig. Dazu gehören die fünf Jahrbücher mit dem Titel »Das Ziel«. Diese »Manifeste des Tätigen Geistes« erscheinen zwischen 1916 und 1924. Der »Aktivismus« soll aber auch organisatorische Züge annehmen: 1917 gründet Hiller den »Bund zum Ziel« und den »Aktivistenbund«, aus dem nach der Novemberrevolution 1918 der »Politische Rat geistiger Arbeiter« wird.

Revolutionärer Pazifismus und idealistischer Sozialismus

1919 gründete Kurt Hiller zusammen mit Helene Stöcker und Armin T. Wegner den »Bund der Kriegsdienstgegner« (BdK). Helene Stöcker (1869-1943) gab als Frauenrechtlerin und Pazifistin die Zeitschrift »Die neue Generation« heraus. Mit Stöcker verband Hiller eine lebenslange Freundschaft (»Kampfkameraderei «, so Hiller).

1920 trat Hiller der »Deutschen Friedensgesellschaft « (DFG) bei, zu deren linkem Flügel er gehörte. Hier setzte er sich dafür ein, dass sich der deutsche Pazifismus an der Sowjetunion orientieren müsse, obwohl er der Politik der Bolschewiki kritisch bis ablehnend gegenüberstand. Da die Mehrheit der DFG aber auf das bürgerlich-demokratische Frankreich ausgerichtet blieb, kam es zu heftigen Konflikten innerhalb des pazifistischen Spektrums, die eskalierten, als Hiller in KPD-nahen Blättern den bürgerlichen PazifistInnen vorwarf, sie würden sich von der französischen Seite funktionalisieren lassen. Diese Polemik Hillers löste u.a. eine Reaktion von Carl von Ossietzky aus. Dieser kommentierte im Oktober 1924 in der Zeitschrift »Das Tage-Buch« die Turbulenzen unter den Friedensbewegten: »Was ausgerechnet im pazifistischen Lager an Verunglimpfung und Ketzerrichterei geleistet wird, das ist selbst für deutsche Verhältnisse maßlos (...) Der Oberaufseher in diesem pazifistischen Stadelheim ist Herr Kurt Hiller.«

Hiller gründete 1926 die »Gruppe Revolutionärer Pazifisten« (GRP), mit der er innerhalb der DFG vergeblich versuchte, seinen Einfluss zu vergrößern. Der GRP schlossen sich u.a. Kurt Tucholsky, Ernst Toller und Klaus Mann an; bei dem Sohn von Thomas Mann ist eine Mitgliedschaft allerdings nicht zweifelsfrei nachweisbar. Der revolutionäre Pazifismus der Hiller’schen Prägung schloss im Zusammenhang mit einer fundamentalen Gesellschaftsumwälzung »progressive Gewalt« nicht aus: »Pazifismus heißt nicht Friedfertigkeit. Wer meint, der Pazifist müsse, seiner Definition nach, ein friedlicher, sanftmütiger, durchaus nachgiebiger, toleranter Mensch sein, ein niemals opponierendes, sich auflehnendes, aggressives gar zornentbranntes, vielmehr vom Honig der Eintracht und von allen Salben bedingungsloser Menschenliebe triefendes Demutsgeschöpf, der hat den Pazifismus gründlich mißverstanden. Pazifismus bezeichnet keine Lammesgesinnung und keine Betschwestertugend, sondern die kämpferische Bewegung für eine Idee. Für welche Idee? Nicht für die Idee, daß auf Erden zwischen den Menschen und Menschengruppen Kämpfe aufhören, sondern für die Idee, daß auf Erden Kriege aufhören; Krieg ist eine Form des Kampfes, ist blutiger Leiberkampf von Massen auf Leben und Tod, von Massen innerlich vielfach Unbeteiligter, also unschuldig in den Tod Gehetzter - und diese Form menschlicher Auseinandersetzung, weil sie eine unmenschliche ist, will der Pazifismus aus der Welt schaffen.«

In seiner Studienzeit kam Hiller mit den Ideen des Begründers des linkssozialdemokratischen »Internationalen Sozialistischen Kampfbundes« (ISK), Leonhard Nelson, in Berührung. Neben seiner politisch-ideologischen Nähe zum ISK entwickelte er eigenständige Interpretationen eines nicht-marxistischen »freiheitlichen Sozialismus«, da »der Marxismus Menschen (ab)stößt, statt sie zu gewinnen«. Hillers Sozialismusverständnis fußt demnach nicht auf dem Historischen Materialismus der marxistischen Gesellschaftsanalyse, sondern ist durchzogen von idealistischen und teils mystisch anmutenden Ansätzen, die den Kampf gegen den Kapitalismus eher in
der Zirkulations- als in der Produktionssphäre verorten.

Nicht zuletzt kommt in Hillers Sozialismusauslegung ein klassenübergreifendes und »vergeistigtes« Motiv zum Ausdruck: »Wir freiheitlichen Sozialisten sind Sozialisten um der Gerechtigkeit willen, um der Wirtschaftsvernunft willen, um der Auslese willen, nicht zuletzt auch um des dauernden Völkerfriedens willen; und vielleicht sind wir damit selber eine Brücke zwischen den Sozialisten des puren Klasseninteresses und den Freiheitlern, den Befeuerten, den Ideenmenschen ganz andrer Klassen und ganz andrer politischer Distrikte.« Neben dem Über-den-Klassen-Schweben findet sich, nicht ganz zufällig, in Hillers Texten und Reden eine stark national gefärbte und verklärte Sichtweise: »Ich leugne weder Ehre noch Nation. Freilich, die echte Ehre der Nation fordert andres als den Mord. Sie fordert Solidarität im Erfüllen der ewigen Aufgabe des schöpferischen Geistes.«

Aktivist der Schwulenbewegung und antifaschistisches Engagement im Exil

Hiller arbeitete als Schwulenaktivist im 1919 von Magnus Hirschfeld in Berlin gegründeten Institut für Sexualwissenschaft mit und trat dem »Wissenschaftlich- humanitären Komitee« (WhK) bei. 1922 veröffentlichte Hiller die damals weithin beachtete Publikation »§ 175: die Schmach des Jahrhunderts«. Die Intention dieser Einrichtungen war in erster Linie, Homosexualität, aber auch Abtreibungen, zu entkriminalisieren und den vorherrschenden Diskurs zu durchkreuzen, in dem Schwul- bzw. Lesbisch-Sein pathologisiert wird.

Mit der Machtübertragung an die Nazis 1933 wurden Hillers Betätigungsfelder verboten. Er wurde als Jude, Homosexueller und Sozialist mehrere Male verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Nach einer kurzfristigen Entlassung gelang es ihm, nach Paris ins Exil zu flüchten. Danach verschlug es ihn nach Prag. Dort mühte er sich, eine partei- und strömungsübergreifende antifaschistische Sammlungsbewegung zu initiieren. Vor dem drohenden Einmarsch des Nazimilitärs rettete sich Hiller 1938 nach London. Auch hier sucht er nach einem Bündnis antifaschistischer Kräfte und ruft den »Freiheitsbund Deutscher Sozialisten« ins Leben – wiederum ein vergeblicher Versuch eines Einigungsprojektes. Während seiner Zeit in Prag gibt er zusammen mit dem sogenannten Nationalrevolutionär Otto Strasser, der als exponierter Vertreter des »linken« NSDAP-Flügels aus der Nazipartei verbannt wurde, die »Prager Erklärung« heraus, die eine Manifestation gegen den Nazifaschismus darstellen sollte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Remigration in die BRD 1955 entschloss sich Hiller zu einem nochmaligen organisatorischen Projektstart, um seine Vorstellungen eines »freiheitlichen Sozialismus« propagieren zu können. Aber auch dieser »Neusozialistische Bund« konnte kaum eine gesellschaftspolitische Resonanz vorweisen, auch wenn er partiell von westdeutschen Intellektuellen wie Ossip K. Flechtheim, Karlheinz Deschner und Martin Niemöller unterstützt wurde.

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