Repression auf psychischer Ebene. Über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt

Wer Widerstand leistet, ist zwangsläufig mit Repression konfrontiert. Diese verläuft auf verschiedenen Ebenen: martialisches Auftreten der Polizei im schwarzen gepanzerten Kampfoutfit, willkürliche Kontrollen, Verhaftungen, Hausdurchsuchungen usw. Auch der Einsatz von potenziell traumatisierender Gewalt ist Bestandteil staatlicher Repression. Im aktuellen mg-Verfahren ist einer der Beschuldigten davon betroffen. Eine schon bestehende traumatische Erfahrung, ausgelöst u.a. durch früher erlebte dauerhafte Bedrohung durch Nazigewalt, löste im Zusammenhang mit der brutalen Verhaftungssituation am 31. Juli 2007 und der viermonatigen Einzelhaft eine Retraumatisierung aus. Für den anstehenden Prozess hat dies weitreichende Konsequenzen: Bis jetzt ist unklar, ob der Beschuldigte überhaupt an dem Prozess teilnehmen kann.

Was bedeutet Traumatisierung?
Während einer traumatischen Erfahrung ist man einer außergewöhnlich bedrohlich wahrgenommenen Situation schutzlos ohne Handlungsmöglichkeiten ausgeliefert. Angst, Kontrollverlust und Ohnmacht überfluten das Erleben. Das Bild von sich selbst als Mensch mit Handlungsmöglichkeiten in einer beeinflussbaren Welt wird langfristig erschüttert. Die überwältigende Situation muss dabei nicht selbst erlebt sein – auch die Ohnmacht, einem anderen Menschen nicht helfen zu können, kann als Trauma wirken.

Nach einer solchen Erfahrung gerät man in einen »psychischen Schockzustand «, der mehrere Wochen anhalten kann. Alles ist durcheinander, man fühlt sich betäubt, verletzt, unterliegt Stimmungsschwankungen, mag ständig oder gar nicht über das Erlebte sprechen, hat das Gefühl, neben sich zu stehen oder die Umwelt nur noch verschwommen wahrzunehmen, kann nicht schlafen, hat Albträume, der Körper ist massiv erregt und unter Spannung. Diese psychische Stressreaktion kann sich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln, wenn keine Möglichkeit zur Bewältigung besteht.

Zentrales Element psychischer Traumata ist die Spannung zwischen dem Wunsch, schreckliche Ereignisse zu verleugnen, und dem Wunsch, sie laut auszusprechen. Folgen können sozialer Rückzug oder depressives „Nicht- Fühlen-Können“, d.h. ein emotionales Taubheitsgefühl sein. Der Kontakt mit potenziellen Auslösereizen wird vermieden, was oftmals eine starke Einschränkung des bisher gelebten Alltags bedeutet. Um bedrohliche und unwillkürlich auftretende Gefühle (von Angst, Wut, Selbstzweifeln) zu unterdrücken, greifen die Betroffenen u.a. zu Suchtmitteln oder verletzen sich selbst, um ein Ventil für die unerträgliche innere Anspannung zu finden bzw. eine Möglichkeit, dem erlebten Kontrollverlust entgegen zu wirken und sich wieder zu spüren.

Dabei drängen sich die traumatischen Erlebnisse immer wieder als Flashbacks, d.h. als plötzliche, nicht beeinflussbare und äußerst bedrohlich erlebte Erinnerungsfetzen ins Bewusstsein. Viele glauben, verrückt zu werden und ziehen sich noch mehr zurück.

Eine Sache, die uns alle angeht
Traumatische Erfahrungen können zwar nicht verhindert werden, wir können uns aber dagegen wappnen. Der beste Schutz ist ein soziales Klima, in dem selbstverständlich über Gefühle und Erlebtes gesprochen und im Zusammenhang politischer Aktionen kein Heldentum propagiert wird. Langfristig leiden viele Betroffene von Polizeigewalt mehr unter den psychischen Folgen, als unter körperlichen Verletzungen. Wenn die Betroffenen mit ihren Gefühlen alleine gelassen werden und keine Solidarität erfahren, kann das eine emotional noch größere Erschütterung sein, als die Gewalterfahrung durch die Polizei.

Für die Bewältigung von Traumafolgen ist es wichtig, mit Unterstützung anderer die Traumatisierung als »Verletzung der Seele« anzuerkennen und zu akzeptieren, dass die Psyche die Möglichkeit und Zeit zum Heilen braucht. Das erfordert Geduld und ist keineswegs ein gradliniger Prozess. Für manche Betroffenen ist es wichtig, unzählige Male das Erlebte zu berichten, so lange, bis es verarbeitet ist. Sport, Entspannungsübungen und Bewegung können helfen, ein Ventil für die im Körper gespeicherte Übererregung oder Spannungszustände zu finden.

Der Bezugsgruppe und FreundInnen kommt eine hohe Verantwortung zu. Für die Verarbeitung von Ohnmachtserfahrungen durch (Polizei-)Gewalt ist wesentlich, dass soziale Umfeld als solidarisch, schützend und unterstützend zu erleben. Kontrollverlust und Ohnmacht sind Bestandteil von Traumatisierungen. Deshalb muss die Selbstbestimmung der Betroffenen unbedingt im Vordergrund stehen. Es ist zudem von zentraler Bedeutung, immer wieder Abstand zu gewinnen, sich eine Tagesstruktur zu geben, Alltag zu leben und zu versuchen, »normale« Dinge zu tun, um aus der Opferposition herauszukommen.

Während Erste Hilfe und rechtlicher Beistand schon lange Teil der Antirepressionsstruktur sind, mangelte es an psychologischer Betreuung von AktivistInnen für AktivistInnen. Die bundesweit aktive Gruppe »Out of Action« will dem entgegenarbeiten. Neben konkreter Unterstützung ist Ziel der Gruppe, Traumatisierung als Teil von Repression sowie einen möglichen Umgang damit in der Linken zu enttabuisieren und „private“ psychische Probleme als politisches Thema zu etablieren.

http://outofaction.net
http://activist-trauma.net

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