Verfassungsschutz lügt erneut

Am 2. September 2009 wurde im mg-Prozess ein weiteres Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz (VS) verlesen. Wie ein früheres Behördenzeugnis (Spitzel ohne Beweiswert) ist es mit Lügen gespickt.

Zur Vorgeschichte: Am 10. Juni 2009 (44. Prozesstag) wurde der VS-Mitarbeiter mit dem "Arbeitsnamen" Guido Eggebrecht vernommen. Er konnte nichts zum angeblichen "Runden Tisch der Militanten" sagen, ein angebliches Treffen aus dem ein verschriftlichlichtes Gespräch (siehe Interim 498/2000) hervorgangenen sein soll. Einer der ersten mg-Beschuldigten soll als "Antonio" an diesem Treffen teilgenommen haben. Dies war die Grundlage für die mg-Ermittlungen, die im Jahr 2001 gegen drei Berliner aufgenommen wurden, aber 2008 eingestellt werden mussten.

Der VSler "Eggebrecht" wurde nach seiner Vernehmung am 10. Juni 2009 gebeten, Antworten auf Fragen schriftlich einzureichen. Dieser Bitte kam er erst nach erneuter Aufforderung des Gerichtes nach. Am 2. September wurden diese Antworten in einem Behördenzeugnis verlesen. Sie stimmen mit der Wahrheit nicht überein.

Denn zu diesem Treffen haben sich nicht "Militante" zusammengefunden und nicht das in der Interim verschriftlichte Gespräch geführt, sondern ehemalige Mitarbeiter der Tageszeitung taz tauschten sich über Vergangenheit und Gegenwart der taz aus. Der VS hat dieses taz-Treffen genutzt, um ein Szenario zu konstruieren, auf dessen Grundlage das BKA sieben Jahre lang gegen die drei Berliner ermitteln konnte - sieben Jahre Totalüberwachung.

In dem aktuellen Behördenzeugnis lügt der VS weiter: Es hätten sechs Menschen an dem Treffen teilgenommen, die militanten Zusammenhängen in Berlin angehören würden. Die damals abgehörten Telefonate aus dem Jahr 2000 seien gelöscht worden und nicht mehr vorhanden. Auch das ist eine Lüge. In einem anderen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht liegen nämlich die entsprechenden Telefonate verschriftlicht vor.

Nachfolgend dokumentieren wir einen Beweisantrag der Anwälte vom 3. September 2009, der darauf eingeht.

Beweisantrag

In der Strafsache gegen Florian L. u.a. (Aktenzeichen 1 - 21/08) wird beantragt, den Zeugen „Guido Eggebrecht" erneut zu laden und zu vernehmen.

Es wird zunächst darauf hingewiesen, dass dieser Antrag keine Wiederholung der bereits erfolgten Beweisaufnahme darstellt, da der Zeuge in seiner Vernehmung am 10.06.2009 alle Fragen zum Beweiskomplex „Runder Tisch" unter Hinweis auf fehlende Aussagegenehmigung nicht beantwortete. Die Befragung des Zeugen endete am 10.06.2009 vorläufig, weil dieser angab, ob er Fragen zum „Runden Tisch" beantworten dürfe, ließe sich nicht auf die Schnelle telefonisch mit seinem Vorgesetzten klären, dies bräuchte Zeit und er würde den Senat vom Ergebnis unterrichten. Darüber hinaus sei er auch auf diesen Fragekomplex nicht vorbereitet und müsse sich erst kundig machen. Im völligen Gegensatz dazu gab der Senat am 06.08.2009 bekannt, dass das BfV mitgeteilt hätte, es sollten Fragen schriftlich eingereicht werden.

Der Zeuge wird entgegen dem Behördenzeugnis bekunden, dass am Treffen am 15.03.2000 sieben und nicht sechs Personen teilgenommen haben. Von diesen Personen hat eine ihren Wohnsitz in den 80er und weiten Teilen der 90er Jahren nicht in Berlin gehabt, dort auch nicht gelebt und könne daher - entgegen dem Behördenzeugnis - gar nicht militanten Zusammenhängen in Berlin angehört haben. Auch weitere drei Personen stünden nicht in dem Verdacht, Ende der Neunziger Jahre bzw. im Jahr 2000 Mitglieder in militanten Zusammenhängen in Berlin gewesen zu sein. Gegen keine der sieben teilnehmenden Personen hätte es jemals eine Anklage, geschweige denn eine Verurteilung wegen eines Vereinigungsdeliktes, einer Brandstiftung, eines Sprengstoffverbrechens o.ä. gegeben.

Entgegen der Behauptung im Behördenzeugnis hat das BfV sehr wohl Kenntnis über eine telefonische Einladung des Jochen U. zu dem Treffen am 15.03.2000. Die Verschriftungen der seit Ende 1998 abgehörten Telefonate seien nämlich noch komplett beim BfV vorhanden. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass beim Verwaltungsgericht Berlin zum Aktenzeichen 1A 391/08 und weiterer Aktenzeichen eine Reihe von Verfahren anhängig sind, um die Rechtmäßigkeit der G10 Maßnahmen zu überprüfen. Aus den TKÜ-Maßnahmen gegen Jochen U. u.a. sei erst im Juli 2009 ein Teil der Akten über das VG Berlin an die Kläger übergeben worden, die Übergabe eines weiteren Teils steht bevor. Akten, die komplett vernichtet worden sind, können schlecht in gerichtliche Verfahren eingeführt werden.

So ist Jochen U. am Montag, dem 06.03.2000 um 17.43h angerufen worden. Er selbst konnte - da nicht zu Hause - den Anruf nicht entgegennehmen, eine Katharina aus seiner damaligen Wohngemeinschaft nahm den Anruf entgegen und wurde gebeten, Jochen auszurichten, dass das taz-Treffen am 15. März um 18.00h stattfinden wird und Jochen daran teilnehmen wollte. Auch der Ort des Treffens wurde über den Vornamen der Gastgeberin angegeben („das Treffen wird bei .... stattfinden"). Ort und Zeit sollte Jochen U. ausgerichtet werden.

Gegen die Behauptung - der „Runde Tisch" hätte dort stattgefunden und Jochen U. daran teilgenommen - spricht auch ein weiteres vom BfV abgehörtes und heute noch dort vorhandenes verschriftetes Gespräch vom 15.03.2000, wonach Jochen U. um 16.37h - also lediglich 1 1/2 Stunden vor dem taz-Treffen telefonisch einem anderen Teilnehmer des taz-Treffens mitteilte, dass er zwar gleich kommt, aber nur kurz am Treffen teilnehmen wird. Der Zeuge „Eggebrecht" wird bekunden, dass Jochen U. seinem am Telefon vorab bekannt gegebenen Plan entsprechend nur kurz am taz-Treffen teilgenommen habe, nämlich von 18.20h an und sich gegen 20.00h wieder aus dem Gebäude entfernt habe, wo das Treffen stattgefunden habe und von daher gar keine so ausführliche Diskussion, wie in der Interim Nr. 498 unter Teilnahme von Jochen U. stattgefunden haben könne.

Weiter sei die Zeit vom 15.03.2000 bis zur Veröffentlichung in der Interim - noch dazu ohne zeitliche Not für eine möglichst schnelle Veröffentlichung - am 30.03.2000 viel zu kurz, um ein Interview dieses Umfangs zu verschriften, redaktionell zu redigieren, den Beteiligten ggf. zur Genehmigung vorzulegen und sonstige Schritte wie Druck, Verteilung etc. zu gewährleisten. Auch sei die Dauer des Treffens zu kurz gewesen, dass daraus ein Interview dieser Länge wie von der Interim publiziert, dort geführt worden sei. Schließlich sei noch hinzukommen, dass sich der gleiche Personenkreis nach der Veröffentlichung der Interim 498 noch einmal am 06.04.2000 an der gleichen Adresse getroffen habe. Dies hätte überhaupt keinen Sinn gemacht, wenn die angeblich geführte Diskussion bereits publiziert worden wäre. Das BfV hätte dem BKA demnach aus guten Gründen die Personalien der anderen teilnehmenden Personen am 15.03.2000 nicht mitgeteilt, was es getan hätte, wenn sich denn wirklich der Runde Tisch der Militanten dort getroffen hätte. Denn es hätte am „Runden Tisch" konkrete strafrechtlich relevante und mindestens für den hinreichenden Tatverdacht ausreichende Bekenntnisse zu Straftaten wie Brandstiftung gegeben.

Die Beweiserhebung ist erforderlich und kann nicht mit dem Behördenzeugnis vom 31.08.2009 als erledigt angesehen werden. Die Aufklärungspflicht und auch der Grundsatz des fairen Verfahrens drängen zu einer weiteren direkten unmittelbaren Befragung des Zeugen „Eggebrecht". Auch die bisherige Beweisaufnahme im Zusammenhang mit dem BfV spricht für eine unmittelbare Befragung. Erinnert sei bspw. an die Behördenzeugnisse des BfV zum angeblichen V-Mann und seinen angeblichen Erkenntnissen. Auch die Behauptungen des BfV in einem weiteren Behördenzeugnis hinsichtlich der angeblichen Mitgliedschaft der Angeklagten in der Gruppe mücadele (R. und L.) sowie GIB (H.) konnte durch die Vernehmung des Zeugen Remberg am 25.02.2009 nicht verifiziert werden. Gleiches galt für den angeblichen V-Mann. Bereits durch die unmittelbare Vernehmung des Zeugen Remberg wurde deutlich, dass der Beweiswert an diesem Punkt gegen Null tendiert. Auf nähere schriftliche Anfragen musste das BfV dann einräumen, dass alle angeblichen Erkenntnisse des angeblichen V-Manns lediglich auf Hörensagen beruhte.

Die unmittelbare Befragung des Zeugen ist umso mehr geboten, wenn dieser offensichtlich falsche Behauptungen im Behördenzeugnis widerlegen wird.

Rechtsanwälte

Siehe hierzu auch Beweisantrag vom 30. Juli 2009 (Steuerung des mg1-Verfahrens durch den Verfassungsschutz).

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