Wer auf der Internetseite des
Bundeskriminalamts recherchiert, wird registriert - und möglicherweise
zurückverfolgt. Weil Internetprovider Daten ihrer Kunden oft nur kurz
speichern, soll nun das Gesetz geändert werden.
Die Internetseite des Bundeskriminalamtes hat nur 14
Zeilen. Unter „offene Tatkomplexe“ beschreibt die Behörde die nach
ihrer Darstellung linksterroristische Vereinigung „Militante Gruppe“.
Sie erwähnt etwa Bekennerschreiben zu zehn Brandanschlägen in Berlin
und Umgebung – und die Beschäftigung der Aktivisten „mit verschiedenen
linksradikalen Themenfeldern, aktueller Schwerpunkt ist die
beabsichtigte Kürzung von Sozialleistungen“, dazu gibt es ein paar
Links. Wer sich im Netz diese offizielle Information einholt, riskiert
was: Ausweislich eines Vermerkes der Behörde, der dem Tagesspiegel
vorliegt, werden seit September 2004 die IP-Adressen – es geht um
Zahlenkolonnen, die der eindeutigen Identifizierung von Rechnern dienen
– aller Besucher dieser Internetseite registriert. Zudem versuchte die
Behörde, einen Teil der Computerbesitzer zu identifizieren, die die
betreffende BKA-Website besucht hatten.
Ursprünglich hatte das BKA die Identität von 417 Personen feststellen
wollen. Dabei handelte es sich nicht um Tatverdächtigte, sondern
offenbar um alle Personen, die sich zwischen dem 28. März und dem 18.
April diesen Jahres auf den Internetseiten des Bundeskriminalamtes über
die „Militante Gruppe“ informieren wollten. Weil aber ein großer Teil
der IP-Adressen von Providern stammte, die diese nur kurze Zeit
speichern, wurde die Identifizierung von „nur“ rund 120 Telekom-Kunden
beantragt. Das BKA habe „einen weiteren Teil“ der IP-Adressen
„resseorganen bzw. einzelnen Firmen oder Universitäten“ zugeordnet,
heißt es. „Anhand dieser Daten werden weiterführende polizeiliche
Ermittlungen wie unter anderem die Identifizierung weiterer Mitglieder
der „militanten gruppe“ (mg) ermöglicht“, begründen die Beamten ihren
Antrag . Sie verweisen zudem auf die „zeitliche Dringlichkeit der
Bearbeitung“, da die Speicherfrist für die IP-Adressen und deren
Zuordnung zu bestimmten Kunden begrenzt sei. Die Bundesregierung
arbeitet gegenwärtig an einem neuen Gesetz, das Internetprovidern eine
längere Datenspeicherung vorschreibt.
Der Zeitraum, in dem das BKA die Identität jedes Besuchers ihrer
Website zur „Militanten Gruppe“ feststellen wollte, steht im
Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf ein Bürogebäude am Märkischen
Ufer in Berlin durch die Gruppe: Dieser erfolgte am 16. März. Alle
Surfer, die zufällig oder gezielt auf die Website des BKA gelangten,
sollten von diesem Zeitpunkt an überprüft werden. Die Aktion der
Ermittler endete am 19. April, weil an diesem Tag ein „Positionspapier“
der mutmaßlich terroristischen Gruppe öffentlich wurde, das beim
Tagesspiegel eingegangen war.
Das BKA wollte zu der Speicherung und Auswertung der IP-Adressen keine
Stellung nehmen und verwies auf die Bundesanwaltschaft. Dort hieß es,
dass Internetüberwachung zu den Fahndungsmitteln zähle. Der
innenpolitische Spreche der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang
Bosbach, sagte, dass die Registrierung von IP-Adressen im Zusammenhang
mit Ermittlungsverfahren zum „täglichen Geschäft“ der
Sicherheitsbehörden gehöre. Er sagte aber auch, er könne das „Motiv
nicht erkennen, warum das BKA mit einer solchen Website in die
Öffentlichkeit geht“. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz wollte
den Vorgang nicht kommentieren, er habe sich „damit noch nicht befasst“.
Christian Ströbele, Fraktionsvize der Grünen, sagte, seine Fraktion
werde den Fall zum Anlass nehmen, „im Bundestag weitere Aufklärung über
die Motive des Bundeskriminalamtes zu verlangen“. Er bezweifle, dass
ein solches Vorgehen zulässig sei. Man könne nicht übersehen, dass hier
„eine große Zahl völlig unverdächtigter Personen in ein Raster kommen
und unbequemen polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt werden.“ Denn es sei
nicht auszuschließen, dass die Polizei bei den Betreffenden anrücke –
auch wenn gegen diese nichts vorliegt. Die innenpolitische Sprecherin
der Linksfraktion, Ulla Jelpke, sprach von einer „Fangschaltung“ des
Bundeskriminalamtes, dies sei ein „absoluter Skandal“. Es sei doch
legitim, sich über die „Militante Gruppe“ zu informieren – und
empörend, wenn Menschen deshalb „unter Generalverdacht zu geraten“.
Quelle: Tagesspiegel / Ralf Schönball und Matthias Meisner | 01.10.2007 | http://www.tagesspiegel.de/politik/div/BKA;art771,2390884
https://einstellung.so36.net/de/ps/360