Einige Gedanken zur militanten Kampagne

3 Monate sind seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm vergangen, die seit Mai höherschlagenden Repressionswellen bestimmen die Tagesordnung der linksradikalen Sommerpause und die euphorischen Momente der kleinen Punktsiege weichen den nüchternen Fragen, wie es jetzt weitergehen kann und soll. Es ist Zeit für eine Bilanz.
Wir haben uns als ein Zusammenhang an der militanten Kampagne gegen den G8 Gipfel beteiligt, und wollen unsere vorläufigen Einschätzungen zur Diskussion stellen.
Soviel lässt sich vorab bereits sagen: Unser Fazit fällt gemischt aus. Die Beharrlichkeit der beteiligten Gruppen und Zusammenhänge und die im Rückblick recht ansehnliche Reihe von Aktionen (über 3o Brandanschläge und 2oo "Straftaten" im Vorfeld des Gipfels), haben militante Aktionsformen zu einem entscheidenden Eckpfeiler der Gipfelmobilisierungen gemacht. Innerhalb der radikalen Linken wurde die Rolle militanter Interventionen dadurch erneut zur Diskussion gestellt. Die Medien-Rezeption der Kampagne, die öffentliche Aufregung über gelungene Aktionen, hatten zur Folge, dass nach längerer Zeit wieder Militanz und linksradikale Inhalte wahrgenommen wurden. Andererseits scheinen weitergehende Impulse für eine linksradikale Politikbestimmung bisher ausgeblieben zu sein. Es lässt sich auch noch keine wirkliche Konsolidierung oder Verbreiterung militanter Politik feststellen.
Die Kampagne hat die aktuellen Grenzen und Möglichkeiten militanter Politik in der BRD sichtbar gemacht.

Was waren die Erfolge? Wo liegen die Versäumnisse? Was lässt sich daraus lernen? Wie kann es weitergehen?

Mit dem Vorschlag für eine "breite militante Kampagne" zum G8-Gipfel, den die Gruppe "AUGUST" vor 2 Jahren unterbreitet hatte, waren aus unserer Sicht vor allem 3 Zielvorstellungen verknüpft, die wir spannend fanden:
1) die Kampagne sollte ein langfristiges Projekt sein, das militante Politik breit wahrnehmbar zu einem politischen Faktor machen und die Dominanz reformistischer Ansätze in der linken, speziell der Antiglobalisierungsbewegung, zurückdrängen sollte.
2) sie sollte zu einer Konsolidierung und Verbreiterung linksradikaler Politik beitragen und neue Gruppen für militante Politik gewinnen.
3) sie sollte die unterschiedlichen Bereiche, Ebenen und Strukturen imperialistischer Herrschaft und kapitalistischer Ausbeutung aufzeigen, praktisch angreifen und Verbindungslinien zwischen emanzipatorischen Kämpfen in der BRD, wie auch zwischen Metropole und Trikont herstellen. (siehe dazu Interim 622, Erklärung zum Anschlag auf W. Marnette vom August 2oo5, "Ein anderer Bildschirmtext ist möglich")
Wie leider oft, fällt das Ergebnis gemessen an den Zielen etwas bescheidener aus.

Wir können, festhalten, dass die Kampagne als Projekt die Mobilisierungen zum G8 Gipfel nicht nur von Anfang an begleitet hat, sondern, wie schon gesagt, entscheidend zur Wahrnehmung der Protestinitiativen insgesamt beigetragen hat. Sie war ein eigenständiger Strang der Mobilisierung und auch insofern politischer Faktor, als sie den anderen Strömungen eine Standortbestimmung in ihrem Verhältnis zu: außerlegalen Aktionsformen abgenötigt hat. Die reformistische Dominanz in der Antiglobalisierungsbewegung konnte zumindest punktuell zurückgedrängt und linksradikale Positionen dadurch gestärkt werden. "Dabei muß aber zwischen bewegungsinternen Prozessen und der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit differenziert werden. Über längere Zeit war die mediale Aufmerksamkeit für die Mobilisierung zum Gipfelprotest vorrangig auf die militante Kampagne gerichtet. Legalistische und reformistische Ansätze wurde lediglich vor dem Hintergrund militanter Aktionen im Sinne einer Spaltungspolitik zu Bekenntnissen für "friedlichen Protest" aufgefordert, ansonsten aber weitgehend übergangen.
Inwiefern die Kampagne innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung radikale Positionen auch längerfristig gestärkt hat, können wir zur Zeit nicht abschätzen. Als positiv bewerten wir aber, dass sowohl in der Kampagne wie auch bei den Aktionstagen in Rostock ähnliche Themenschwerpunkte gesetzt wurden. Dadurch haben sich wenigstens in Ansätzen klandestine und öffentliche Aktionsformen ergänzt.
Was davon übrig bleibt und ob sich die Antiglobalisierungsbewegung in Zukunft stärker radikalisieren wird, halten wir für nicht ausgemacht. Für die BRD wird aufschlußreich sein, wie die Linke insgesamt jetzt mit den Repressionsschlägen der Bundesanwaltschaft umgehen wird, wie sie sich zu den 129a Verfahren und den Gefangenen verhält.
Insgesamt war die militante Seite der Mobilisierungen gegen Heiligendamm sicherlich stärker, als bei den Mobilisierungen 1992 in München, 1999 in Köln oder gegen die Expo 2ooo in Hannover. Ob sich tatsächlich neue militante Gruppen konstituiert, oder andere Gruppen radikalisiert haben, wissen wir nicht. Räumlich blieb die Kampagne im Wesentlichen auf Norddeutschland beschränkt und hat erst ab Winter 2oo6/2oo7 eine gewisse Stärke entfaltet. Es haben sich verschiedene Gruppen oder Zusammenhänge, offensichtlich jeweils mit ihren speziellen Themen, eingebracht, manchmal in ihren Erklärungen und seltener in ihren Aktionen aufeinander bezogen. Die Chance, innerhalb der Kampagne zumindest auf praktischer Ebene eine Zusammenarbeit der beteiligten Gruppen zu entwickeln, wurde unserer Wahrnehmung nach nicht genutzt. So wurden zum Beispiel 2 praktische Vorschläge gemacht, in der Mobilisierung zum Gipfel kontinuierliche Aktionsstränge zu entwickeln. Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das Auto eines Tchibo-Vorstandes wurde von der Gruppe "Herzinfarkt" angeregt, die Verhältnisse in der Textilproduktion im Trikont besonders mit Blick auf die WM 2oo6 offensiv zu bearbeiten. Verbunden mit einem Anschlag auf einen Rüstungszulieferer (IMTEC) schlug die Gruppe "MAMI" vor, im Vorfeld der NATO-Sicherheitskonferenz 2oo7 bewegungsübergreifend zu mobilisieren und eine Verbindung zu Heiligendamm zu ziehen. Aus diesen Vorschlägen hat sich unseres Wissens nichts entwickelt. Es hat sich gezeigt, dass solche Projekte offenbar nicht nur langfristig angeschoben werden müssen, sondern dass sie auch praktisch unterfüttert werden sollten, damit andere Gruppen diese Ideen als Möglichkeit eigenen Handelns wahrnehmen und tatsächlich aufgreifen.
Aus dem Vorschlag, die unterschiedlichen "Strukturen imperialistischer Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung" ("AUGUST") anzugreifen und "Verbindungen zwischen den Kämpfen herzustellen" haben sich 4 größere Themenstränge entwickelt:

Es gab sehr unterschiedliche Aktionen
- im Antirassismusbereich (z.B. IOM, Ringstorff, Dussmann)
- im Antimilitarismusbereich (z.B. Gästehaus, IMTEC,Thyssen-Kruop Marine Systems, Lufthansa Technik)
- zu (internationalen) Klassenkämpfen (z.B. norddeutsche Affi-nerie, Tchibo, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburger Weltwirtschaftsinstitut, Thormählen Schweißtechnik, Hermes)
- zu Antikolonialismus (Deutsche Afrika Linie, Bornas Mirow)
Zusätzlich: Gentechnik (Märka) und Antirepression (Bild, Polizei etc.)

Im Gegensatz zur mg und anderen, die die Kampagne als virtuell oder als BKA-Konstrukt abgetan oder als "Gemischtwarenladen" verspottet haben, halten wir die inhaltliche Breite und auch die Quantität der Aktionen für einen Erfolg und für eine Stärke der Kampagne.
Das, was uns vor allem gefehlt hat, ist die bereits angesprochene Bezugnahme auf andere Aktionen und vor allem die völlig ausgebliebene inhaltliche Diskussion über das politische Verhältnis der militanten und radikalen Linken zu antiimperialistischer und internationalistischer Politik und zu sozialen Kämpfen. Es ist wohl unstrittig, dass es hier einer inhaltlichen Neubestimmung bedarf. Wir können mit der Hand an der eigenen Nase feststellen, dass wir selbst auch keinen inhaltlichen Beitrag für eine Diskussion geliefert und uns auf die praktische Intervention beschränkt haben. Mehr war für uns nicht drin und vermutlich ging es anderen auch ähnlich. Einen Anfang für eine umfassende inhaltliche Neubestimmung linksradikaler Politik zu machen und neben der praktischen Aktion eine gruppenübergreifende Diskussion zu führen, wäre aus unserer Sicht aber auch das anspruchsvollste Ziel dieser militanten G-8-Kampagne gewesen. Ohne diese inhaltlichen Prozesse ist zwar eine weitergehende Perspektive militanter Politik nicht entwickelbar, ohne militante Aktionen bleibt aber die inhaltliche Diskussion nur verbal-radikaler Diskurs, Insofern haben wir uns für die praktische Intervention entschieden.
Trotz des Ausbleibens einer inhaltlichen Debatte bewerten wir es als positiv, dass der Vorschlag für eine praktische internationalistische Solidarität mit sozialen Kämpfen im Trikont in verschiedenen Aktionen aufgegriffen wurde. Dieses Themenfeld war viele Jahre eine Leerstelle linksradikaler Politik. Das Gleiche trifft auf die antikolonialistischen Initiativen gegen Deutsche Afrika Linie und Mirow, den Finanzstaatssekretär, zu. Für uns hat sich gezeigt, dass der Ansatz, im Rahmen der Anti-G8-Mobilisierung "globale Strukturen kapitalistischer Ausbeutung und imperialistischer Unterdrückung hier anzugreifen" (AUGUST), eine Vielzahl an praktischen Möglichkeiten eröffnet hat, das Terrain der Auseinandersetzung nicht auf den Tagungsort beschränken zu müssen. Diese taktische Option, den Angriff auch an anderen Orten zu führen, war möglicherweise auch eine Grundlage für das sogenannte Plan B-Konzept während der Gipfeltage. Es scheint aber leider kaum umsetzbar gewesen zu sein.
Neben der ausgebliebenen inhaltlichen Debatte ist auch der Vorschlag, Verbindungen zwischen sozialen Kämpfen in der BRD herzustellen fast resonanzlos geblieben. Es gab zwar Aktionen gegen die Wirtschaftsforschungsinstitute in Kiel, Berlin und Hamburg. Konkrete soziale Kämpfe wurden aber weder direkt aufgegriffen, noch nach Verbindungslinien gesucht. Hier scheint in der radikalen Linken nach dem Scheitern der Anti-Hartz-IV- und der Anti-Lidl-Kampagnen nicht mehr viel übrig geblieben zu sein, Verlaufe und Ergebnisse von den unterschiedlichen Kämpfen, die es gab und gibt (Opel Streik, Studiengebührenboykott, Telekomstreik, Widerstand gegen Privatisierungsprojekte staatlicher Infrastruktur- und Pursorgeeinrichtungen) zeigen deutlich, wie isoliert diese Auseinandersetzungen stattfinden und wie entsolidarisierend der gesellschaftliche Diskurs zu den Forderungen der (unmittelbar) Betroffenen läuft. Eine Solidarisierung anderer gesellschaftlicher Gruppen oder Interventionen von linksradikaler Seite bleiben so gut wie immer aus.

Die benannten Schwachpunkte verweisen darauf, dass eine radikale Linke, im Gegensatz zu den 7oer und 8oer Jahren, kaum noch in einem Wechselverhältnis mit breiten sozialen und politischen Massenbewegungen agieren kann. Es gibt diese Bewegungen so nicht mehr. Eine Ausnahme scheint zur Zeit die Antiglobalisierungsbewegung zu sein. Sie ist zwar diffus, nur in Teilen linksradikal geprägt, aber immerhin vergleichsweise groß und dauerhaft. Das führt jedoch mit sich, dass die relativen Erfolge der militanten Kampagne eng mit den spezifischen Bedingungen dieser Bewegung verbunden sind und sich nicht selbstverständlich auf andere "Bewegungen" übertragen lassen. Das sehr weite Themenfeld der Globalisierung macht es zwar möglich, die Überschneidungen verschiedener linksradikaler Aktionsbereiche sichtbar zu machen (zwischen Antimilitarismus und Antirassismus, zwischen Antiimperialismus und Antimilitarismus,...), für eine impulsgebende linksradikale Politik kann diese Chance aber nur produktiv genutzt werden, wenn es auch Diskussionen über Inhalte gibt, in denen sich Angriffspunkte herauskristallisieren, die breit getragen werden.

Das allgemein fehlende Wechselverhältnis zwischen politischen und sozialen (Massen)Bewegungen und radikaler Linker führt auch dazu, dass die (in der Kampagne recht ausgiebig genutzte) taktische Option, prominente und verantwortliche Konzernvorstände und Politiker_innen durch Angriffe auf ihr Privateigentum abzustrafen, zwar ein lautes Medienecho hervorruft und den Bullenapparat blamieren kann. Ein materielles und dauerhaftes Verschieben der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse könnte aber nur durch wirksame Sabotage und soziale/politische Massenkämpfe gegen konkrete Politiken durchgesetzt werden. Momentan ist aber weder die radikale Linke zu dieser Form von Sabotage materiell und logistisch fähig, noch ist beispielsweise die Antiglobalisierungsbewegung Im Ganzen eine soziale Massenbewegung gegen kapitalistische Ausbeutung (geschweige denn gegen imperialistische Unterdrückung). So werden sich viele Vorstöße vorerst darauf beschränken müssen, das Establishment mit militanten Aktionen kurzfristig zu erschrecken und unsere Vorstellungen von sozialer Befreiung indirekt zu vermitteln: durch den radikalen Bruch mit Reformismus und Legalismus, durch gezielte Angriffe, die Personenschäden grundsätzlich ausschließen, durch phantasievolle neue Aktionsformen ...

Nach dieser thesenartigen Bewertung der Kampagne bleibt für uns vorerst folgendes Fazit:
Die Kampagne hat den Zustand und die Möglichkeiten der militanten Linken unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen sichtbar gemacht. Militante Politik ist möglich, ist trotz Repression erfolgreich organisierbar, kann, wenn sie langfristig und strategisch ausgerichtet ist, zu einem politischen Faktor werden, löst aber bisher kaum mehr als klammheimliche Freude bei den einen, hektische Distanzierung bei anderen Linken aus. Bei einem medial hoch bewerteten Thema oder Event, wie dem G8 in Deutschland, kann eine Kampagne sogar mit verhältnismäßig schwachen Kräften einen politischen Punktsieg einfahren.

Wir wollen an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Vorschläge für mögliche Zukunftsprojekte machen. Erstmal sind wir gespannt auf weitere "Wortmeldungen zur Aus-/Bewertung der militanten Kampagne. Außerdem werden die nächsten Monate vor allem wohl der Antirepressionsarbeit gehören. Wir gehen davon aus, dass die BAW ihre Aktendeckel noch nicht zugeklappt hat, dass es also weitere Razzien geben kann, und es versteht sich von selbst, dass wir alle auf jeder Ebene Druck machen müssen, um die 3 Berliner Genossen aus dem Knast zu holen und für die Einstellung der Verfahren zu sorgen. Wir denken, dass es genügend Ansatzpunkte gibt, militante Antirepressionspolitik auch thematisch offensiv zu wenden. In diesem Zusammenhang sind für uns Bullen und Justiz, aber auch die Bundeswehr, "Rüstungsindustrie und alle Agenturen imperialistischer Herrschaft gute Ziele.
Wenn es uns gelingt, uns als Militante in den anlaufenden Mobilisierungen zu verankern und unseren Beitrag zu leisten, den Angriff der Bundes-Anwaltschaft zurückzuschlagen, gibt es auch eine neue Grundlage, über die möglichen Perspektiven militanter Politik laut nachzudenken und konkrete Projekte vorzuschlagen.

Freiheit für Axel, Florian und Oliver!
Weg mit §§ 129, 129a und b!

Tags: militanz