Durchsuchungen bei G8-Gegnern vor dem Gipfel waren rechtswidrig

Karlsruhe (LiZ). Die Repressionen von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft gegen G8-Gegner im Vorfeld des Gipfels in Heiligendamm waren rechtswidrig. Dies geht aus einem heute veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts- hofs hervor. Die Strafverfolger des Bundes hatten am 9. Mai 2007 Wohnräume durchsucht und dabei auch Geruchsproben genommen, obwohl sie gar nicht zuständig waren, wie der Staatsschutzsenat auf die Beschwerde eines G8-Gegners hin feststellte. Den ihn betreffenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss hob das Gericht auf.
Der Generalbundesanwalt hatte dem Beschwerdeführer und weiteren Beschuldigten vorgeworfen, sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben. Deren Ziel sollte es gewesen sein, durch Brandanschläge auf Sachen (Kraftfahrzeuge sowie ein leer stehendes Gebäude) und Sachbeschädigungen gewaltbereite Gesinnungsgenossen zu mobilisieren, um den Weltwirtschaftsgipfel vom Juni 2007 in Heiligendamm durch Gewalttaten erheblich zu stören oder zu verhindern.
Der 3. Strafsenat hat entschieden, dass eine Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts, die Voraussetzung für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist, nicht gegeben war. "Für die Entscheidung ist letztlich ohne Bedeutung geblieben, ob sich - woran allerdings nachhaltige Zweifel bestehen - die beschuldigten Globalisierungsgegner tatsächlich zu einer Vereinigung im strafrechtlichen Sinne zusammengeschlossen haben", teilte der Bundesgerichtshof mit.
Die Zuständigkeit der Strafverfolgungsorgane des Bundes scheide jedenfalls aus rechtlichen Gründen aus. Eine von den Beschuldigten etwa gebildete Vereinigung könne nicht als terroristische Vereinigung (§ 129 StGB) eingeordnet werden. Es seien daher die Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer zuständig gewesen.
G8-Gegner sehen sich in ihrer Kritik an den Methoden der Bundesanwaltschaft bestätigt. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac begrüßte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: „Nur drei Tage nach dem Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung ist dieses Urteil ein wichtiges Signal“, so Sabine Zimpel aus dem Attac-Koordinierungskreis. „Der BGH hat damit die Generalbundesanwältin zurückgepfiffen und unserem Innenminister, der keine Gelegenheit auslässt, Bürgerrechte zu beschneiden, eine wichtige Nachhilfestunde gegeben.“, ergänzt Zimpel.
Vier Wochen vor dem G8-Gipfel im Juni waren in einer Nacht- und Nebel-Aktion Spezialeinheiten der Polizei auf die Anweisung des Bundesanwaltschaft in 40 Privatwohnungen, Firmen und verschiedene kulturelle und politische Einrichtungen eingebrochen. „Diese Maßnahmen haben das Klima vor dem Gipfel massiv vergiftet und waren ein bewusster Versuch, die Proteste zu kriminalisieren“, so Pedram Shahyar, ebenfalls Mitglied des Attac Koordinierungskreises.
Das BGH-Urteil sei eine gute Gelegenheit, die Praxis massiver Polizeiübergriffe gegen politische Initativen und Einzelpersonen zu hinterfragen. Shahyar: "Wir fordern, dass der Strafrechts- Paragraph 129a abgeschafft wird, der regelmäßig missbraucht wird, um politisches Engagement zu diskreditieren und mit Polizeigewalt Kritikerinnen und Kritiker einzuschüchtern. Demokratie funktioniert anders!“ Ergänzend fordert Attac, dass die Geschädigten der Razzien entschädigt werden.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE begrüßte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Sie sei eine "schallende Ohrfeige" für die Generalbundesanwaltschaft. "Davon hat es in letzter Zeit einige gegeben. Erinnert sei zum Beispiel an die Entscheidung des BGH, die militante gruppe nicht als terroristische Vereinigung einzustufen", so Ulla Jelpke.
Der Generalbundesanwaltschaft und dem Staatsschutz sei es bei den Razzien im Mai vergangenen Jahres nicht um die Jagd auf vermeintliche "Terroristen" in der globalisierungskritischen Bewegung gegangen. "Es ging darum, die Szene zu durchleuchten und im Vorfeld des G8-Gipfels für Eskalation zu sorgen", kritisierte Jelpke. Der BGH habe "nachhaltige Zweifel" geäußert, ob es im vorliegenden Fall überhaupt eine strafrechtlich relevante - also terroristische oder kriminelle - Vereinigung gegeben habe.
Das polizeiliche und juristische Vorgehen gegen die Protestbewegung und ihre Diffamierung als terroristisch sei politisch ein Skandal gewesen. Nun habe der BGH klargestellt, dass es dazu auch rechtswidrig war. "Es stellt sich allerdings die Frage, warum die Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof sich solche Fälle nicht genauer ansehen, bevor sie die Genehmigung für solche Großrazzien wie im Mai letzten Jahres erteilen. Denn so peinlich wie die Begründung der Generalbundesanwaltschaft damals war, so peinlich war es zumindest auch, diese Begründung scheinbar ungeprüft zu übernehmen. Nicht nur bei der Generalbundesanwaltschaft, auch beim Bundesgerichtshof müssen nun Konsequenzen gezogen werden", forderte Ulla Jelpke.
Auch Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) lobte die Entscheidung des BGH: "Der BGH musste damit die Bundesanwaltschaft erneut in die rechtsstaatlichen Schranken weisen. Das ist mehr als eine erneute Schlappe für die Bundesanwaltschaft. Deren überharte und rechtsstaatswidrige Linie in der Anwendung der Strafvorschrift zur terroristischen Vereinigung muss grundsätzlich korrigiert werden."
Es stelle sich auch die Frage nach personellen Konsequenzen. "Immerhin wurde mit den rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahmen in erhebliche Grundrechte der Betroffenen eingegriffen. Nicht nur Rufschädigung war die Folge, sondern auch der Entzug wichtiger Arbeitsunterlagen. Der gesamte Widerstand gegen den G 8-Gipfel sollte in die terroristische Ecke abgedrängt werden. Dem hat der BGH einen Riegel vorgeschoben", so Ströbele.
Daher sei es nun umso wichtiger, die zahlreichen von diesen Maßnahmen Betroffenen zu rehabilitieren, materiell zu entschädigen und unrechtmäßig ausgeforschte bzw. beschlagnahmte persönliche Daten unverzüglich zu löschen. Dass letzteres geschieht, sollten auch die zuständigen Datenschutzbeauftragten kontrollieren, forderte Ströbele.
Mit dieser Entscheidung habe der Bundesgerichtshof nun schon zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen die Generalbundesanwältin zurückgepfiffen und dazu angehalten, die Neuregelung des § 129 a StGB aus dem Jahr 2003 zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen:
Am 18.10.2007 (Gz. StB 34/07) hatte der BGH den durch die Generalbundesanwältin erwirkten Haftbefehl gegen den Soziologen Andrej. H. mangels dessen Mitgliedschaft in bzw. u.U. mangels Existenz einer terroristischen Vereinigung aufgehoben.
Am 28.11.2007 beschloss der BGH (Gz. 1 BGs 519/2007), die durch die Generalbundesanwältin gegen G 8-Proteste angeordnete eigenständige Kontrolle von aus 100 Briefkästen stammenden Briefen durch 16 Bundeskriminalbeamte am 22. Mai 2007 in einem Hamburger Postverteilzentrum sei grob rechtswidrig („Grenzen des Wortlauts überschreitende Ausle-gung“; komme“… nicht in Betracht“).
Politiker der großen Koalition verteidigten das Vorgehen der Generalbundesanwaltschaft gegen Globalisierungsgegner auch jetzt noch, obwohl es als rechtswidrig gelten muss: "Die Bundesanwaltschaft hatte damals gute Gründe für ihre Maßnahmen und musste eine schwierige Abwägungsentscheidung treffen", sagte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz der Frankfurter Rundschau. Er könne nicht erkennen, "dass man der Behörde Fahrlässigkeit oder Scharfmacherei vorwerfen kann".
Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) wies die Kritik von Grünen und der LINKEN an der Behörde und deren Amtschefin Monika Harms zurück. "Die Bundesanwaltschaft hat im zeitlichen Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel die Gefahren ernst genommen. Daraus kann man ihr keinen Vorwurf machen", sagte er.
Info: Text § 129 a Strafgesetzbuch:
„…wenn eine der… Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.“