BKA nutzt Stasi-Akten

Wenn’s den »Terrorverdacht« stützt: Birthler-Behörde stellt Bundeskriminalamt MfS-Berichte über ehemalige DDR-Dissidenten zur Verfügung
Von Jörn Boewe

Bei den Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen insgesamt sieben Personen wegen angeblicher Mitgliedschaft in der »militanten gruppe (mg)« ist Material aus Akten verwendet worden, die das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 1988 über mehrere der Beschuldigten angelegt hatte. Das berichtet die Redaktion des Berliner Magazins telegraph, Nachfolgeblatt der DDR-Oppositionszeitschrift Umweltblätter, in einer am Montag abend verbreiteten Erklärung. »Das BKA baut auf fragwürdige Spitzelberichte, um Rückschlüsse auf die politische Einstellung von Beschuldigten ziehen zu können«, kommentierte einer der Betroffenen am Dienstag gegenüber jW. Die Behörde der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, wollte den Sachverhalt gestern weder bestätigen noch dementieren, geschweige denn bewerten.

1988 hatten unabhängige linke Basisgruppen anläßlich des in Westberlin stattfindenden Gipfels von Weltbank und Internationalem Währungsfonds eine »Anti-IWF-Aktionswoche« in der Hauptstadt der DDR organisiert, wo zahlreiche der teilnehmenden Bankiers in Hotels untergebracht waren. Unter anderem wurde eine Demonstration unter dem Motto »Solidarität ist mehr als nur ’ne Marke« (in Anspielung auf die obligatorischen Spendenmarken des Gewerkschaftsbundes FDGB) geplant, die von den Behörden allerdings nicht genehmigt wurde. Die politische Führung der DDR, die offenbar außenpolitische Irritationen fürchtete, beäugte die Vorgänge mißtrauisch, auch unter Einsatz konspirativer Mittel. In einem MfS-Dokument mit dem schönen Titel »Maßnahmen in Ergänzung bzw. Präzisierung des bestätigten Maßnahmeplanes vom 12.08.88« heißt es u. a.: »Ab sofort bis zum Ende der Aktionswoche wird durch Kräfte der Abt. VIII eine weitgehende lückenlose Beobachtung von ... durchgeführt. Im Ergebnis der Beobachtungsmaßnahmen sollen DDR- und NSW-Kontaktpersonen (›nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet‹ – die Red.) oder Gruppierungen identifiziert werden«. Weiterhin wurde die »Erarbeitung offiziell auswertbarer Materialien« in Auftrag gegeben, »die den gegen die Interessen der DDR gerichteten Mißbrauch der Aktionswoche verdeutlichen und insbesondere zur Aktivierung politisch realistischer Kräfte genutzt werden können«. Ferner dringt der »Maßnahmeplan« auf »politische Einflußnahme auf die in staatlichen Einrichtungen tätigen Organisatoren der Aktionswoche« und auf »Gespräche mit kirchlichen Amtsträgern unterschiedlicher Ebenen« zur »Verhinderung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten« und schließlich darauf, »alle auf die Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerichteten öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen mit allen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln zu unterbinden«.

Dies gelang aber nicht immer. So bekamen einige Aktivisten Wind davon, daß einige der IWF-Funktionäre das Pergamonmuseum in Mitte besuchen wollten. »Sie wurden lautstark ›begrüßt‹ und mit Ostkleingeld beschmissen«, berichtete später einer der Organisatoren.

Strafrechtliche Konsequenzen hatte all das seinerzeit in der DDR nicht. Jetzt, fast 20 Jahre später, werden die Früchte der konspirativen MfS-Überwachung Teil eines Ermittlungsverfahrens nach der Strafprozeßordnung der Bundesrepublik Deutschland. Warum aber interessiert sich der Generalbundesanwalt für die damaligen Aktivitäten der ostdeutschen IWF-Gegner, die ja auch nach BRD-Recht kaum strafbar sein können? Die telegraph-Redaktion vermutet, es gehe um die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen. Darüber hinaus machen sich die Ermittler offenbar aber auch geradezu groteske Einschätzungen des MfS zu eigen: So habe das BKA versucht, mit Hilfe der MfS-Akten zu belegen, »daß schon damals Kontakt zu ›terroristischen Kreisen‹ im Westen bestanden hätte«, heißt es in der Erklärung der Redaktion. Entgangen sei den BKA-Leuten allerdings, daß das MfS damit seinerzeit die Umweltorganisation Greenpeace meinte.

Auslöser der Ermittlungen wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« waren neun Wörter in Artikeln, die im telegraph erschienen waren. Dabei handelte es sich um Begriffe wie »implodieren«, »drakonisch«, »Prekarisierung« und »Gentrification«, die auch in Bekennerschreiben der »mg« aufgetaucht sein sollen.