Deutscher Soziologe wegen Terror verhaftet

Die Sprache von Forschungsartikeln ähnelt derjenigen von einer Terrorgruppe, behauptet die Polizei. Akademiker in der ganzen Welt verzweifeln.

Am 31. Juli wurde der Soziologe und Stadtforscher Andrej Holm von der Humboldt-Universität Berlin verhaftet und mit einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe gebracht.

Er wurde bis zum 22. August isoliert in Untersuchungshaft gehalten, als er gegen Kaution und Meldeauflagen freigelassen wurde. Gegen Holm besteht weiterhin Anklage.

Gegen drei weitere deutsche Gesellschaftsforscher wird ebenfalls nach dem sogenannten Terrorismusparagrafen 129a im deutschen Gesetzbuch ermittelt, aber sie sind nicht inhaftiert worden.

Nach den Ermittlungsbehörden hat Holm einer militant linksradikalen Organisation nahegestanden, die verdächtigt wird für mehr als 25 Brandstiftungen in Berlin seit 2001 verantwortlich zu sein. Holm und die anderen drei Forscher wurden seit letztem September observiert und abgehört.

Seit der Verhaftung sind die Vorwürfe gegen die deutschen Behörden immer mehr im Umfang gewachsen.

Die sonderbare Anklage basiert unter anderem darauf, dass ein wissenschaftlicher Aufsatz des Forschers sprachliche Ähnlichkeiten aufweist mit Texten, die eine linksextreme Gruppe in Berlin benutzt.

In den Bibliotheken hängen nun Plakate mit der Warnung: »Sei vorsichtig, Bücher können dazu führen, dass Du als Terrorist angeklagt wirst«, sagt ein deutscher Akademiker der dänischen Zeitung ›Information‹.

(der Artikel in der ›Information‹ kan nur mit Abonnement gelesen werden, aber einen großen Teil der Sachen kann man im dänischen blog Forskningsfrihed/Freiheit der Forschung nachlesen)

129a ist ein Gesetz das in den 70er Jahren verabschiedet wurde, als Deutschland einer Serie von terroristischen Angriffen von linksextremen Gruppen wie der Rote Armee Fraktion ausgesetzt war.

Laut ›Guardian‹ ist die Anklage gegen Holm darauf aufgebaut, dass Wörter wie ›Gentrifizierung‹ und ›Prekarisierung‹, die in seinen wissenschaftlichen Artikeln zu finden waren, die gleichen sind, die die Militante Gruppe (MG) in ihren Texten benutzte.

Gentrifizierung ist ein Begriff, der benutzt wird um Prozesse zu beschreiben, bei denen Arbeiterviertel, besonders zentrumsnahe, verwandelt werden in Stadtteile für wohlhabendere Gruppen.

›Prekarisierung‹ bezeichnet die ständig wachsende Zahl von Arbeitsplätzen mit geringer Sicherheit, niedrigem Lohn, Teilzeitsanstellungen, kurzfristigen Arbeitsverträgen und fehelendem Kündigungsschutz in einer Gesellschaft.

– Die Übereinstimmungen zwischen der Sprache von Holm und der MG sind erschlagend, und können nicht durch Zufälle erklärt werden, heißt es in der Anklageschrift.

Zusätzlich hat Holm drei Mal Mitglieder der MG getrofen, und die Ankläger finden es verdächtig, dass er nicht sein Mobiltelefon bei den Treffen dabeihatte.

– Ich kenne Holm viele Jahre und bin sein Mentor bei seiner Doktorarbeit über Gentrifizierung und Stadtentwicklung gewesen. Er gehört zu den marxistischen Soziologen und hat immer viel Kontakt gehabt mit Menschen, die aktiv waren in verschiedenen politischen und sozialen Bewegungen in Berlin. Deshalb ist es weder überraschend noch verdächtig wenn er Menschen trifft, das ist Teil seiner Forschung, sagt Hartmut Häusermann der ›Information‹.

Häusermann ist der Leiter des Institus für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität, wo Holm arbeitet.

– Wir sind nicht dafür angeklagt, eine Bombe gelegt zu haben, aber dafür, das ›Gehirn‹ hinter einer radikalen politischen Gruppe zu sein. Das aber ist eine universelle Anklage, die gegen viele Menschen angewendet werden kann, sagt Mattahias B., ein anderer der Angeklagten, der dänischen Zeitung.

Verschiedene Quellen berichteten allerdings der deutschen ›die tageszeitung‹, dass die vier Forscher aktiv in linkstextremen Milieus der 90er Jahre gewesen sind. Andrej Holm nahm an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teil, aber ist nicht angekalgt, selber etwas nicht erlaubtes in Verbindung mit den Demonstrationen getan zu haben.

Der weltbekannte Soziologieprofessor Richard Sennett ist einer von unzähligen Akademikern die auf die Verhaftung von Holm reagiert haben. Zusammen mit seiner Frau Prof. Saskia Sassen hat er über die Sache in seiner Spalte im Guardian geschrieben:

– ›Terrorismus‹ hat zwei Gesichter. Es gibt wirkliche Bedrohungen und wirkliche Terroristen, und es es gibt einen Bereich von namenloser Furcht, bangen Ahnungen, und irrationalen Antworten. Die deutsche Polizei scheint sich letzterem hingegeben zu haben. […] Damit, Sachen auf diese Weise anzugehen, riskieren die Behörden, ihre Autorität zu verlieren und verringern die Chancen, die wirklichen Terroristen zu ergreifen.

Auf einer großen Zahl von blogs im Forschungsmilieu wird der Fall diskutiert, und in einem offenen Brief an den deutschen Generalbundesanwalt protestiert eine große internationale Gruppe Akademiker gegen die Verhaftungen:

– Wir fordern, dass der Generalbundesanwalt den 129a-Przeß gegen alle Angeklagten einstellt und Andrej Holm sofort freilässt. Wir weisen entschieden all jene wahnwitzigen Anklagen zurück, nach denen Holms Forschung und politisches Engagaement als Mithilfe einer ›Terroristengruppe‹ gesehen werden. Keine Verhaftung kann mit der akademischen und politischen Arbeit von Holm begründet werden. Die Bundesanwaltschaft bedroht mit der Anwendung von §129a sowohl die Forschungsfreiheit als auch soziales und politisches Engagement.

Dieser Artikel wurde von der Netzredaktion vom ›Magasin‹ (Beilage des dagbladets, d.Ü.) geschrieben und nicht in der Papierausgabe veröffentlicht. Wenn Du Fragen oder Kommentare hast, schicke sie uns per mail. mna@dagbladet.no Erste Veröffentlichung: Freitag, 24. August 2007


Bildunterschriften (siehe Originalartikel):

WEGEN TERROR ANGEKLAGT: Andrej Holm war Soziologe und Urbanismusforscher an der Humboldt-Universität in Berlin. Vor wenigen Wochen wurde er in isolierter Untersuchungshaft inhaftiert, und gegen ihn wird wegen Mithilfe zu Terrorismus ermittelt.

IN BRAND GESETZT: Die 1. Mai- Demontrationen in Berlin 2004 führten zu Bränden und Straßenkämpfen über mehrere Tage. Die Militante Gruppe (MG) ist angeklagt, hinter mehr als 25 Bränden in Berlin seit 2001 zu stehen.

PROTESTE: Während des G8-Gipfels in Heiligendamm nahm Andrej Holm an Demonstrationen teil. Die Polizei behauptet zwar nicht, dass er terroristische Taten ausgeführt hat, aber dass er ein Ideologe der linksradikalen Militante Gruppe (MG) war.

70ER JAHRE: Die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) war in den 70er Jahren in Deutschland aktiv. Der Paragraph 129a wurde zu dieser Zeit in das Gesetz eingebracht. Auf dem Bild (v.l.): Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin von der RAF.

PROTESTIERT: Der weltbekannte Soziologie-Professor Richard Sennett meint, dass die Anklagen gegen Holm daraufhin deuten, dass die deutsche Polizei irrational in ihrer Behandlung von Terrorgefahren ist.

Siehe auch Simen Ekerns Kommentar.