Brandstifter durch Begriffe

Eine Berliner Veranstaltung zum Fall des terrorverdächtigen Soziologen Andrej H.

Manchmal reichen offenbar ein paar Zufälle aus, um unter Verdacht zu geraten, einer terroristischen Vereinigung anzugehören. Der Zugang zu Bibliotheken etwa, eine ausreichend hohe Intelligenz und die damit verbundene Fähigkeit, komplexe Artikel zu verfassen, in denen potentiell linksradikale Begriffe auftauchen wie „Gentrification“, „drakonisch“ oder „marxistisch-leninistisch“. Viel länger ist sie nicht, die Liste der Vorwürfe, auf die das Bundeskriminalamt (BKA) die fast ein Jahr dauernden Ermittlungen gegen eine promovierten Stadtsoziologen der Berliner Humboldt Universität, den 36-jährigen Andrej H., gründet. Anfang August erließ die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe Haftbefehl gegen H., die Strafverfolger werfen ihm vor, einer der intellektuellen Köpfe der in Berlin aktiven „Militanten Gruppe“ (mg) zu sein.

Was war passiert? In der bis auf den letzten Platz besetzten Berliner Volksbühne berichtete H.s Anwältin Christina Clemm am Sonntag über die Ereignisse, die ihren Mandanten ins Gefängnis brachten und eine „beispiellose Welle der Solidarität“ unter deutschen und ausländischen Wissenschaftlern, Künstlern und Aktivisten hervorrief. Am frühen Morgen des 30. Juli nahm die Polizei demnach in Brandenburg/Havel drei Männer fest, die dringend verdächtigt werden, Brandsätze unter drei Lkws der Bundeswehr gelegt zu haben. In den folgenden Tagen durchsuchten Beamten des BKA die Wohnungen von vier mutmaßlichen Unterstützern der Verdächtigen, darunter die von Andrej H. und weiteren Wissenschaftlern. H. war der Polizei bereits 2006 aufgefallen: Offenbar waren die Beamten, die seit Jahren erfolglos nach den Mitgliedern der „mg“ suchten, bei einer Internetrecherche darauf gestoßen, dass deren Bekennerschreiben einige Ausdrücke enthalten, die auch H. in Artikeln verwendete.

Unter konspirativen Umständen

Seitdem galt H. als verdächtig und wurde mit allen polizeilichen Möglichkeiten überwacht, die der Anti-Terror-Paragraph 129a, der die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafte stellt, erlaubt: H.s Telefon wurde abgehört, sein Handy geortet, er selbst und seine Familie observiert. Verhaftet wurde er im August deswegen, weil er sich in den Monaten zuvor zweimal mit einem der mutmaßlichen Brandstifter getroffen hatte, laut Polizei unter „konspirativen Umständen“. H. und die drei anderen wurden im Hubschrauber zum Ermittlungsrichter nach Karlsruhe und wieder zurück nach Berlin geflogen. Dort kamen alle vier ins Gefängnis Moabit, unter verschärften Haftbedingungen: 23 Stunden am Tag isoliert, die Anwaltspost wird kontrolliert, Gespräche mit dem Anwalt sind nur durch eine Glasscheibe möglich. H. ist inzwischen gegen Auflagen vorübergehend von der Haft verschont worden, am 5. Oktober entschiedet der Bundesgerichtshof auf Antrag der Bundesanwaltschaft erneut über den Haftbefehl.

Dabei werden die Bundesrichter Anwältin Clemm zufolge auch die Frage behandeln, ob der Paragraf 129a in diesem Fall überhaupt greifen kann. Anders gefragt: Ist die „Militante Gruppe“, die sich in den vergangenen Jahren zu etwa 25 Brandanschlägen auf Autos und Autohäuser in Berlin bekannte, eine terroristische Vereinigung? Die Diskutanten in der Volksbühne beantworten die Frage mit einem klaren Nein. Clemm spricht von „einfacher Brandstiftung“, der mit auf dem Podium sitzende Bremer Physiker und politische Aktivist Fritz Storim nennt den versuchten Anschlag „Sabotage von Kriegsgerät“. Und ein Zuhörer meldete sich mit dem Vorschlag zu Wort, die Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge doch besser eine „Abrüstungsinitiative“ zu nennen statt Brandstiftung.

Barbara Kerbel