Deutschland im Feuer der Kritik

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das gilt in Deutschland ganz offensichtlich auch für den Bereich der Wissenschafts- und Pressefreiheit. Dabei sieht sich die Bundesrepublik selbst als Hort freiheitlicher Grundrechte. Doch die Fälle reisen nicht ab, in denen Journalisten von Geheimdiensten observiert oder an ihrer Arbeit gehindert werden oder Strafverfolgungsbehörden wegen angeblichem Geheimnisverat Ermittlungsverfahren einleiten. Anfang August wurde zudem ein Wissenschaftler unter Terrorismusverdacht in Haft genommen. Von Martin Beck

Die Stimmen im In- und Ausland mehren sich, die in Deutschland die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr sehen und einen massive Einschränkung der Pressefreiheit befürchten. So etwa die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen". Sie hat in vielen westlichen Ländern eine alarmierende "Aushöhlung der Pressefreiheit" festgestellt. In ihrer jährlichen Rangliste der Pressefreiheit fiel Deutschland im Jahr 2006 vom 18. auf den 23. Platz zurück. Hintergrund sind die "Cicero"- und die BND-Affäre. Im vergangenen Jahr war ans Licht gekommen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) über Jahre hinweg Journalisten überwachte. Vor allem der Journalist Erich Schmidt-Eenboom, Autor zahlreicher BND-kritischer Bücher, stand im Visier des Auslandsgeheimdienstes. Er und weitere Kollegen wurden bespitzelt, um angebliche undichte Stellen im eigenen Apparat zu finden.

Ähnlich gelagert war der Fall beim Politmagazin "Cicero". Nachdem das Magazin im April 2005 einen Artikel veröffentlicht, in dem detailliert einen vertraulicher Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) zitierte wurde, leitet die Staatsanwaltschaft Potsdam umgehend Ermittlungen ein. Wenige Monate später durchsuchte die Polizei die Redaktionsräume und Wohnungen von "Cicero"-Mitarbeitern mit dem Ziel, den Informanten des Magazins zu enttarnen. Dies sei unzulässig, befand im Februar 2007 das Bundesverfassungsgericht und stufte die Durchsuchungen als illegal ein.

Im Juni diesen Jahres erhielten zahlreiche Journalisten - darunter auch ein Redakteur der polnischen Le Monde Diplomatique - aufgrund geheimer und geheimdienstlicher oder polizeilicher Dossiers keine Akkreditierung zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Ein offensichtlicher Eingriff in die Pressefreiheit, den die Gerichte, sowie sie angerufen wurden, für rechtswidrig erklärt haben, zumal die Nichtzulassung völlig ohne Begründung erfolgte. Auch in diesen Fällen wurde mehr oder weniger geheim zumindest am Rande der Legalität gearbeitet.

Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht mit dem "Cicero"-Urteil noch einmal bestätigt, dass Redaktions-, Wohnungs- und Bürodurchsuchungen verfassungswidrig sind, wenn es Staatsanwälte nur darauf abgesehen haben, undichte Stellen im Behördenapparat - damals beim BKA - ausfindig zu machen. Als sei nichts gewesen, leiteten allerdings Anfang August Staatsanwaltschaften in Berlin, München, Frankfurt und Hamburg Ermittlungsverfahren gegen 17 Journalisten wegen Geheimnisverrat ein. Sie sollen aus vertraulichen und geheimen Akten des BND-Untersuchungsausschusses zitiert haben. Das Gremium soll unter anderem den BND-Einsatz während des Irak-Krieges, die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled el Masri und die CIA-Gefangenenflüge klären.

Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), kritisiert die Aktionen der Staatsanwaltschaften als einen "breit angelegten Angriff auf die Pressefreiheit" ohne Vorbild. Dass die Veröffentlichung von vertraulichem oder geheimem Material, das Journalisten zugespielt wird, kein Verrat und kein Verbrechen, sondern gedeckt durch die Kontrollfunktionen der Presse im demokratischen Rechtsstaat ist, haben inzwischen - wohl auch wegen des öffentlichen Protestes - einige Staatsanwaltschaften eingesehen und die Ermittlungen eingestellt.

Der jüngste Fall in diesem Zusammenhang schlug Wellen sogar bis in die neue Welt. Gegen die Inhaftierung eines Berliner Wissenschaftlers unter Terrorismusverdachts haben Forscher aus mehreren Ländern protestiert. In einem offenen Briefen an die Bundesanwaltschaft fordern mehr als 100 Wissenschaftler aus Deutschland, Australien, Großbritannien, Kanada, den Niederlande und den USA - unter ihnen Mike Davis oder Saskia Sassen - die sofortige Freilassung des Soziologen: "Aus der wissenschaftlichen und politischen Arbeit von Andrej H. lässt sich kein Haftbefehl herleiten - vielmehr wird hier von der Bundesanwaltschaft mit dem § 129a die Freiheit von Forschung und Lehre ebenso bedroht wie gesellschaftspolitisches Engagement."

Der Soziologe Andrej H., der an der Humboldt-Universität arbeitet, war Ende Juli festgenommen worden und sitzt seither in Untersuchungshaft. Ihm, wie auch drei zeitgleich verhafteten Männern, und drei weiteren Beschuldigten wirft die Bundesanwaltschaft vor, Mitglied der "militanten gruppe" (mg) zu sein. Diese soll mehr als zwei Dutzend Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude verübt haben.

Der Verdacht gegen H. stützt sich im wesentlichen auf zwei "konspirative" Treffen mit einem der anderen Festgenommenen. Zudem, so der Haftbefehl, verfüge er als Wissenschaftler über die intellektuellen Voraussetzungen, die nötig seien, um die komplexen Schreiben der "militanten gruppe" zu verfassen. In einem von dem führenden deutschen Stadtforscher, Hartmut Häusermann, initiierter Aufruf heißt es: "(Wir) verwahren uns ... entschieden gegen die Konstruktion der intellektuellen Täterschaft, wie sie von der Bundesanwaltschaft vorgenommen wird." Die Bundesanwaltschaft gehe von einer Mitgliedschaft des Berliner Soziologen in einer terroristischen Vereinigung aus, "weil er sich mit Themen beschäftigt, die sich auch in Schreiben der 'mg' wiederfinden." Dem Soziologen Andrej H. und einem ebenfalls Beschuldigten Politologen werden unter anderem wissenschaftliche Texte und in den Zeitschriften "telegraph" und "junge Welt" veröffentlichte Artikel vorgehalten, die teilweise zehn Jahre alt sind. Paradoxerweise handelt es sich bei der Zeitschrift "telegraph" um das älteste Samizdat der linken DDR-Opposition, deren Autoren bereits vor 1989 staatlicher Überwachung und Repression ausgeliefert waren.

Die Konstruktionen der Bundesanwaltschaft in diesem Fall sind absurd. Doch unter den herrschenden Verhältnissen und den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Inneren Sicherheit sind sie weit mehr. Durch die Einschüchterung der Presse und die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft soll ein Klima der Angst erzeugt werden. Insofern ist ein solches Vorgehen auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zur "gezielten Tötung" von "Terroristen" oder zur Internierung von politischen Gegnern, wie es erst jüngst Innenminister Schäuble forderte. Und die Beispiele zeigen eine gefährliche Tendenz der Verselbständigung des Polizei- und Geheimsdienstapparats, der ganz bewusst am Rande - und zum Teil darüber hinaus- der Legalität agiert.

Polnische Edition der Le Monde Diplomatique, September 2007
http://www.monde-diplomatique.pl