Mit aller Härte

Die Bundesanwaltschaft steht wegen ihres Vorgehens gegen linke Wissenschaftler in der Kritik. Die Ermittlungen werden zum Präzedenzfall: Was ist heute Terrorismus? VON DIETMAR HIPP CAROLINE SCHMIDT

Die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm, 40, war während des Deutschen Herbstes 1977 gerade zehn Jahre alt, an den Showdown zwischen dem Staat und seinen Feinden, der Roten Armee Fraktion, kann sie sich nur grob erinnern. Doch als Clemm Anfang vergangener Woche ihren Mandanten Andrej H., 36, im Gefängnis besuchte, lag ein Hauch jener bleiernen Jahre über der Berliner Haftanstalt Moabit. Ihrem Mandanten durfte die Anwältin nur unter Aufsicht die Hand schütteln, eine fingerdicke Scheibe aus Panzerglas trennte die beiden während ihres Gesprächs. Auch die Post der Advokatin wurde kontrolliert. 23 Stunden am Tag werde er in Einzelhaft gehalten, berichtete Andrej H., nur eine Stunde am Tag dürfe er mit zwei Mitgefangenen auf den Hof.

Dabei ist der promovierte Soziologe, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt und drei Kinder hat, laut Haftbefehl nicht einmal dringend verdächtig, einen Anschlag begangen zu haben. Die Bundesanwaltschaft hält ihn, zusammen mit einem Wissenschaftler aus Leipzig, für den intellektuellen Kopf der linken Feierabendtruppe „militante gruppe" („mg"), die seit 2001 für rund 25 Brandanschläge verantwortlich gemacht wird. Drei weitere Männer aus Berlin, die Ende Juli beim Versuch observiert worden waren, Brandsätze unter Bundeswehrlaster zu legen, sitzen ebenfalls in Untersuchungshaft.

Der Versuch der Ermittler, mit maximaler Härte gegen mutmaßliche Staatsfeinde vorzugehen, dürfte sich zu einem Präzedenzfall der Justizgeschichte und einem Grundsatzstreit um die Verhältnismäßigkeit der Mittel ausweiten. Im Zentrum steht die Frage, was in Zeiten blutiger Selbstmordanschläge von Islamisten alles als Terrorismus zu definieren ist und wo staatliche Härte ihre Grenzen findet.

Mehr als 3000 Unterstützer, darunter Wissenschaftler aus Deutschland und Amerika, haben inzwischen einen Protestbrief „Gegen die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft" unterzeichnet. Vergangene Woche konstatierte der renommierte amerikanische Soziologe Richard Sennett unter dem Titel „Guantanamo in Germany" im britischen „Guardian", er sei entsetzt, welche „rechtlichen Grauzonen" heute existierten.

Die Grünen haben bereits die Bundesjustizministerin aufgefordert, Rede und Antwort zu stehen, und ein parlamentarisches Nachspiel im Bundestag angekündigt. Die Ermittlungen, rügt Fraktionschefin Renate Künast, entbehrten „der rechtsstaatlichen Grundlage". Von einem untauglichen Versuch, militante Gruppierungen „zu Terroristen aufzumotzen", spricht auch der Ex-Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP). Ein „Auto abzufackeln", keilt Dieter Wiefelspütz zurück, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, sei eben „kein Kavaliersdelikt", hier könne man sehr wohl von Terrorismus reden.

Der Hintergrund für die ungewöhnlich heftig ausgetragene Auseinandersetzung ist eine Gesetzesreform, mit der die rot-grüne Koalition 2003 die Terrorverfolgung neu geregelt hat. Der Blick sollte unter dem Eindruck der Anschläge von al-Qaida mehr auf internationale Terrorstrukturen gerichtet werden, deren Verfolgung seitdem erheblich erleichtert ist. Gleichzeitig wollten Sozialdemokraten und Grüne die allzu großzügige Anwendung im Inland einschränken. Dazu kamen Vorgaben der Europäischen Union. Seitdem sind etwa Brandstiftungen nur noch dann als Terrorismus strafbar, wenn sie dazu „bestimmt" sind, „die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern" oder die „Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen". Zudem müssen Anschläge geeignet sein, den Staat „erheblich" zu schädigen. Nicht „jede kleine Tat" dürfe künftig als Terrorismus verfolgt werden, lobte der grüne Rechtspolitiker Jerzy Montag die Novelle seinerzeit. Nur: Wann ist ein Staat erschüttert? Ist jedes politisch motivierte Fanal gleich ein Terrorakt, oder handelt es sich im aktuellen Fall nur um versuchte Brandstiftung?

Eine verbindliche Antwort gibt es, mangels Beispielen, bislang nicht. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil gegen rechte Brandstifter deren „Nadelstich-Taktik" als terroristisch eingestuft - aber nur, weil die dazu diente, „alle Ausländer" aus der Region zu vertreiben. Der Kölner Professor Claus Kreß hält den Terrorvorwurf zwar für möglich, wenn „nicht nur marginale Bereiche der Bundeswehr zerstört" werden - das Anzünden „einzelner Fahrzeuge" sei aber als Indiz „zu wenig".

Die wohl grundsätzlichste Kritik an einer uferlosen Anwendung findet sich ausgerechnet in einer Festschrift für den früheren Generalbundesanwalt Kay Nehm, die von drei Bundesanwälten herausgegeben wurde. Darin bemängelt der Strafrechtsprofessor Thomas Weigend die „übermäßige Reichweite" des Gesetzes und fordert eine restriktive Auslegung: Als terroristisch könne ein Anschlag nur gelten, wenn der „Staat als Ganzes Schaden leidet", bei „großflächigen Angriffen auf die Energieversorgung" beispielsweise. Ausnahme seien lediglich schwere Gewalttaten gegen Menschen. So sehen es mittlerweile selbst Karlsru¬her Juristen. „Rein untergeordnete Folgen ohne deutlich spürbare Auswirkungen", konstatieren zwei BGH-Richter, „genügen jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut nicht."

Demnach wäre die „mg" womöglich gar keine Terrorvereinigung. Die Linksextremisten haben dem Staat zwar wortgewaltig den Krieg erklärt und Polizeiautos, Arbeitsämter oder einen Lidl-Supermarkt angezündet. Sie haben aber darauf geachtet, keine Menschen zu verletzen. Sprengstoff oder Schusswaffen, wie einst bei der RAF, gehören nicht zum Repertoire.

Was wie eine akademische Detailfrage wirkt, hat in der Praxis große Auswirkungen. Nur wenn es sich um eine terroristische Tat handelt, ist Generalbundesanwältin Monika Harms zuständig, und nur dann steht den Ermittlern jede Überwachungsmöglichkeit zur Verfügung. Vor allem können als „Mitglieder einer terroristischen Vereinigung" auch angebliche Hintermänner ohne konkreten Tatbeitrag verfolgt werden - wie im Fall von Andrej H. Bei dem Soziologen, den sein Doktorvater Hartmut Häußermann als Linken beschreibt, „der von marxistischen Denktraditionen kommt", hörten die Ermittler fast ein Jahr lang das Telefon ab, orteten sein Handy, lasen E-Mails mit und filmten beide Eingänge seines Wohnhauses mit Videokameras.

Glaubt man dem Haftbefehl des BGH, kamen dabei bislang allenfalls Indizien heraus: Im Februar und April observierten Polizisten den bekennenden G-8-Gegner zweimal, wie er sich mit einem der Ende Juli verhafteten mutmaßlichen Brandstifter in einem Café traf, die Termine sollen konspirativ über den E-Mail-Account „opel prolls@yahoo.de" verabredet worden sein. Für den intellektuellen Kopf der Gruppe halten ihn die Ermittler, weil in H.'s Doktorarbeit über Stadterneuerung der Begriff „gentrification" auftaucht, der die Aufwertung von Stadtteilen beschreibt und auch von der „militanten gruppe" benutzt wurde.

Vergangene Woche ruderte der Karlsruher Haftrichter Ulrich Hebenstreit vorsichtig zurück und setzte den ungewöhnlich schlampig begründeten Haftbefehl gegen Andrej H. vorerst außer Vollzug. Zwar sei H. immer noch „dringend tatverdächtig", ausreichende Anhaltspunkte „hinsichtlich der unmittelbaren Beteiligung an einem oder mehreren Anschlägen der ‚militanten gruppe fehlen jedoch bislang".

 

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