Deutscher Soziologe für die Verwendung der selben Wörter wie eine terroristische Vereinigung verhaftet

Wissenschaftler aus der ganzen Welt fordern von der deutschen Bundesanwaltschaft seine Freilassung

Den Begriff Gentrifizierung zu benutzen, Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen oder eine Universitätsbibliothek zu betreten, macht aus ihm einen Terrorismus-Verdächtigen. Zumindest aus Sicht der Bundesanwaltschaft, die einen deutschen Dozenten in Untersuchungshaft steckte, da sie zu große Ähnlichkeiten sah zwischen seinen Forschungen und den Forderungen der terroristischen Vereinigung Militante Gruppe, der verschiedene Brandanschläge in Berlin zugeschrieben werden.

Andrej Holm, Soziologe und Journalist, ist ein renommierter Forscher der Humbolt-Universität Berlin und Spezialist für das Konzept der Gentrifizierung, das die Bourgeoisierung ehemaliger Arbeiterquartiere erfasst. Laut Anklageschrift werden Holm und drei weitere Forscher der intellektuellen Rädelsführerschaft verdächtigt. Die Bundesanwaltschaft hat Phrasen und Schlagwörter, die die terroristische Vereinigung in ihren Pamphleten benutzt, in den wissenschaftlichen Aufsätzen der Forscher gefunden.

Der zentrale Beweis, den die Staatsanwaltschaft anführt, ist die Benutzung des Begriffes "Gentrifizierung", den sowohl der Soziologe als auch die Terroristen verwenden. Gentrifizierung beschreibt Stadterneuerungsprojekte und die Aufwertung von Quartieren. Den Begriff wandte Holm an, um die Ergebnisse seiner Forschungen über die Stadterneuerung in Berlin darzulegen.

In der Wohnung eines der Angeklagten fand die Polizei ein Telefonbuch, das die Namen von drei Terroristen und den von Andrej Holm enthielt. Die Staatsanwaltschaft meint, dieser Beweis zeige, dass Holm eine aktive Rolle in der Antiglobalisierungsbewegung gegen den G8-Gipfel in der deutschen Stadt Heiligendamm gespielt habe. Sie meint, die intellektuellen Fähigkeiten des Soziologen und seine Ausstattung versetzten ihn in die Lage, die anspruchsvollen Manifeste der terroristischen Vereinigung zu verfassen. Der Generalbundesanwaltschaft erscheint zudem die Tatsache sehr verdächtig, dass der Soziologe sein Handy nicht dabei hatte, als ihn die Polizei aufsuchte.

Gegen Holm und die anderen drei Wissenschaftler sowie die drei mutmaßlichen Terroristen ermittelte die Polizei seit Ende des Jahres 2006. Am ersten August dieses Jahres wurden sie auf der Basis der deutschen Anti-Terrorgesetze verhaftet.

Mehr als hundert Wissenschaftler und Intellektuelle aus der ganzen Welt haben einen Protestbrief gegen die Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft unterschrieben, in dem sie die sofortige Freilassung des deutschen Soziologen fordern. "Wir verwahren uns aufs Schärfste gegen den unerhörten Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement von Andrej Holm sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer angeblichen 'terroristischen Vereinigung' zu bewerten", heißt es in dem Schreiben, "Mit diesen Konstrukten wird jede wissenschaftliche Tätigkeit und politische Arbeit als potentiell kriminell dargestellt". Unter den Unterschreibenden befinden sich Soziologen wie Richard Sennett von der Universität London und Saskia Sassen von der Columbia Universität.