Konstruieren und schnüffeln mit §129a

Von Regina Stötzel

Ermittlungen gegen Andrej Holm wegen Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« eingestellt

Fast vier Jahre lang wurde Andrej Holm überwacht, gut drei Wochen verbrachte er in Untersuchungshaft. Trotzdem fanden die Behörden keinen Beleg dafür, dass Holm die Bekennerschreiben der »militanten gruppe« verfasst haben könnte.

Dass Linken und Linksradikalen der Begriff »Gentrification« inzwischen so locker von den Lippen geht wie »Neoliberalismus«, dürfte unter anderem mit Andrej Holms Geschichte zu tun haben. Seine Anwältin Christina Clemm beschreibt, dass die Ermittlungen mit einer Internetrecherche begonnen hätten. Die Beamten des BKA googelten Holm, würde man heute sagen. Da der Sozialwissenschaftler in seinen wissenschaftlichen Texten Begriffe benutzte, die in den Bekennerschreiben der »militanten gruppe« (mg) auftauchten, geriet er in Verdacht. Holm galt fortan als einer der intellektuellen Köpfe der »mg«, jener vermeintlichen terroristischen Vereinigung, die zwischen 2001 und 2009 aktiv war und sich zu rund 30 militanten Aktionen gegen Privatpersonen, staatliche und privatwirtschaftliche Institutionen bekannte.

Am frühen Morgen des 31. Juli 2007 wurde Holm in seiner Berliner Wohnung aus dem Schlaf gerissen und in Untersuchungshaft gesteckt. In der gleichen Nacht waren Florian L., Axel H. und Oliver R. zwischen Brandenburg (Havel) und Berlin festgenommen worden, weil sie versucht haben sollen, LKW der Bundeswehr in Brand zu stecken. Da sich Holm zuvor angeblich unter »konspirativen Umständen« mit Florian L. getroffen hatte, war das Konstrukt perfekt.

Nach Protesten von namhaften Soziologen setzte der BGH den Haftbefehl gegen Holm am 22. August außer Vollzug und wies eine Beschwerde der Bundesanwaltschaft (BAW) mit der Begründung ab, »bloße Vermutungen« reichten nicht aus für einen »dringenden Tatverdacht«. Ende November 2007 befand der BGH außerdem, dass die Straftaten, die der »mg« vorgeworfen wurden, keine seien, die »durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen« können. Fortan galt die »mg« nicht mehr als terroristische, sondern nur als kriminelle Vereinigung.

Weitere Pannen und Peinlichkeiten häuften sich: Frühere erfolglose Ermittlungen gegen drei andere Berliner wurden kürzlich als rechtswidrig eingestuft. Deren Wohnungen waren im Zuge der umfangreichen Razzien in Veranstaltungsräumen, Wohnungen, Büros der linken Szene vor dem G8-Gipfel Heiligendamm durchsucht worden. Auch die Razzien wurden für rechtswidrig erklärt. Schließlich musste ein Beamter des BKA im Prozess gegen Florian L., Axel H. und Oliver R. zugeben, dass sich seine Behörde unter dem Namen »Die zwei aus der Muppetshow« in die Militanzdebatte in der Autonomenzeitschrift »Interim« eingeschaltet hatte, um Sympathisanten der »mg« anzulocken.

Gestern verkündete ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen gegen Holm wegen Mitgliedschaft in der »mg« seien eingestellt. Anwältin Clemm bezeichnet es als Skandal, dass in der Einstellungsverfügung dasselbe stehe, was der BGH vor drei Jahren feststellte. »Drei Jahre wurde das Verfahren verschleppt, sicherlich auch im Hinblick darauf, dass es das andere Verfahren gab.« Arthur Schüler vom Bündnis für die Einstellung der §129a-Verfahren sagt: »Das Urteil gegen Axel, Oliver und Florian wurde auch mit dem Kontakt zu Andrej gegründet. Jetzt fällt dieses anfängliche Ermittlungskonstrukt in sich zusammen. Dadurch, dass die Bundesanwaltschaft dies erst neun Monate nach dem Urteil bekannt gibt, konnten ihre Verteidiger darauf im Revisionsverfahren nicht zurückgreifen.« Die Antimilitaristen waren in erster Instanz zu Haftstrafen von drei bis dreieinhalb Jahren verurteilt worden.