Die falschen Leute

Lügen und Hörensagen: Der Prozess gegen angebliche Mitglieder der "militanten gruppe" ist zu Ende. Die Anwälte sprechen von einer Farce an den Grenzen des Rechtsstaats

Am Tag des Urteils hielt sich das Interesse in Grenzen. Keine Eilmeldung in den Nachrichtenportalen. Das Ende im Berliner Prozess gegen die "militante Gruppe" schaffte es nicht einmal in die Tagesschau. Den meisten Zeitungen war das Thema am nächsten Morgen wenn überhaupt nur eine kleine Notiz wert. "Mehr als zwei Jahre nach einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge", so heißt es nun, habe das Kammergericht in der Hauptstadt "drei Linksextremisten zu Haftstrafen verurteilt. Die Richter sehen es am 16. Oktober als erwiesen an, dass die Männer im Alter von 37 bis 48 Jahren zur linksextremistischen mg gehörten und im Sommer 2007 in der Stadt Brandenburg unter Armeefahrzeugen Brandsätze legten. Zwei Verurteilte müssen für dreieinhalb Jahre, der dritte drei Jahre ins Gefängnis. Das Kammergericht folgte den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung kritisierte, der Prozess sei von politischen Vorgaben bestimmt gewesen."

Verkleidete Zeugen

Der letzte Satz der Nachricht gibt den Hinweis. Zu Ende gegangen ist nicht nur ein Prozess wegen versuchter Brandstiftung, sondern auch eine Ermittlungs- und Prozess-Farce die schon viel länger andauert. Seit 2001 verfolgten die Behörden verschiedene "Ansätze" gegen die "militante gruppe", nahmen die linke Szene ins Visier, klagten an, stellten Verfahren wieder ein. Zwölf Personen haben die Ermittler über die Jahre der Mitgliedschaft verdächtig. Über Jahre wurden gravierende Überwachungsmaßnahmen angewandt – vom abgehörten Telefon über Videokameras vor Privatwohnungen bis zu Peilsendern an Autos. Am Ende blieben drei Männer übrig, die man auf frischer Tat ertappt hatte. Dass sie aber einer solchen Untergrundorganisation angehörten, wurde im Prozess nicht belegt. "Lediglich auf Indizien und Informationen des Verfassungsschutzes" beruhe der Vorwurf, erklärten die Anwälte. Am Ende verzichteten sie auf ihr Schlussplädoyer: "Wir kapitulieren damit vor den politischen Vorgaben, die diesen Prozess bestimmen."

Man kann sich selbst ein Bild machen. Aufschlussreich ist zum Beispiel die Erklärung der Anwälte, das "Nicht-Plädoyer", in dem auf einige der Auffälligkeiten dieses Verfahrens hingewiesen wird: Verkleidete Zeugen, Lügen von Ermittlungsbeamten und eine Parallelakte des Bundeskriminalamtes, deren Existenz im Prozess ebenso zutage trat wie die Tatsache, dass das BKA selbst als "Autor" in der so genannten Militanzdebatte aufgetreten war. Die Ermittler sorgten so für ihre eigenen "Beweise". Schließlich wurde die Existenz einer "militanten gruppe" im Wesentlichen aus den ihr zugerechneten Veröffentlichungen konstruiert. Nicht zuletzt nennen die Rechtsanwälte die äußeren Umstände des Verfahrens, in denen zum Teil "Instrumentarien" zum Einsatz kamen, die "im Zuge der ,Terroristenprozesse' der siebziger Jahre" eingeführt worden waren: Sonderhaftbedingungen, Trennscheibenbesuche, Kontrolle der Verteidigerpost.

Zum Ermittlungseifer in Sachen "mg" gehört auch die skandalöse Festnahme des Soziologen Andrej Holm. Auch gegen ihn war seit 2006 ermittelt worden – wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, mithin das schärfte Schwert bundesdeutscher Ermittlungsbehörden. Ihr Vorgehen gegen den Wissenschaftler, das weltweit auf Kritik stieß, hatten die Behörden auf den bizarren Vorwurf gegründet, dieser habe "Phrasen und Schlagwörter" verwendet, die auch in Bekennerschreiben der "mg" auftauchten. Die Beamten hatten Begriffe wie "Prekarisierung" gegoogelt – und waren so auf Holm aufmerksam geworden, eine einjährige Observation schloss sich an.

Noch eine Chance

Später hob der Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen Holm auf und stellte dann auch noch fest, dass es sich bei der "militanten gruppe" nicht um eine "terroristische" (§ 129a), sondern um eine "kriminelle Vereinigung" (§129) handeln könne. Vor allem die juristischen Möglichkeiten des Paragrafen 129a des Strafgesetzbuchs sind rechtsstaatlich äußerst fragwürdig. Sie erlauben den Ermittlern großzügig, was sonst nur in engsten Grenzen möglich ist. Der Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner spricht in diesem Zusammenhang von "Sonderermächtigungen, die der großflächigen präventiven Ausforschung des politischen Umfeldes dienen und eine Vielzahl von meist unverdächtigen Kontaktpersonen und Sympathisanten einbeziehen".

Politische Gründe? Davon will die Justiz nur dann etwas wissen, wenn es ihr ins Konzept passt. So nannte der Vorsitzende Richter im Berliner Verfahren die "militante gruppe" zwar "eine der aktivsten, gefährlichsten inksextremen Gruppen dieser Zeit", die "ein Klima zur Abschaffung heutiger Verhältnisse erzeugen" wollte. Etwaige antimilitaristische Motive hinter dem Versuch, Bundeswehrfahrzeuge zu sabotieren, bestritt man hingegen den drei Angeklagten.

"Hier sitzen die falschen Leute", hatte Axel H., einer von ihnen, am ersten Verhandlungstag erklärt. "Auf die Anklagebank gehören Kriegstreiber, Kriegsbefürworter und Rüstungskonzerne. Sie sind die kriminellen Vereinigungen. Sie sind anzuklagen." Damit war nicht zu rechnen. Nach den Urteilen sieht die Verteidigung dennoch eine Chance im Revisionsverfahren – rechnet aber damit, dass dieses "erst in ein bis eineinhalb Jahren beginnen kann".

Hintergrund
Im Mai 2007 wurden in Bristol (Großbritannien) zwei Männer freigesprochen, die Jahre zuvor bei dem Versuch festgenommen worden waren, einen B52-Bomber der US-Luftwaffe auf dem Stützpunkt Fairford/Gloucestershire außer Funktion zu setzen. Sie hatten erfolgreich argumentiert, ihre Aktion würde zivile Opfer im Irak-Krieg verhindern helfen.

Im Juni 2008 wurden neun irische Friedensaktivisten in Belfast freigesprochen, nachdem sie die Büros eines US-Rüstungskonzerns in Derry besetzt und dabei Computer zerstört hatten. Nach Auffassung der Jury konnten die neun glaubhaft machen, mit ihrer Aktion versucht zu haben, noch größeres Unheil zu verhindern: die Tötung von Zivilisten im Krieg.

Ein Dubliner Gericht sprach 2006 fünf Kriegsgegner frei, die Teile der Landesbahn auf dem militärischen Teil des Flughafens Shannon sowie ein Flugzeug der US-Navy zerstört hatten. Die Geschworenen entschieden einstimmig, dass die Aktion nicht als krimineller Akt zu werten sei.

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