mg-Prozeß gegen Antimilitaristen vor dem Abschluß - "Ein Nicht-Plädoyer"

Die Behauptung, die Bundeswehr führe in Afghanistan keinen Krieg, ist so eindeutig als staatsapologetische Ausrede zu durchschauen, daß sie keiner ernsthaften Widerlegung bedarf. Die Behauptung, daß die Antimilitaristen Axel H., Florian L. und Oliver R. sich nicht nur der versuchten Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen schuldig gemacht, sondern diese ihnen zur Last gelegte Tat auch als kriminelle Vereinigung vollzogen hätten, liegt auf der Linie der Rechtfertigung einer Kriegführung, die mit den aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gezogenen Lehren bricht. Um propagieren zu können, daß man ein Land, dessen Hunger und Not leidende Bevölkerung alles andere braucht als eine Besatzungsmacht, die ihr Elend vergrößert, militärisch kontrollieren muß, darf ein aus der Tradition des Widerstands gegen Faschismus und Imperialismus erwachsender Antimilitarismus in der Bundesrepublik keine Legitimität erhalten.

Dies wird unter anderem mit Hilfe des Organisationsstrafrechts nach Paragraph 129/a/b StGB geleistet. Es ermöglicht die Stigmatisierung einer bloßen politischen Meinung, indem sie als Beleg für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Gleichgesinnten kriminalisiert wird. Die angebliche Mitgliedschaft allein reicht aus, um im Fall einer "kriminellen Vereinigung" bis zu 5 Jahre, im Fall einer "terroristischen Vereinigung" bis zu zehn Jahre Haft verhängen zu können. Um diese Assoziation unabhängig vom konkreten Nachweis einer konventionellen Straftat belegen zu können, werden Ermittlungen durchgeführt, mit denen die sozialen Beziehungen und politischen Aktivitäten der Betroffenen zum Zwecke ihrer strafrechtlichen Verwertung ausgeforscht werden. Die Strafbarkeit einer bloßen Gesinnung legalisiert die Ausforschung der Menschen, die ihrer bezichtigt werden, in einem Ausmaß, das üblicherweise diktatorischen Regimes zugeschrieben wird.

Die Aufklärung diverser Brandanschläge, die der militanten gruppe (mg) zugeschrieben werden, hat bereits zu fünf Strafverfahren geführt, in denen die Bundesanwaltschaft aufgrund der angeblichen Staatsschutzrelevanz der Vorwürfe als Anklagebehörde fungiert. Drei dieser Verfahren wurden eingestellt, ohne daß es zu einem Schuldspruch kam. Gegen fünf Personen wird weiterverhandelt, wobei das Urteil gegen Axel, Florian und Oliver am 16. Oktober gesprochen werden soll. Der Fall des Sozialwissenschaftlers Andrej Holm hat einiges Aufsehen erregt, wollte man ihm doch aufgrund seiner akademischen Befähigung die Rolle eines intellektuellen Rädelsführers anhängen. Da die Konstrukte der Anklagebehörde wesentlich auf Kontakten zwischen den Beschuldigten beruhen, ist zu vermuten, daß sein Verfahren allein deshalb noch nicht eingestellt wurde, um die überaus dürftige Beweislage im Fall der drei Antimilitaristen nicht weiter zu schwächen.

Der ihnen angelastete Vorwurf der Bildung einer zuerst terroristischen, nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs nurmehr kriminellen Vereinigung steht auf so schwachen Füßen, daß ein Schuldspruch im Sinne der Anklage direkten Einfluß auf die Bewegungsfreiheit oppositioneller Bewegungen haben muß. Indem die Bundesanwaltschaft eine Konspiration unterstellt und diese Behauptung mit Ermittlungsergebnissen zu untermauern versucht, die per E-Mail getroffene Verabredungen ohne genaue Angabe von Ort und Zweck, der angeblich zur Abwehr polizeilicher Überwachung dienende Verzicht auf das Mitführen eines Mobiltelefons und die Zugehörigkeit zur "linksextremistischen" Szene betreffen, verwandelt sie legale Kommunikationspraktiken und politische Einstellungen in strafwürdige Vergehen. Das gilt auch für die gegen Andrej Holm und drei weitere Aktivisten, deren Verfahren eingestellt wurden, erhobenen Vorwürfe, denen vor allem ihre Befähigung zur Verwendung angeblich für staatsfeindliches Denken signifikanter Begriffe und Phrasen zugrundeliegt. Dies wird zwar damit begründet, daß diese auf vergleichbare Weise in Bekennerschreiben der mg auftauchten, stellt jedoch in sich einen gegen die Verwendung einer bestimmten Sprache erhobenen Verdacht dar.

Allein der Vorwurf, mindestens einem Beschuldigten stünden "als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der 'militanten gruppe' erforderlichen Recherchen durchzuführen", dokumentiert das Ausmaß einer Verdächtigung, die von vornherein darauf angewiesen ist, durch die Hinzufügung weiterer implausibler Verdachtsmomente zu einer strafbaren Handlung verdichtet zu werden. Allen Beschuldigungen in den mg-Verfahren gemein ist der angestrengte Versuch der Bundesanwaltschaft, für sich genommen legale Verhaltensweisen in potentiell strafbare Handlungen umzumünzen, deren angeblich staatsfeindlicher Gehalt im Kern in linksradikalem Gedankengut besteht.

Der Androhung, als politischer Aktivist durch vergleichbare legale Praktiken in die Reuse antiterroristischer Ermittlungen zu geraten, entspricht die Inszenierung des mg-Prozesses als unmittelbar von militanten Angriffen bedrohtes Staatsschutzverfahren. Zwei Mitarbeiter des Schattenblicks konnten am 14. Oktober am eigenen Leib erleben, daß der Anspruch, an der öffentliche Rechtspflege teilzuhaben, zu der mittelbaren Bedrohung mutieren kann, selbst zum Kreis der Bezichtigten gezählt zu werden.

Schon der Aufmarsch von rund 20, mit kugelsicherer Schutzweste bewehrter Polizeibeamter kurz vor Beginn des 62. Prozeßstages erweckt den Eindruck, der Staat müsse sich für den Ernstfall wappnen. Der Zugang zu dem Saal, in dem der Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts tagt, befindet sich in einem separaten, vom allgemeinen Eingang dieses Flügels des Kriminalgerichts Moabit abgetrennten Teil, so daß die ohnehin gründlichen Eingangskontrollen noch einmal verschärft werden können. Wer dem Prozeß als Zuschauer beiwohnen will, muß seinen Personalausweis nicht nur vorlegen, sondern dieser wird, wahrscheinlich zur weiteren Verwendung der darin enthaltenen Informationen, abgelichtet. Nachdem man sich aller Gegenstände, die in Hosen- und Jackentaschen stecken, entledigt hat, folgt gründliches Abtasten zur Sicherstellung, daß der Besucher nichts mehr bei sich führt außer den Kleidern, die er am Leibe trägt. Die Schuhe müssen ausgezogen werden, so daß diese wie auch die Socken inspiziert werden können.

In den Saal mitnehmen darf der Zuschauer lediglich einige Blatt unbeschriftetes Papier und einen Bleistift. Wer keinen solchen dabei hat oder damit nicht so gut wie mit einem Kugelschreiber umgehen kann, dem bleibt die Möglichkeit, seine Beobachtungen während der Verhandlung schriftlich niederzulegen, vorenthalten. Ohnehin ist es kaum möglich, unter Verzicht auf eine feste Unterlage, die ebenfalls draußen bleiben muß, zu schreiben. Eine Brille darf mitgeführt werden, nicht jedoch das Etui. Immerhin kann man seine Taschentücher behalten, vermutlich um zu verhindern, daß dauerhaftes Schniefen den Prozeßverlauf stört.

Hat man diese Sicherheitsprozeduren hinter sich, dann kann man auf einer Zuschauertribüne Platz nehmen, die durch mehrere im Rücken des Publikums sitzende Polizeibeamte gesichert ist. Da diese alle Aktivitäten der Zuschauer beobachten, muß man befürchten, daß eventuelle Reaktionen auf den Verlauf des Prozesses in entsprechenden Observationsprotokollen verewigt werden. Da die Identität jedes Zuschauers bekannt ist, dürfte ihm ein Eintrag in den Datenbanken des Staatsschutzes sicher sein.

Zwar wirkt die räumliche Aufteilung des Gerichtssaals, als ob hier nach bestem Bemühen und Gewissen Recht gesprochen wird, sind die Richter doch als vermeintlich neutrale Instanz quer zu den Tischen, an denen die Angeklagten und ihre Anwälte sitzen, und dem ihnen gegenüberstehenden Podium der Ankläger postiert. Für diesen Tag sind die Schlußplädoyers der Verteidiger von Axel, Florian und Rolf angekündigt. Was nun geschieht, macht deutlich, daß die Unvoreingenommenheit der Richter aus gutem Grund in Frage zu stellen ist. Rechtsanwalt Olaf Franke erhebt sich und verliest "Ein Nicht-Plädoyer":

"Das Schlußplädoyer der Verteidigung hat den Sinn und Zweck, das bisherige Prozeßgeschehen zusammenzufassen und die Schlußfolgerungen darzulegen, die sich für die Verteidigung daraus ergeben. Notwendige Voraussetzung dafür ist die Erwartung, dass das Gericht dazu bereit ist, diese Darlegungen und Argumente anzuhören, nachzuvollziehen und in seine Beratungen mit einzubeziehen.

Angesicht des Verfahrensverlaufs können wir diese Erwartung in keiner Weise mehr aufrechterhalten.

Schon zu Beginn des Prozesses zeigte sich das Desinteresse des Gerichts gegenüber den Rechten der Angeklagten bei einer Auseinandersetzung über die Sitzposition der ZeugInnen: Die Sitzordnung war so arrangiert, dass die Verteidigung die ZeugInnen nur von der Seite oder sogar nur von hinten sehen konnten. Der Beschluss des Senats zu dieser Frage war symptomatisch dafür, wie er die Interessen der Angeklagten im weiteren Prozess zu behandeln gedachte: Er erklärte, die gewählte Sitzposition der ZeugInnen entspräche einer seit mehr als hundert Jahren in jenem Gerichtssaal gepflegten Tradition. Aufgrund der vielen Prozeßbeteiligten sei ein gleiches Recht für alle Verfahrensbeteiligten ausgeschlossen. Es sei vielmehr dem Interesse des Gerichts der Vorzug zu geben.

Demgegenüber begünstigte der Senat in vielerlei Hinsicht die Interessen der Anklagevertretung:

Er bemühte sich nicht darum, der Verteidigung vollständige Einsicht in sämtliche Ermittlungsakten zu ermöglichen.

Er ließ es tatenlos zu, dass sich ErmittlungsbeamtInnen im Zeugenstand auf fehlende Aussagegenehmigungen beriefen und wesentliche Fragen einfach nicht beantworteten. Anstatt selbst tätig zu werden, verwies er die Verteidigung darauf, sich auf dem Verwaltungsrechtsweg um die entsprechenden Aussagegenehmigungen zu kümmern.

Beispielhaft sei hier auch noch einmal daran erinnert, dass der Senat selbst auf eine skandalöse Vertuschungsaktion der Ermittlungsbehörden durch manipulierte Akten ohne nachhaltiges Interesse reagierte: Nur durch hartnäckiges Insistieren der Verteidigung offenbarte sich, dass die dem Senat vorgelegte Akte nicht der originalen Version beim BKA entsprach. Diese Parallelakte sollte den Verfahrensbeteiligten offensichtlich vorenthalten werden. Der Senat forderte daraufhin jedoch noch nicht einmal die beim BKA geführte Akte an, um selbst überprüfen zu können, ob es zu weiteren Manipulationen gekommen war. Daß die Verfahrensbeteiligten in diesem Zusammenhang von einem maßgeblichen Ermittlungsbeamten des BKA obendrein auch noch belogen wurden, sei hier nur am Rande erwähnt.

Die gesetzlich geregelte Zuständigkeit des Kammergerichts ändert nichts an der Tatsache, daß es sich um eine Sonderzuständigkeit handelt, die das Verfahren komplett geprägt hat. Nachdem sich Angeklagte und Verteidiger nach der Festnahme der Angeklagten im Juli 2007 noch mit Sonderhaftbedingungen, Trennscheibenbesuchen und Kontrolle der Verteidigerpost auseinanderzusetzen hatten, mithin Instrumentarien, die im Zuge der 'Terroristenprozesse' der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts eingeführt worden waren, änderte sich dies auch zu Beginn dieses Prozesses nur partiell.

Tatsache ist, dass dieses Gericht ein Klima der Einschüchterung schürte, indem es BesucherInnen mit einer abschreckenden Sicherheitsverfügung konfrontierte und dadurch den uneingeschränkten Zugang der Öffentlichkeit zu diesem Prozeß nicht gewährleistete. Obwohl der Bundesgerichtshof Ende November 2007 dem Verfolgungseifer der Bundesanwaltschaft Zügeln angelegt und erklärt hatte, der Vorwurf, bei der 'militanten gruppe' handele es sich nicht um eine terroristische, sondern allenfalls um eine kriminelle Vereinigung, fand dies kaum Niederschlag in den äußeren Rahmenbedingungen, unter denen dieser Prozeß vonstatten ging.

Im Zuge der rigiden Einlasskontrollen mußten sich ZuhörerInnen peniblen Körperkontrollen unterziehen und sämtliche Gegenstände abgeben; es gab Dispute über die Anzahl der erlaubten Papiertaschentücher und Schreibutensilien. So in den Gerichtssaal gelangt, erwartete die Zuhörerinnen dort eine massive Präsenz bewaffneter und mit schußsicheren Westen versehenen Bereitschaftspolizisten. Personenschützer sicherten das Terrain zusätzlich ab, anwesende Prozeßbeobachter des BKA waren erklärtermaßen auf der Suche nach potentiellen Sympathisanten der Angeklagten.

Wir haben uns oft gefragt und tun dies noch: Wozu diese martialische Präsenz bewaffneter staatlicher Organe im Gerichtssaal? Wer oder was sollte da noch vor wem geschützt werden? Oder ging es eben doch nur um eine Stigmatisierung der Angeklagten als gefährliche Gewaltverbrecher? Darum, die an einen Staatsschutzsenat gemeinhin gestellten Erwartungen zu erfüllen?

Tatsache ist, daß der Senat schon durch die äußeren Rahmenbedingungen ein Klima der Vorverurteilung und Hochstilisierung der Angeklagten zu gefährlichen Gewaltverbrechern geschürt hat. Seinen letzten Ausdruck fand dies in der Hinnahme von verkleideten, mit Perücken und falschen Bärten ausstaffierten Zeugen von BKA und LKA Berlin, die weder ihren Namen, teilweise noch nicht einmal ihre persönliche Codenummer angeben mochten.

Last but not least: Die Verteidigung hat von Anfang an deutlich gemacht, dass die von der Anklage vorgetragenen Indizien auch anders gewertet werden können. Der Senat hat im Verhandlungsverlauf immer wieder deutlich gemacht, dass er einen solchen Blick nicht einnehmen will und nicht daran interessiert ist, andere Interpretationsmöglichkeiten des Sachverhaltes als den von der Bundesanwaltschaft vorgegebenen nachvollziehen zu wollen und in seine Erwägungen einzubeziehen.

Vor diesem Hintergrund kann von einem fairen Verfahren nicht gesprochen werden. Wir sind zu der festen Überzeugung gelangt, dass ein Schlußplädoyer unsererseits den Senat nicht beeinflussen wird.

Ein Einhalten formaler Spielregeln, die ihres Inhaltes entkleidet sind, macht für die Verteidigung jedoch keinen Sinn. Wir verzichten daher auf einen Schlußvortrag."
(http://einstellung.so36.net/de/prozess/bericht/1631)

Die Richter und die Ankläger versuchen, sich nichts anmerken zu lassen, doch ist ihre Überraschung über diesen Schritt der Verteidigung mit den Händen zu greifen. Nachdem Rechtsanwalt Franke dem Gericht zwei Hilfsbeweisanträge für den Fall übergeben hat, daß es zu keinem Freispruch kommt, fragt Richter Josef Hoch noch einmal die anderen Verteidiger sowie die Angeklagten, ob sie ihrerseits ein Plädoyer halten oder Stellung beziehen möchten. Nachdem dies rundheraus verneint und damit deutlich gemacht wird, daß diese Erklärung Ergebnis einer gemeinsamen Strategie der Angeklagten und ihrer Anwälte ist, wird die Verhandlung unter Verweis darauf geschlossen, daß sich das Gericht zur Beratung zurückzieht und das Urteil am 16. Oktober gesprochen werden soll.

Indem die Verteidiger und ihre Mandanten das formale Prozedere boykottieren, machen sie deutlich, daß sie das Verfahren für eine Farce halten, an der sie sich nicht mehr beteiligen wollen, um dem zu erwartenden Schuldspruch keine zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verleihen. Ob sich das Gericht dazu bewegen läßt, den Beweis für das Gegenteil anzutreten, indem es der Forderung der Staatsanwaltschaft, die Angeklagten zu drei bis dreieinhalb Jahren Haft zu verurteilen, eine Absage erteilt, zeigt sich mit der Urteilsverkündung. Anlaß dafür bestände allemal, vertritt die Bundesanwaltschaft doch die Ansicht, daß der Anschlagversuch allein "ausreichend Beweis" für die Mitgliedschaft der Angeklagten in der mg sei. Dafür beruft sie sich auf eine "Summe von Indizien", die als solche - und eben nicht Kraft auch nur eines unwiderlegbaren Beweises - für eine Verurteilung ausreiche.

Diese Indizien bestehen vor allem aus Geheimdienstinformationen, die eine Mitgliedschaft bei der mg unterstellen, ohne daß dies beweiskräftig untermauert werden kann. Wie im Fall verdeckter Zeugen wird hier mit dem Vorwand einer Gefährdung des Staates durch seine Kritiker gearbeitet und so sein demokratischer Anspruch selbst zum Sicherheitsrisiko erklärt. Wenn überdies anhand eines Versehens deutlich wird, daß sich Autoren des Bundeskriminalamts mit von ihnen verfaßten Texten unter einem Pseudonym selbst an inkriminierten Debatten unter Linken beteiligen, woraus sich wiederum den Verteidigern erschloß, daß die von ihnen erstrittene Herausgabe von Akten zur Fertigung eigens für sie vorgesehener Dokumente der Ermittlungsbehörden führte, wenn im Berliner Verfassungsschutzbericht 2005 aus einem insgeheim vom BKA verfaßten Dokument zitiert wird, um die Relevanz der berüchtigten Militanzdebatte zu belegen, dann kann man sich bei Indizien von höchst vager Art keineswegs darauf verlassen, daß diese zweifelsfrei ihren angeblichen Verursachern zuzuschreiben sind.

Die Versuche des BKA, über verschiedene Einstiegswinkel in die linksradikale Szene die Identität von Mitgliedern der mg herauszufinden, münden samt und sonders in Konstrukte, deren Beweiskraft nicht über die Qualität einer Bezichtigung hinausgeht. Nur der Nachweis einer solchen Mitgliedschaft läßt es unter den Bedingungen des politischen Strafrechts nach Paragraph 129/a/b StGB zu, die Angeklagten mit dem beabsichtigten Strafmaß zu belegen. Obwohl die Anträge der Verteidiger auf Einstellung des Verfahrens mit schwerwiegenden Mängeln an seinem rechtsstaatlichen Prozedere begründet werden, die insbesondere aus Suggestionen und Manipulationen geheimdienstlicher Art resultieren, obwohl sie die Unterstellung einer personell wie inhaltlich homogenen militanten gruppe so sehr erschüttern, daß der gesamte, auch die anderen mg-Verfahren betreffende Ermittlungsansatz in Frage gestellt wird, hat sich das Gericht unverhohlen auf die Seite der Ankläger gestellt.

So hat es auch die politischen Beweisanträge, mit Hilfe derer die den Angeklagten zur Last gelegte Tat ins Verhältnis zum völkerrechtswidrigen Charakter deutscher Kriegführung gesetzt wird, rundheraus abgelehnt. Mit ihnen hatte die Verteidigung am 58. Prozeßtag versucht, den politischen Charakter der gegen die Beschuldigten gerichteten strafrechtlichen Maßnahmen herauszustreichen und die Frage aufzuwerfen, inwiefern eine mit gewaltsamen Mitteln durchgesetzte Politik nicht zum aktiven Widerstand gegen diese verpflichtet. Wie schon die Erklärung der Verteidiger zu diesen Anträgen, "dass das Widerstandsrecht des Grundgesetz immer nur vom Sieger gesellschaftlicher Umbrüche bestimmt wird, dass Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe für Sachbeschädigungen und ähnliche Taten gegen Bundeswehrfahrzeuge rechtlich nicht anerkannt werden", belegt, waren sie sich der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens bewußt. Einmal über die juristische Materie hinauszublicken und nach den politischen Bedingungen einer Rechtsprechung zu fragen, mit der gegen herrschaftskritische Menschen vorgegangen wird, war jedoch ein Schritt, der weit größere Aufmerksamkeit verdient hätte.

Wie die ergebnislosen Klagen vor jugoslawischen Gerichten, die von Bürgern angestrengt wurden, die dem Überfall der NATO auf ihr Land zum Opfer fielen, die abgelehnten Anträge auf Strafverfolgung gegen Regierungsbeamte und Militärs der NATO vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, oder die gescheiterten Versuche von der israelischen Besatzungspolitik betroffener Palästinenser, mit rechtlichen Mitteln gegen ihre Drangsalierung vorzugehen, zeigen, ist der juristische Weg für von kriegerischer Aggression heimgesuchte Menschen kaum zu beschreiten, wenn diese westlichen Hegemonialinteressen dient. Die etwa bei der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs ausgesprochene Annahme, politische Machtfragen ließen durch ein richterliches Urteil korrigieren, hat sich bislang gerade dort, wo das Gewaltverhältnis besonders ungünstig für die Opfer ausfällt und der rechtliche Korrekturbedarf dementsprechend groß ist, als Wunschdenken erwiesen.

Will man dem gesellschaftlichen Anspruch der Rechtsprechung als eines Regulativs, das die gewaltsame Austragung von Konflikten nach Maßgabe des Stärkeren verhindern soll, entsprechen, dann müssen politisch motivierte Straftaten auch in den Rahmen von Macht und Herrschaft bestimmter Bedingungen gestellt werden. Das politische Strafrecht nach Paragraph 129/a/b StGB verfährt auf gegenteilige Weise. Menschen konspirativer Gemeinschaftsbildungen zu bezichtigen und darin bereits eine Straftat zu sehen, soll die Motive und Praktiken, mit denen einflußreiche Akteure ihre Position sichern, dagegen schützen, in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Streits gestellt zu werden.

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