Totale Überwachung

Seit Jahren ermittelt das BKA gegen die »militante gruppe«. Dutzende Personen gerieten ins Visier der Fahnder – meist aufgrund zweifelhafter Indizien

Auf einer Dorfstraße im brandenburgischen Radewege, etwa 80 Kilometer westlich von Berlin, ist die Fahrt von Oliver R., Axel H. und Florian L. plötzlich zu Ende. Es ist 2.15 Uhr an diesem 31. Juli 2007, als mehrere Einsatzfahrzeuge des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) den braunen Renault Clio stoppen, Beamte die linken Seitenscheiben des Wagens einschlagen und die Insassen widerstandslos festnehmen. »Die Beschuldigten wurden mit einfacher körperlicher Gewalt aus dem Fahrzeug geholt und zu Boden gebracht«, wird es später im Bericht von Kriminalhauptkommissar Christian G. heißen.

Etwa zwanzig Minuten vor diesem Zugriff hatten LKA-Beamte beobachtet, wie zwei Männer im benachbarten Brandenburg/Havel ein Gelände der Firma MAN betraten und nach drei Minuten wieder verließen. Was sich in dieser kurzen Zeit auf dem Grundstück abspielte, liegt bis heute im dunkeln. »Während der Beschattung kam es mehrmals zu Observationslücken«, mußte die Einsatzleiterin später einräumen. Sicher ist, daß unter den Reifen von mehreren Bundeswehr-LKW insgesamt acht Kunststoffbehälter plaziert waren, in deren Deckeln Grillkohleanzünder steckten. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, daß die festgenommenen Kriegsgegner versucht haben, die Militärtechnik in Brand zu setzen.

Seit einem Jahr verhandelt der Strafsenat am Berliner Kammergericht gegen die drei Berliner, denen neben dem versuchten Brandanschlag auch die Mitgliedschaft in der militanten Gruppe (mg) vorgeworfen wird. Die Gruppe soll für etwa 30 Attacken auf Firmen und staatliche Einrichtungen verantwortlich sein. Am heutigen Mittwoch endet nach 58 Prozeßtagen voraussichtlich die Beweisaufnahme. Das Urteil dürfte noch im Oktober verkündet werden. Trotz der langen Verhandlungsdauer bleiben zahllose Unklarheiten. Am mangelnden Ermittlungseifer kann das nicht liegen. BKA und Verfassungsschutz zapften Telefone an, installierten Videokameras vor Wohnungen, verwanzten Autos, protokollierten Banküberweisungen und observierten Treffen von vermeintlich Verdächtigen. Die BKA-Ordner füllen meterlange Regale. Das Konvolut dokumentiert vor allem eins: Bereits Banalitäten genügten, um ins Visier der Staatsschützer zu geraten. Zudem wird deutlich, daß die gigantische Ausspähaktion kaum zu Beweisen gegen die Beschuldigten führte. Dafür mußten die Betroffenen jahrelange Eingriffe in ihre Privatsphäre hinnehmen.

Jochen U. beispielsweise. Der Menschenrechtsaktivist ist Mitglied der »Initiative Libertad«, einer Gruppe, die sich gegen Todesstrafe und Folter in Gefängnissen engagiert. In den Texten von »Libertad« glaubten die Beamten, ähnliche Formulierungen wie in Bekennerschreiben der »mg« zu erkennen. Am 9. März 2002 montieren Spezialisten heimlich eine Abhöranlage in das Fahrzeug von U. ein, die zwei Wochen später durch ein Gerät ersetzt wird, mit dem auch eine Ortung des Wagens möglich ist. Von da an notieren die Beamten, wann sich U. wo, mit wem und warum aufhält und welche Sendungen er im Autoradio verfolgt. Anderthalb Jahre lang dauert der Lauschangriff. Zwei Monate, nachdem die richterliche Genehmigung ausgelaufen ist, bauen die Spezialisten die Anlage wieder aus. »Die Auswertung der GPS-Daten brachte keine Anhaltspunkte dafür, daß das Fahrzeug des Beschuldigten seit Beginn der Überwachungsmaßnahmen zu Anschlägen der ›mg‹ genutzt worden ist«, heißt es im BKA-Bericht. 2008 werden die Ermittlungen gegen U.ganz eingestellt.

Das Verfahren gegen Andre H. läuft dagegen bis heute. Auch der Soziologe habe in Veröffentlichungen Begriffe verwendet, die in den Bekennerschreiben der »mg« auftauchen. Einem anderen Forscher wird ebenfalls seine berufliche Qualifika­tion zum Verhängnis. Als promovierter Politologe sei Matthias B. intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der »mg« zu verfassen, schlußfolgern die Ermittler. Für die »mg«-Mitgliedschaft von Malte D. spricht nach Ansicht des BKA, daß dieser in einem Text für die junge Welt vom Frühjahr 2005 einen Anschlag der linksradikalen Gruppe »RZ« thematisiert, auf die sich auch die »mg« später bezieht. In einem als »VS-Vertraulich« gekennzeichneten Vermerk wird darüber hinaus auch ein Artikel von jW-Autor Helmut Höge analysiert, in dem der sich kritisch mit der »mg« auseinandersetzt.

Auf die drei derzeit vor dem Berliner Kammergericht angeklagten Oliver R., Axel H. und Florian L. wird das BKA nach einem angeblichen Geheimtreffen mit Andre H. aufmerksam. So habe sich H. Anfang 2007 zweimal mit Florian L. getroffen. Unter »konspirativen Umständen«, da der Soziologe sein Mobiltelefon nicht dabei hatte, wie die Kriminalisten in ihren Berichten festhalten. »Dies entspricht der Gepflogenheit der linksextremistischen Szene zu Zwecken der Konspiration«, heißt es im BKA-Bericht. Florian L. macht sich zudem verdächtig, weil keine einschlägigen polizeilichen Erkenntnisse gegen ihn vorliegen. »Wie sich aus den Schriften der ›mg‹ ergibt, entspricht er damit genau den Anforderungen, die diese Vereinigung an ihre Mitglieder stellt«, formuliert ein Ermittler.

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