BKA schrieb bei der Militanzdebatte mit

Über Manipulationen, Fälschungen und Einflussnahmen in Sachen militante gruppe

Stil, Auftritt und Inhalt waren zu eigentümlich, die Qualität der Äußerungen zu unterschiedlich, die Liste versuchter bzw. erfolgter Infiltrationen in der Geschichte der militanten Linken zu lang. Könnte es nicht sein, dass der Staatsschutz bei der militanten gruppe (mg) mitmischt? Die Vermutung war immer wieder zu hören. Ende März wurden diese Spekulationen überraschend bestätigt - zumindest teilweise: Das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligte sich an der sogenannten Militanzdebatte, die von der mg angeregt, seit Jahren vornehmlich im Berliner Szeneblatt interim geführt wurde.

Rückblende: Im Februar 2005 meldeten sich im Rahmen der vor sich hindümpelnden Militanzdebatte "Die zwei aus der Muppetshow" zu Wort. Ihr Beitrag unter der Überschrift "Über die Waffe der Kritik und die Kritik der Waffen oder Quo vadis mg?" hielt beileibe nicht, was der ambitionierte Titel versprach. Es ist eine der zahlreichen Wortmeldungen im Rahmen der Militanzdebatte, bei denen man sich fragt, warum man sie überhaupt lesen soll - so inhaltsleer, phrasenhaft und unbedeutend ist der Inhalt.

Am 34. Tag der Hauptverhandlung gegen Axel H, Florian L. und Oliver R. vor dem Berliner Kammergericht wurde bekannt, dass es das BKA war, das den Text an die interim geschickt hat. Auf ausdrückliche Fragen der Verteidigung nach der Urheberschaft des Diskussionsbeitrags hatte Kriminalhauptkommissar (KHK) Oliver Damm noch erklärt, er wisse nicht, wer den Text verfasst habe. Dann platzte die Bombe. Der Ermittlungsführer im Komplex mg musst am 26. März 2009 kleinlaut einräumen, dass ihm die VerfasserInnen des Muppetshowtextes durchaus bekannt sind: Sie stammen aus dem eigenen Haus.

Der Lüge überführt werden konnte Damm, weil der Verteidigung ein Sachstandsbericht in die Hände gefallen war, der ihm keine andere Möglichkeit ließ, als die BKA-Mitwirkung einzugestehen. Der Bericht findet sich in nachgereichten Akten, die bislang Verteidigung und Gericht vorenthalten worden waren. Das BKA hatte versäumt, die Nachlieferung zu säubern oder wie es die AnwältInnen formulierten: "Diese Aktenbestandteile wurden vor der Übergabe an die Verteidigung offensichtlich vom BKA nur unzureichend kontrolliert." (PM, 26.3.09)

Beweise gefälscht und Akten manipuliert
Konkret geht es um eine Auflistung von Veröffentlichungen im Rahmen der Militanzdebatte. In anderer Form lag diese Liste dem Gericht und der Verteidigung seit Langem vor - doch fehlte hier eine entscheidende Information, die nur für eine interne "Handakte" bestimmt war: die zu den Verfassern des Textes. Im Original: "Nur für die Handakte: Der Text wurde vom BKA verfasst und an die Interim versandt, um eine Reaktion bei der ,militante gruppe (mg)` zu provozieren und gleichzeitig auf die Homepage des BKA (Homepageüberwachung) hinzuweisen."

Das Gericht zeigte sich über diese Enthüllungen "not amused" und verlangte von der Bundesanwaltschaft (BAW) Aufklärung. Kein Wunder: Die Unterschlagung und Manipulation von Akten ist kein Kavaliersdelikt. Wird sie bekannt, kann kein Gericht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Verteidigung nannte den Prozess "juristisch gescheitert", rechnet allerdings nicht damit, dass das Verfahren eingestellt wird. (telepolis, 1.4.09) Wie das Berliner Kammergericht darauf reagieren wird, dass beim BKA parallele Geheimakten ("Handakten") mit brisantem Inhalt geführt werden, zeigt sich erst Mitte April, wenn der Prozess nach einer dreiwöchigen Unterbrechung fortgesetzt wird.

"Wir fühlen uns jung genug immer noch etwas bewegen zu können", ließen die unbekannten BKA-AutorInnen des Muppetshowtextes wissen. Ruft man sich den Ermittlungseifer in Sachen mg ins Gedächtnis (vgl. ak 535), glaubt man das gerne. Mit Recht und Gesetz nimmt man es dabei nicht so genau: Ein Blick zurück auf die inzwischen acht Jahre währenden Ermittlungen gegen die mg offenbart eine enge Kooperation zwischen BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auch geht aus den Akten des BKA hervor, dass es mindestens einen weiteren Text an die interim gesandt hat. Die systematische Überwachung der BKA-Homepage und die Registrierung der IP-Adressen ihrer BesucherInnen wurden inzwischen gestoppt, weil als "rechtlich äußerst zweifelhaft" eingestuft.

"Wir haben viele Debatten begleitet, mal aus der Ferne, mal mittendrin und mal einfach nur als interessierte Beobachter." Solche Sätze der BKA-AutorInnen im Muppetshowtext lassen tief blicken. Daneben wird vor allem in Nebenaspekten das Erkenntnisinteresse der BKA-Schreiberlinge deutlich. So wird nach der Bestätigung der eigenen Ermittlungsthese hinsichtlich der Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney gefragt ("Was soll der ganze Quatsch von ,teilidentischer Gruppierung`"). So als habe man sie nicht selbst in die Welt gesetzt, schließt sich in einer Klammer die Frage an: "Wo kommt so ein Konstrukt überhaupt her?"

Verkneifen konnten sich die BKA-AutorInnen auch nicht einen Verweis darauf, dass angebliche mg-Mitglieder presserechtlich gegen den Focus und andere Medien vorgegangen sind. Das Münchner Magazin (Motto: "Fakten, Fakten, Fakten - und immer an die Leser denken") hatte im November 2003 in einer Skandalstory aus der Feder des Staatsschutzschreiberlings Josef Hufelschulte berichtet, nach "zuverlässigen Focus-Informationen" habe das BKA vier Berliner identifiziert, "die zum konspirativen Kern der ,Militanten Gruppe` gehören sollen". (vgl. ak 478)

Die Ermittlungen gegen drei der Beschuldigten im sogenannten mg-Strukturverfahren wurden im Herbst 2008 eingestellt. Die Einstellung im Fall des vierten Berliners wird erwartet. Pikant: Als das BKA seinen Debattenbeitrag zur Militanzdiskussion schrieb, ging es selbst seit einem Jahr davon aus, dass die durch die Focus-Veröffentlichung als mg-Mitglieder gebrandmarkten Berliner keinesfalls der Gruppe angehören. Kurios: Es war vor allem die deutliche Kritik der Militanten Antiimperialistischen Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney am juristischen Vorgehen gegen die Focus-Berichterstattung, die zu dieser (vorerst folgenlosen) Einschätzung führte. In einem Vermerk vom 21. Januar 2004 heißt es: "Aufgrund der zu vermutenden engen Nähe und Personenüberschneidung zwischen ,militanter gruppe (mg)` und ,Militante Antiimperialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney`... kann man diese Kritik auch als Ausschluss der Mitgliedschaft der vier Betroffenen in der ,militanten gruppe (mg)` werten." Autor dieses Vermerks: KHK Oliver Damm.

Leute, die sich engagieren, finden immer einen Weg
Dass man die "Grenzen des Rechtsstaats" freizügig und nach eigenem Gusto auslegt, hat eine lange Tradition. Legendär die Äußerung von Siegfried Buback, dem 1977 von der RAF erschossenen Generalbundesanwalt: "Der Staatsschutz lebt davon, dass er von Leuten wahrgenommen wird, die sich dafür engagieren. Und Leute, die sich dafür engagieren, wie Herold (damaliger BKA-Chef, Anm. ak) und ich, die finden immer einen Weg. Wenn sie eine gesetzliche Regelung haben und sie mal strapazieren müssen, funktioniert sie meistens ja doch nicht." (Spiegel, 16.2.1976) Offensichtlich orientiert man sich daran heute noch in Karlsruhe und Wiesbaden.

Nur zwei Monate nachdem die mg durch Drohschreiben und einen Anschlag öffentlich erstmals in Erscheinung getreten war, erklärte das BfV der BAW im August 2001, ihr seien die Mitglieder der Gruppe bekannt. Bei den Gründern der mg handele es sich, so der Verfassungsschutz, um drei Mitglieder der Initiative Libertad!. Das BfV forderte die BAW auf, gegen die Drei zu ermitteln.

"Aktiv mitgestaltet", schreibt das BKA
In der Folge wurden die Wohnungen und Arbeitsstellen der Beschuldigten Tag und Nacht gefilmt, Telefone abgehört, Autos verwanzt und mit Peilsendern versehen. Alle Banktransaktionen wurden kontrolliert. Die Drei wurden auf Schritt und Tritt von ZivilpolizistInnen verfolgt. Das BfV führte einen Teil der technischen Überwachung durch und stellte einzelne Ergebnisse, etwa die Auswertungen von Überwachungskameras, dem BKA in "Amtshilfe" zur Verfügung. Nach zwei Jahren Totalüberwachung wurde in einem Aktenvermerk des BKA ein erstes Ergebnis notiert: Die Ermittlungen haben zu keinerlei brauchbaren Erkenntnissen geführt, gleichwohl wurden sie auf einen weiteren Berliner ausgeweitet. Im Januar 2004 schrieb KHK Damm dann o.g. Vermerk, in dem er eine Mitgliedschaft der vier Beschuldigten ausschloss. Das Verfahren wurde jedoch nicht eingestellt, sondern auf weitere Personen ausgeweitet.

Die Indizien mehren sich, dass gezielt die Zeitschrift radikal und ihr Umfeld ins Visier der ErmittlerInnen gerieten. Vordergründig dürfte das Interesse an der radikal dem Umstand geschuldet sein, dass in ihrer Nummer 158 vom Juli 2005 ein Interview mit der mg abgedruckt war. Ausschlaggebend dürfte allerdings ein Zufallsfund in einer Gartenlaube in Berlin-Karlshorst gewesen sein. Im März 2005 wurden dort 500 Exemplare der radikal Nr. 157 gefunden. In diesem Zusammenhang wird ein damals 44-Jähriger aus Berlin-Pankow nach einem Tipp des BKA festgenommen. Er gilt als "Kontaktperson" eines Beschuldigten aus dem mg-Strukturverfahren. Besondere Aufmerksamkeit erregt ein bei ihm gefundenes Schreiben, das laut einer BfV-Auswertung eine Antwort der mg auf ein Einladungsschreiben der radikal sein soll. Fortan gilt der Pankower für die Ermittlungsbehörden als "Ansprechpartner" der mg bei der radikal.

Wie sagte Buback? Es finden sich immer Wege. So auch hier: Nach jahrelangen, erfolglosen, auf immer mehr Personen im Umfeld der ursprünglichen Beschuldigten im mg-Strukturverfahren ausgedehnten Ermittlungen ist man kein Stück weiter. Der Ausweg: Man ermittelt in einem Verfahren gegen Unbekannt wegen zweier Brandanschläge im September 2004, zu denen sich die mg bekannt hat, gegen den Pankower. Der hat zwar laut Erkenntnissen des Staatsschutzes mit mg-Anschlägen nichts zu tun, ist aber Mitarbeiter einer seit Langem immer wieder kriminalisierten Zeitschrift und hat in diesem Rahmen eventuell Kontakt zur mg, aber was soll's.

Die Überwachungsmaschine läuft an, umfangreiche Ermittlungen werden eingeleitet - die alle das Umfeld der radikal zum Ziel haben. So werden einer Zeugin zahlreiche Fotos vorgelegt, die aber keinen der Beschuldigten in Sachen mg zeigen, sondern ausschließlich Personen, die dem BKA als Macher der radikal oder der interim gelten. Gleichzeitig überprüfen die Ermittler eine Adressenliste, die ebenfalls in der Laube gefunden worden war, und stoßen dabei auf Andrej H. sowie zwei weitere Berliner, die nicht nur mit ihm gemein haben, publizistisch tätig zu sein, sondern gegen die ebenfalls ab August 2006 ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der mg laufen wird.

Wieder wurden umfangreiche Überwachungsmaßnahmen eingeleitet. Telefone wurden abgehört, E-Mail-Accounts mitgelesen, per sogenannter stiller SMS stündlich der Aufenthaltsort der Beschuldigten abgefragt. Konkrete Hinweise zur mg ergaben sich nicht. Im Lauf der Ermittlungen stieß das BKA auf Florian L., weil dieser über E-Mail mit Andrej H. kommunizierte. Die Überwachung von Florian L. führte zu Oliver R., mit dem sich Florian L. getroffen hatte, ein abgehörtes Telefonat mit Oliver R. wiederum zu Axel H. und zur Festnahme der Drei in Brandenburg an der Havel, wo sie versucht haben sollen, Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen. Das alles hat System, hat aber nicht zwingend mit der mg zu tun.

Wir haben "aktiv mitgestaltet", schreibt das BKA in seinem Muppetshowtext zur Militanzdebatte. Der nun bekannt gewordene, gefälschte Debattenbeitrag dürfte nicht die einzige "Einflussnahme" des BKA auf die Ermittlungen in Sachen mg gewesen sein. Und er zeigt erneut, dass das Verfahren gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. ein geheimdienstlich angelegtes Verfahren ist, bei dem dem Gericht jeweils nur das präsentiert werden soll, was den Hintermännern genehm ist.

"Die Realität, die in den Akten dargestellt wird, ist nur eine scheinbare. Die einzelnen Fakten und Indizien werden unter einem spezifischen Raster zusammengestellt und ergeben dann das entsprechende Bild. Würde man nur eine Stellschraube an dem zugrunde liegenden Raster verstellen, würde sich auf Grundlage der gleichen Fakten ein anderes Bild ergeben", erklärte die AnwältInnen im mg-Verfahren bereits im September 2008. (mb.)

Weitere Informationen: http://einstellung.so36.net

Tags: mg | bka | 34. prozesstag