Karneval im Gericht

18 Verhandlungstage und kaum einen Schritt weiter: Im Berliner mg-Verfahren glänzen kostümierte Polizeizeugen vor allem durch Erinnerungslücken

Seinen Namen sagte Zeuge 99100001 dann doch noch. Dafür trat Kriminaloberkommissar Nikolaos Alevisos vom Landeskriminalamt (LKA), der am Donnerstag vor dem Berliner Kammergericht zu Observation und Festnahme von drei Kriegsgegnern aussagen sollte, mit blonder Perücke, falschem Schnurrbart und Brille auf. Die Bundesanwaltschaft wirft den Berlinern Axel H., Florian L. und Oliver R. vor, im Juli 2007 versucht zu haben, in Brandenburg (Havel) drei Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden sowie Mitglieder der »militanten gruppe« (mg) zu sein, die nach dem Strafgesetzbuch-Paragraphen 129 als »kriminelle Vereinigung« eingestuft wird.

Doch bisher erinnert das Gerichtsverfahren eher an die Komödie »Und täglich grüßt das Murmeltier«, in der ein TV-Wetteransager alptraumhaft immer wieder den gleichen Tag erlebt, als an eine ernsthafte Wahrheitssuche. Seit dreieinhalb Monaten bietet sich Prozeßbeteiligten, Presse und Publikum an jedem der mittlerweile 18 Verhandlungstage im Saal 700 des Kriminalgerichtsgebäudes Moabit dasselbe Schauspiel: Die an den Ermittlungen beteiligen Polizisten treten mehr oder weniger kostümiert in den Zeugenstand, berufen sich meist auf Erinnerungs- und Observationslücken oder auf ihre eingeschränkten Aussagegenehmigungen. In ihren wenigen konkreten Aussagen widersprechen sich die Beamten regelmäßig. Die Ereignisse in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 2007 konnten daher auch am gestrigen Verhandlungstag nicht vollständig rekonstruiert werden.

So konnte Kriminaloberkommissar Alevisos nach eigener Aussage nur etwa auf 20 Prozent der Strecke zum Tatort, einem Gelände der Firma MAN, jenes Fahrzeug beobachten, in dem er die drei Angeklagten vermutete. Um so detaillierter schilderte der Beamte die Festnahme. Mit »einfacher körperlicher Gewalt« habe er Florian L. vom Beifahrersitz gezogen und ihn auf der Straße »zu Fall gebracht«. Den Vorwurf der massiven Mißhandlung wies der Polizist zurück. Ein vom Vorsitzenden Richter Josef Hoch verlesenes Gutachten läßt allerdings an der Version des 41jährigen Kriminalbeamten zweifeln. Prellungen am Brustkorb, Hämatome im Gesicht und einen verletzten Unterkiefer diagnostizierte demnach ein Arzt vom Städtischen Klinikum Brandenburg. Dabei hatte L. keinen aktiven Widerstand gegen seine Verhaftung geleistet, wie der Ermittler zugeben mußte.

Auch über den genauen Ort dieser Festnahme gibt es unterschiedliche Angaben. »Wir sind am 29. Dezember 2008 noch mal nach Brandenburg gefahren und haben festgestellt, daß die tatsächliche Ergreifung der Angeklagten nicht an der in den Gerichtsakten vermerkten Position stattgefunden hat«, gab Alevisos gestern zu Protokoll. Selbst über die Teilnehmer des Ortstermins gehen die Aussagen der Polizisten auseinander. So hatte Alevisos’ Kollege am Mittwoch, dem 17. Verhandlungstag, noch ausgesagt, daß ein weiterer Beamter bei der nachträglichen Inspektion dabei gewesen sei. Eigentlich eine Petitesse. Um so erstaunlicher, daß der LKA-Zeuge Alevisos die Anwesenheit seines Kollegen so vehement bestritt. »Wenn sich die Aussagen der Polizeizeugen schon bei Ereignissen widersprechen, die nur gut eine Woche zurückliegen, dann spricht das Bände über die Behauptungen zu Vorgängen, die bereits vor anderthalb Jahren stattgefunden haben«, konstatierte Rechtsanwalt Sven Lindemann, der einen der Angeklagten vertritt. Am 21. Januar wird die Verhandlung fortgesetzt.

Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag in Berlin (An der Urania 17) berichtet einer der angeklagten Kriegsgegner über politische Repression

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